Sturzrevue & Kurzreplik — Mai ’24
G E S E H E N :
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„Civil War“ (Alex Garland, 2024): „Civil War“, gerade von linker Seite häufig und heftig attackiert, ist einer der intelligentsten und wichtigsten Filme des Jahres und ich werde mich nicht scheuen, zu schreiben, warum: Alex Garland macht hier nicht den Fehler, den eine lagerdenkende progressive Linke wohl von ihm verlangen würde, nämlich, so zu tun, als wären die Konfliktlinien eines durchaus im Bereich des Denkbaren befindlichen zweiten amerikanischen Bürgerkriegs bereits klar in eindeutiges Schwarz und eindeutiges Weiß konturiert. Die Allianz aus Texas und Kalifornien wurde häufig als unrealistisch kritisiert. Und wenn schon. Man darf davon ausgehen, dass wenn ein Bürgerkrieg ausbräche, er a) Positionen und Geschehnisse einfassen würde, die wir aus heutiger Sicht auch unwahrscheinlich oder unlogisch empfinden würden, einfach, weil Geschichtsschreibung in aller schöner Regel so funktioniert und b) das alles auch ganz egal ist, weil es Garland sowieso nicht darum geht, die nach heutigem Stand fest zu stehen scheinenden Konturen eines sich drohenden Bürgerkriegs nachzuzeichnen (er würde sodann wohl auch selbst nach der Logik eines Kulturkämpfers agieren). Stattdessen interessiert sich „Civil War“ für diesen Status des Zivilisationsverlustes an sich. Innerhalb seiner erzählerischen Welt ist er auch alles andere als unrealistisch (nur eben aus der Sicht der heutigen Politlage betrachtet) und er denkt auch nicht in Schwarz/Weiß und daraus liegt aus lagerdenkend-kulturkämpferischer Sicht nämlich der Tabubruch. Ein Präsident, der Kriegsverbrechen gegen südstaatlerische Milizen verübt? Entspricht nicht dem Selbstverständnis der geneigten Biden/Harris-Wählerin, ist aber in der ernstgenommenen Logik eines Krieges eben ein naheliegender Gedanke. „Civil War“ ist ein erzählerisch und inszenatorisch reifer Film. Und auch ein Film, der die philosophische Frage nach der Äquivalenz von shooting photos und shooting people macht. Beides hat das Potenzial, irgendwann zu einem professionalisierten Reflex zu werden, der die Moral suspendiert und der Nachwelt überlässt, was in dem Moment eben aus situativem Selbstzweck geschossen wurde. Auch darin liegt eine Logik des (Bürger)Kriegs. Es beginnt mit Idealen und endet mit dem ständigen Abdrücken, dessen Gründe wir längst vergessen und verdrängt haben.
„Furiosa: A Mad Max Saga“ (George Miller, 2024): Nach dem Film stehe ich mit befreundeten Co-Kinogängern im Kreis, wir sind alle ein bisschen erschöpft, nicht heillos begeistert wie nach „Fury Road“ (den wir alle super fanden) und doch sind wir alle irgendwie froh, dass es „Furiosa“ gibt. Im Gegensatz zu „Fury Road“, der im Grunde narrativ nur aus einem Hin- und einem Rückweg ist und alles andere reines Attraktionskino ist, überfrachtet „Furiosa“ seine Action mit Handlung, Orten und Motiven, die niemanden wirklich interessieren scheinen, nichtmal Miller selbst scheint sich dafür zu interessieren. Im Vordergrund steht immer noch Bewegtbildkunst in absurder Verschwendung. Explosionen, Kostüme, Gefährte, alles überdreht, eine Welt aus Orange und Braun. Ständig tauchen Gegenspielerfiguren, die nach handgestoppten 40, 50 Sekunden wieder tot sind dabei aber ein Furor veranstalten, wie sie in anderen Actionfilmen ökonomisch nur von einer Endgegnersequenz rechtzufertigen wäre. Dieser völlige Wahnsinn,, diesen instant-musealen Charakter hat auch „Furiosa“, der die filmgeschichtlich einzigartige Bildsprache von „Mad Max: Fury Road“ weitere 148 Minuten weiterspinnt, auch wenn er mehr Zugeständnisse an Computertechnik macht als der Vorgängerfilm (oder dabei zumindest auffälliger ist). Die Kernironie bleibt aber, dass er trotz mehr Handlung inhaltlich gehaltloser ist als „Fury Road“.
„Challengers“ (Luca Guadagnino, 2024): Der transzendierte Sportfilm: „Challengers“ ist ein gutes Beispiel wie ein Sportfilm aussehen sollte. Einerseits ist der Tennissport hier tatsächlich ein ästhetisches Spektakel, das der Film mit seinen eigenen, vom Regisseur Guadagnino meisterhaft beherrschten Apparat filmischer Mittel, einfängt und natürlich auch überhöht. Es ist wahrlich ein Hochgenuss, mit wie viel Einfallsreichtum Kamera, Schnitt und Ton hier den Duellcharakter der gelben Bälle ausspielt. Andererseits ist „Challengers“ natürlich auch ein Film, der ganz und gar nicht von Tennis handelt. Denn Tennis — das sagt die Hauptfigur Tashi auch an einer Stelle — ist hier eigentlich eine Form von (körperlicher) Kommunikation. Und damit dem Sex doch sehr nahe. Sein wir mal ehrlich: „Challengers“ ist eigentlich ein Film über Sex. Und ein ganz toller obendrein. Es ist ein Film über schöne Körper in selbstbewussten Bewegungen, Sinnlichkeit und Lust. Er ist vor allem aber ein Film über das meta-sexuelle Drumherum. Die Unsicherheiten, Performancedruck, Balzspielereien, Dominanzgesten und (anti)patriarchaler Deutungshoheiten, ein bisschen geht es auch um Liebe. Ein bisschen, denn „Challengers“ ist ganz sicher kein Film, der sich in der Tiefe für die Emotionen seiner Figuren interessieren würde. Dahin, wo es wehtut, geht „Challengers“ immer nur in Form einer coolen, Sonnenbrille tragenden, ein bisschen auch zynischen Komödie. „Challengers“ ist auch ein sehr guter Date-Film. Allerdings mehr für ein Date, in dem es um eine gute Zeit und guten Sex, als um die ganz ganz große Liebe geht.
„Aus dem Nichts“ (Fatih Akin, 2017): Vielleicht Fatih Akins politischster Film im Sinne einer direkten politischen Autorenposition. Umso geschwächter ist darin die Autorenposition im Sinne eines filmischen Auteurs, denn „Aus dem Nichts“ hat man zurecht den Vorwurf gemacht, eine relativ egale und fernsehfilmartige Filmsprache zu verwenden.