Gefühlsfragmente statt Chronologie oder: Jugend heißt Davonlaufen.
Originaltitel: Als wir träumten
Alternativtitel: As We Were Dreaming
Produktionsland: Deutschland
Veröffentlichungsjahr: 2015
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase
Produktion: Peter Rommel
Kamera: Michael Hammon
Montage: Jörg Hauschild
Darsteller: Merlin Rose, Julius Nitschkoff, Marcel Heuperman, Joel Basman, Frederic Haselon, Ruby O. Fee, Chiron Elias Krase, Kilian Enzweiler, Luna Rösner, Tom von Heymann
Laufzeit: 117 Minuten
Als wir träumten begleitet eine Clique von Jungs und spielt kurz nach dem Ende der DDR. Daniel (Merlin Rose), Rico (Julius Nitschkoff), Paul (Frederic Haselon), Mark (Joel Basman) und Pitbull (Marcel Heuperman) wachsen im Leipzig der Nachwendezeit auf. In dieser aufregenden Zeit nach dem Mauerfall müssen sie allmählich lernen, erwachsen zu werden, doch das ist nicht immer einfach. Sie haben große Träume und Pläne, wollen der Hoffnungslosigkeit ihres Alltags entfliehen. Und so ziehen vandalierend sie durch die Stadt, machen die Nacht zum Tag, knacken Autos und machen ihre Erfahrungen mit Alkohol und härteren Drogen. Die Jungs gründen schließlich ihre eigene Underground-Diskothek und müssen bald feststellen, dass sie von Neo-Nazis belagert werden, denen sie ein Dorn im Auge sind. Und dann sind da noch ihre privaten Ziele: Rico träumt von einer Karriere als Boxer und Dani ist hoffnungslos in Sternchen (Ruby O. Fee) verliebt.
Quelle: Moviepilot.de/em>
Replik:
Andreas Dresen ist ein talentierter Sozialdramatiker mit authentischen Sujets, so viel war mir bewusst. Seine auf der Berlinale 2015 uraufgeführte Verfilmung des gleichnamigen Jugendbuches „Als wir träumten“ von Clemens Meyer wurde von der Kritik eher verhalten aufgenommen, weswegen ich mich schonmal vorsichtig in Verriss-Stellung begab und den Film ja ohnehin nur als Brückenfilm zwischen zwei anderen Filmen sehen wollte. Circa eine Stunde später saß ich im Kinosessel und weinte Tränen, wie ich sie seit 2011 nicht mehr, seit „Der Baum der Helden“ nicht mehr weinte. Was zum Himmel war geschehen?
Die x-te uninspirierte Buch-Verfilmung?
Buchverfilmungen haben so gut wie immer das Problem, das sie sehr verknappt Buchkapitel aneinanderreihen müssen, manche ganz, andere stärker betonen, aber in jedem Fall ausführlich straffen müssen. „Als wir träumten“ funktioniert ebenfalls auf diese Weise, sogar noch ein gutes Stück penetranter. Hier werden sogar ausdrücklich die Buchkapitelnamen als reißerische Transitions eingeblendet, von Szene zu Szene fliegt der Film von Episode zu Episode und die nächste uninspirierte Buch-Verfilmung scheint vor uns zu liegen. Mit wabbernden Elektrobässen und rebellischem Gestus seiner Figuren ringt Dresen nach Relevanz. Der Anfang des Films erscheint schwach.
Schweben durch die Geschichte
Nur das was viele Rezensenten nicht sehen (wollen) und ich auch zunächst ignorant ausblendete: Hinter dieser Erzählweise steckt Methode. Hier zeigt sich womöglich doch die Klasse eines Wolfgang Kohlhaase. Denn Dresens Film setzt alles auf eine einzige Karte: Gefühl. Es geht in diesem Film nicht darum, große Erzählungen mit detailliert ausgearbeiteten Figuren und Storywendungen auszubreiten, es geht einzig darum, das Gefühl dieser (oder jedweder Jugend) auszudrücken. Und hierzu wird das Erzähl-Instrument von Minute zu Minute effektiver. Mitunter erinnert „Als wir träumten“ sogar entfernt an das Spätwerk Terrence Malicks (ohne so pathetisch zu sein), weil wir irgendwie durch die Geschichte schweben, aber nicht auf sie blicken, sondern doch mitten in ihr stecken.
Ein ostalgischer Rückblick
Kontrastiert wird der fortschreitende, chronologische, aber stark bruchhaft erzählte Jugendstorybogen immer mit Rückblicken auf die sozialistische Kindheit, die sich ausschließlich in der Schule abspielt. Diese Perspektive hat die Funktion den Freundeskreis des Protagonisten Dani als „schon immer da gewesen“ darzustellen. Nebenbei wird der sozialistische Alltag noch mit einer liebevollen Ironie abkommentiert, die sich stark in Richtung Ostalgie bewegt. Über den Mehrwert der Kindheitsepisode lässt sich streiten, eine kurze Einführung aus Kinderaugen hätte womöglich gereicht, anstatt immer wieder zwischen Kindheit und Jugend hin- und herzuspringen, trotzdem geht hier ein großes Lob an das Kindercasting. Die Kinderdarsteller sehen ihren älteren Darstellerkollegen verblüffend ähnlich, ein so gutes Face-Casting sieht man in einem Spielfilm selten.
Narrationsstrategie: Gefühlsfragmente
Die wahre Stärke beweist „Als wir träumten“ zunehmend in der Jugend-Narration, die eigentlich keine ist. Es sind Fragmente, Gefühlsfragmente. Hinter jedem dieser kleinen Episoden mit teilweise schmerzlich wenig Bezug zu den anderen Episoden steckt ein starkes emotionales Ausrufezeichen. Streit mit der Mutter, Umarmung mit der Mutter, Beinahe-Sex mit einer alten Frau, Drogen nehmen in der eigenen Disko, Autos klauen, Autos zerstören. Das wäre alles so simpel, so schon tausendmal da gewesen, wenn es von Dresen nicht so herausragend authentisch perfomiert wäre. Dieses Händchen für Schauspielführung, für realistische Sprechweisen (allerdings ohne sächsischen Dialekt wie manch einer kritisch anmerken könnte) erzeugt eine Sogwirkung.
Man merkt dem Film positiv an, dass er auf einer biografischen Geschichte basiert und nicht aus einer Alleinfantasie eines Drehbuchautors deutscher Schule entstammt. Etwa die Liebesgeschichte zum Mädchen „Sternchen“ bewegt sich immer am Rande der Konvention, aber unser Protagonist Dani ist kein schüchterner Mensch, der sich romantische Worte ausdenkt, um sein Mädchen zu gewinnen. Stattdessen sagt er so viel wie: „Hey, wie wär’s, wenn du mal rumkommst und wir bumsen ein bisschen?“ Ohne dabei aber wie ein Proll zu wirken, es ist einfach seine Weise auszudrücken, dass er sie liebt. Irgendwie erscheint mir das sehr nah an der Wirklichkeit zu liegen. Dieser Film ist voller solcher Realitätsfragmente.
Dresen hat ein Talent dafür, Dinge so darstellen zu lassen, wie man sie sich tatsächlich vorstellt, dass sie (hätten) passieren könn(t)en. Wer eine ähnliche Jugend hatte oder hat (Sozialismus oder nicht ist dabei nicht einmal entscheidend), wird viel viel in diesem Film wiedererkennen und sich darüber wundern, wie realitätsnah es umgesetzt wurde, obwohl uns Dresen ja gar nicht kennt. Und irgendwo hier zwischen Mutterumarmung und Drogentod eines Freundes hat mich der Film eiskalt erwischt und entlockte mir einige Tränen.
Jugend bedeutet Flucht
Die Jugend ist in „Als wir träumten“ ein einziges Davonlaufen. Erstmal im ganz denotativen Sinne: Ständig tauchen im Film einige Neonazis auf, die die Clique um den Protagonisten Dani gar nicht leiden können, immer in der Überzahl und in körperlicher Überlegenheit sind. Zudem steht hinter ihnen ein Erwachsener, der den ganzen Bezirk zu kontrollieren scheint und auch Danis Traumfrau Sternchen hängt mit den Nazis rum. Den Jungs bleibt nur die Flucht oder sie werden brutal zusammengetreten. Das ist irgendwie schön, weil der Film uns hier zeigt, dass die Jugend bei den wenigsten Menschen eine totale Siegergeschichte ist, wie sie von anderen Filmen gerne erzählt wird (z.B. „Absolute Giganten“). Viele Leute werden sich damit identifizieren können, dass die Träumer aus Dresens Film immer wieder auf die Fresse bekommen, ihre Träume zerschellen und Fragmente bleiben wie die Weise, in der sie erzählt werden. Zum anderen ist das Davonlaufen natürlich auch metaphorisch zu sehen als Flucht vor Verantwortung, vor seinem Schicksal oder sich selbst.
Beeindruckende Emotionalität
Man kann dem Film viel vorwerfen. Einiges zurecht. Die sprunghafte Narration fordert ihren Tribut. Vieles bleibt irgendwie auf der Strecke, über das genaue Austarieren der Storystränge lässt sich stark streiten, aber die Erzählmethode funktioniert bei solchen Menschen, für die der Film gemacht ist. Jugendliche oder solche, die es einmal waren. Denn zwischen diesen Erzählfragmenten entstehen assoziative Freiräume, die der Zuschauer mit seinen eigenen Erfahrungen füllen kann. Ich spreche womöglich nicht für die Allgemeinheit, wenn ich sage, dass man sich in den Figuren wiedererkennt, dann ist das eben eine subjektive Erkenntnis. Aber Filme sind immer Projektion von und für Subjektivität. Und für solche Menschen, die sich von der erzählten Geschichte in irgendeiner Weise angesprochen fühlen, die sich darin vielleicht ein Stückchen selbst drin erkennen, für diese Menschen kann dieser Film eine beeindruckende Emotionalität entwickeln.
Fragmentsselektivität
Beeindruckend ist auch die Selektivität der Fragmente, die sich gegen Erzählkonventionen auflehnen wie es geht. Das große tragische Ereignis des Films wird gar nicht gezeigt, nur ihre organisatorischen Folgen. Ein Eifersuchtsdrama wird zu einer langen Schweige-Einstellung in einem Taxi zusammengeschmolzen, die viel mehr Emotionalität und — pardon für den HipHop-Jargon — Realness mit sich führt als jede andere dramatische Lösung. Selbst der anfangs pseudojugendliche, manipulative Technoscore ist am Ende der perfekte Soundkommentar auf eine ziellose, apolitische, aber kraftvolle Nach-Wende-Generation. Und dann dieses Ende, in dem uns der Protagonist als Off-Stimme verrät, er hätte einen Kinderreim im Kopf. Aber welchen? Womöglich ein Pionier-Gedicht. Aber erfahren tun wir es nicht. Besser so, denn wir haben in solchen Momenten alle schließlich unsere eigenen Kinderreime im Kopf. Vielen Dank für die Katharsis.
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