Die Antwoord auf die Identitätsfrage.
Originaltitel: Chappie
Produktionsland: USA, Mexiko
Veröffentlichungsjahr: 2015
Regie: Neill Blomkamp
Drehbuch: Neill Blomkamp, Terri Tatchell
Produktion: Neill Blomkamp, Simon Kinberg
Kamera: Trent Opaloch
Montage: Julian Clarke, Mark Goldblatt
Musik: Hans Zimmer
Darsteller: Sharlto Copley, Dev Patel, Hugh Jackman, Yolandi Visser, Watkin Tudor Jones, Sigourney Weaverm, Jose Pablo Cantillo
Laufzeit: 120 Minuten
Chappie (im Original gesprochen von Sharlto Copley) ist ein ausrangierter Polizeiroboter. Der Ingenieur Deon Wilson (Dev Patel) führt an ihm im Geheimen ein technisches Experiment durch. Seiner Meinung nach ist Chappie viel zu schade zum Verschrotten und außerdem das ideale Testobjekt für seine Studien. Doch dann wird Deon – und mit ihm Chappie – von Gangstern entführt. Ninja (Watkin Tudor “Ninja” Jones Jr.) und Yo-landi Vi$$er (Yolandi Visser) adoptieren Chappie in ihre dysfunktionale Verbrecher-Familie hinein und wollen ihn für illegale Zwecke missbrauchen. Und Chappie lernt nicht nur ihre Sprache schneller, als Deon lieb ist.
Quelle: moviepilot.de
Replik:
Ich habe mich schon bevor ich ihn ansah, über „Chappie“ gefreut, denn er schien mir mit Hinblick auf vernichtende Kritiken rechtzugeben, dass Neill Blomkamp ein schlechter Regisseur und ein noch schlechterer Dramaturg ist. Etwas, das ich schon bei seinem bescheuertem Debütfilm „District 9“ prophezeite, während ihn die halbe Welt zum Science-Fiction-Meisterwerk hochjubelte. Dabei ist „Chappie“ immerhin einige Stufen hochwertiger als „District 9“ anzusehen und keine totale Katastrophe und damit fast schon eine positive Überraschung. Hier trifft ein relativ interessantes Style-Experiment eines Scifi-HipHop-Crossovers auf einen demonstrativ naiven Umgang mit einer ernstzunehmenden ethischen Frage und jeder Zuschauer, so scheint es, muss selbst für sich entscheiden, wie eng er den Strick für „Chappie“ daraus drehen will.
Verkappte Die-Antwoord-Werbung
Zurecht wird „Chappie“ diejenigen zum Kinobesuch bzw. DVD-Kauf locken, die sich von der White-Trash-HipHop-Kombo Die Antwoord angezogen fühlen. Tatsächlich ist „Chappie“ ein verkappter Die-Antwoord-Werbefilm. Dabei ist das konsequente Konzept das Roboter-Baby Chappie in die Hände dieser beiden Kunstfiguren zu legen eines der wenigen wirklich brauchbaren Facetten an diesem Blomkamp-Film. Denn, wie man Die Antwoord auch finden mag, Rapper Ninja (Watkind Tudor Jones Jr.) und Sängerin Yo-landi Vi$$er (Yolandi Visser) dieser Gruppe sind Kunstfiguren, die es mit ihrer Musik und Videos geschafft haben, eine kompromisslose Popart zu schaffen, nach der sich das Publikum richten scheint und nicht umgekehrt. Natürlich sind Die Antwoord immer noch Megaseller und somit kein riesengroßes Risiko, diese Künstler in die Hauptrollen eines Kino-Blockbusters mit dreistelligem Millionenbudget zu pressen, aber das erotisch-antierotische albinohafte Mädchen mit Piepsstimme und der moneyboyhafte Möchtegerngangster von Die Antwoord sind nichtsdestotrotz weit entfernt von weichgespülten Hollywood-Role-Models, die man sonst für so eine Rolle gecastet hätte, einen liebenswürdigen Roboter aufzuziehen. Diese Grobschlächtigkeit in der Charakterzeichung erzeugt aber nicht nur interessante Figurenexperiemente, sondern auch furchtbare Klischees. Der eigentliche Protagonist neben Chappie, der Nerd Deon (Dev Patel), ist eine stinklangweilige 08/15-Figur ohne jegliches Profil. Der Bösewicht Vincent Moore (Hugh Jackman) ist noch schlechter und monovalenter. Seine Antriebe sind Profit- und Machtgier, sowie die bloße Lust an der Vernichtung seiner Widersacher. Exakt: Er ist einfach böse.
Wissenschaftlicher Humbug mit unklarem Ernsthaftigkeitsanspruch
Die philosophische Auseinandersetzung mit der Menschenwürde, des Menschen Seele und Identität, gelingt dem Film natürlich eher schlecht als recht und es scheiden sich die Geister, wie ernst sich Blomkamp selbst mit seiner Prämisse nimmt. Der Roboter, der so intelligent ist, dass er auch ein Gewissen und somit Emotionen entwickeln kann, ist in der Science-Fiction ein alter Hut und ein ziemliches Klischee, das schon zu Spielbergs Zeiten („A.I. – Künstliche Intelligenz“) kitschig war. Und natürlich auch schon davor. Dazu gesellen sich Logiklöcher, die den Schau-Genuss schon schmälern, ganz egal wie wenig ernst man das Gezeigte nimmt. Ein merkwürdiger Helm zur Steuerung eines Roboters durch menschliche Gedanken wird von dem Protagonisten-Roboter Chappie so uminterpretiert, dass er damit menschliche Bewusstseine (das ist tatsächlich der Plural) aufzeichnen und speichern kann. Schonmal sehr abenteuerlich. Diese Bewusstseine sollen im Jahre 2016, also ausgehend von dieser Kritik in einem einzigen Jahr, auf einem USB-Stick von der Größe eines Fußnagels gespeichert werden können. Das ist wissenschaftlich natürlich völliger Humbug.
Ein digitalisierbares Menschenbild
Aber gehen wir mal wirklich davon aus, dass das menschliche Bewusstsein, seine Identität und seine Seele ganz materialistisch betrachtet nur eine riesige Ansammlung von Daten sei, die man also archivieren könnte. Die Existenz einer künstlichen Intelligenz, die der menschlichen (in denselben Intelligenzkriterien) ebenbürtig oder dieser überlegen ist, setzt ja auch schließlich im Gegenzug voraus, dass man eine solche Intelligenz materiell erschaffen könnte, also durch eine Datenbank gewährleisten könnte und damit auch zumindest implizit, dass die menschliche „Original“-Intelligenz einen Datenvolumen entspräche, welches auch nicht größer sei als das der künstlichen Intelligenz. Man kann nicht ausschließen, dass sich das rein biologistische Weltbild des Menschen, dessen Selbstbewusstsein einzig auf materiellen Austäuschen von Botenstoffen, elektrischer Ladung usw. beruht, eines Tages als das wissenschaftlich valideste Weltbild herausstellt, auf der sich dann eine Gehirnforschung entwickeln kann, die tatsächlich künstliche und menschliche Intelligenz analog setzen und beides digitalisieren kann. Das Einzige, was wir jetzt schon mit Sicherheit sagen können, ist, dass dies nicht bis 2016 passieren wird. Schon gar nicht in Johannesburg.
Programmierbarkeit von sozialer Intelligenz
Man tut dem Film einen Gefallen damit, die künstliche Intelligenz Chappies abseits tatsächlicher Diskussionen über den Realismusgrad ihrer Ausprägung zu sehen und Chappie somit einfach als Metapher auf das künstliche Leben an sich zu sehen, für das ja schon Frankenstein vor 200 Jahren stand. Das künstliche Leben ist hier aber kein Ungeheuer, sondern es lernt tatsächlich ebenso zu handeln wie der Mensch. Es handelt moralisch und gewissenhaft, jedenfalls den Vorstellungen seines sozialen Umfeldes entsprechend. Also auch kritische Selbstreflexion des eigenen Handelns ist nur eine Frage der Rechenleistung. Die meisten Darstellungen von künstlicher Intelligenz gehen in eine andere Richtung, der nach das Übermaß künstlicher Intelligenz zu grenzenlosem, computerhaftem Utilitarismus gereicht, der nicht selten in imperialistischen Vernichtungsfeldzügen gipfelt. Aber utilitaristisch ist Chappie gerade nicht, er handelt ja aus emotionalen Gründen des Zusammengehörigkeitsgefühls auf Seiten der Schwachen. Auch wenn das viele, auch zurecht, für eine kinderfilmartige Kitschigkeit halten, ist diese Annahme, die Fähigkeit sozialer Intelligenz sei programmierbar, doch ein interessanter, auch wenn scheinbar naiver Gedanke.
Verhoevene Liebesmüh
„Chappie“ ist natürlich kein guter Film. Dazu ist die diegetische Welt ein zu unausgegorener Sumpf an Logiklöchern und eine effektive Brechung ins Satirische findet hier viel zu wenig statt. Auch wenn der Film immer wieder gerne zeigt, wie sehr er Paul Verhoevens Mega-Klassiker „RoboCop“ doch verehrt. Man sieht es allein schon am Kampfroboter des Oberbösewichts Vincent Moore, der den ebenso bösen Kampfrobotern in „RoboCop“ roboteranatomisch verdächtig ähnlich sieht. Man sieht es auch am Humor des Films, der zwar nicht annähernd so schwarz und genial-karikierend wie beim Original ausfällt, doch aber einiges rettet. Denn so ganz ernstgenommen kann doch kein Film sein, der — und das haben die Zuschauer der deutschen Synchronfassung vielleicht gar nicht gemerkt — von einem Roboter handelt, der südafrikanischen White-Trash-Ghetto-Slang spricht.
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