Mythos dem Mythos. Filmbiografie mit aufgemalten Kulissen.
Originaltitel: Enfant Terrible
Produktionsland: Deutschland
Veröffentlichungsjahr: 2020
Regie: Oskar Roehler
Drehbuch: Klaus Richter
Bildgestaltung: Carl-Friedrich Koschnick
Produktion: Markus Zimmer, Stefan Arndt, Uwe Schott
Montage: Hansjörg Weißbrich
Darsteller: Oliver Masucci, Hary Prinz, Katja Riemann, Erdal Yıldız, Désirée Nick, Jochen Schropp, Markus Hering, Frida-Lovisa Hamann, Anton Rattinger, Felix Hellmann, Lucas Gregorowicz, Eva Mattes, Götz Otto, Antoine Monot, Jr., Isolde Barth, Michael Klammer, Michael Ostrowski, Wilson Gonzalez Ochsenknecht (u.A.)
Laufzeit: 135 Minuten
When 22-year-old Rainer Werner Fassbinder storms the stage of a small, progressive theatre in Munich 1967, and seizes the production without further ado, nobody suspects this brazen young rebel to become one of the most important post-war German filmmakers. Despite early setbacks, many of his films breakout at the most renowned films festivals and polarise audience, critics and filmmakers alike. His radical views and self-exploitation, as well as his longing for love, have made him one of the most fascinating film directors of this time.
Quelle: letterboxd.com
Replik:
Es ist unwahrscheinlich, dass irgendjemand diesen Film sieht, ohne zu wissen, wer Rainer Werner Fassbinder gewesen ist. Wenn man aber diesen unwahrscheinlichen „naiven“ Blick simuliert, könnte man sich vorstellen, dass dieser Blick Oskar Roehlers Fassbinder-Biografie rein gar nichts Positives abgewinnen könnte. Was spielen denn alle Figuren so manieriert? Was soll dieses Mischmasch aus Film- und Theaterelementen? Diese schrecklich-grelle Beleuchtung? Warum wird so viel gesoffen, geraucht und geschnupft, ohne dass sich irgendeine Handlung weitertreibt? Aber natürlich weiß jeder Zuschauer von „Enfant Terrible“ sofort Bescheid, dass „Enfant Terrible“ nicht zufällig so aussieht, wie er aussieht. Roehler hat versucht eine Biografie über Fassbinder mit den (vermeintlichen) Mitteln Fassbinders zu drehen. Und damit natürlich auch den naiven Blick zu simulieren, der das Weltpublikum 1969 bei der Weltpremiere seines Debütfilms „Liebe ist kälter als der Tod“ auf der Berlinale innehatte und ihn mit Häme und Buhrufen bedachte. Ein legitimer Schachzug also von Roehler, nur muss der kritische Blick an diesem Punkt gerade erst beginnen, anstatt den Film mit Vorschusslorbeeren über seine Form-Idee zu quittieren. Natürlich immunisiert sich „Enfant Terrible“ gegen Kritik insofern, dass er mit völliger Absicht in Richtungen steuert, die man unter gewöhnlichen Vorzeichen geneigt wäre, als „schlecht“ zu beurteilen, die aber eben typische Merkmale des Fassbinder-Kinos gewesen sind. Zum Beispiel könnte die Besetzung Oliver Masuccis als Fassbinder, der viel zu alt für die Rolle ist und auch alles andere als Münchnerisch redet, in der Tat glatt eine Original-Besetzungsidee von Fassbinder selbst sein. Allgemein versammelt Roheler das Who-is-Who der deutschen Filmvergangenheit vor der Kamera und mischt, wie einst Fassbinder, alle möglichen Schauspieltypen, reduziert sie nicht auf Authentizität, sondern auf ihre einzigartige Aura. Nur einzig die Idee zur Form ist noch keine Meisterung derselben. Und vor allem muss sich Roehler eher daran messen lassen, was „Enfant Terrible“ über Rainer Werner Fassbinder, seine Kunst oder wenigstens die Zeit, in der er gewirkt hat, wirklich wesentlich aussagt.
Gegenentwurf zur Biografie-Schablone
„Enfant Terrible“ findet in einer sehr theatralischen Kulissenwelt statt. Alles ist im Studio gedreht. Zumeist sind die Hintergründe nur aufgezeichnet und das nicht einmal mit dem Ansatz von realistischem Anspruch. Hier geht es in keinerlei Weise um das Aufrechterhalten einer Illusion wie es bei der etablierten Form des Genres Film-Biografie der Fall ist. Bei dieser gilt es um das ganz-genaue Nacherzählen des Gewesenen, was natürlich in der schablonisierten Form („The Danish Girl“, „The Theory Of Everything“, „Bohemian Rhapsody“ usw.) ohnehin heuchlerisch ist und leicht verdaulich die bürgerlichen Mythen in eine Standard-Dramaturgie verwurstet, die einem als Fan ohnehin schon von der Wikipedia-Seite bekannt sind. Die Berühmtheit wird hierin lexikalisiert, deren Leben und sie selbst zu abhakbaren Zeichen simplifiziert. Bei der Biografie-Schablone geht es um reine Affirmation von kanonischen Affirmierenswertem und einer oberflächlichen Kritik an den Schattenseiten der Persona, die zwangsläufig in Mythisierung umschlagen muss, weil sie mit dem bürgerlichen Etikett einer Grabesrede daherkommt. Roehler geht hier mit Ansage den entgegengesetzten Pfad! Nichts hier ist realistisch, konventionell bleibt aber die chronologische Abarbeitung von Eckpunkten (zumindest hat man sich die obligate Kindheits-Episode verkniffen). Der betonte Nicht-Realismus auf Stil-Ebene hat nicht nur die Absicht der handwerklichen Referenz an Fassbinder, sondern scheint auch so etwas betonen zu wollen wie „Das hier ist der Mythos. Schaut durch ihn hindurch und denkt euch selbst, wie er wohl wirklich passiert sein muss!“ Zwar entschuldigt „Enfant Terrible“ in keinster Weise Rainer Werner Fassbinder, ebensowenig materialisiert sich aber auch klar und deutlich eine Kritik, mangels Psychologisierung oder Einordnung in gesellschaftliche Diskurse. Roehler mythisiert nicht, aber er belässt den Mythos als Mythos; er kapituliert vor dem Unerklärlichen.
Herzlosigkeit dem Herzlosen?
Damit einhergehend fällt es Roehlers Film aber auch schwer, etwas Essenzielles aus der Person Rainer Werner Fassbinder ableiten zu können. Szene an Szene werden Filmdrehs, Preisverleihungen, Besäufnisse und Koksabende über ermüdende 135 Minuten hinweg verkettet, wodurch Roehler zwar das Gefühl wiedergeben kann, wie enervierend und erschöpfend die Arbeit mit diesem Egomanen gewesen sein muss, aber letztlich auch maßlos mit dieser Endlos-Dramaturgie übertreibt. Einzig in den homosexuellen Liebschaften zu zahlreichen Männern (Kurt Raab, El Hedi Ben Salem, Armin Meier, Günther Kaufmann) lässt sich ferner so etwas wie ein Fokus ausmachen; ein narratives Nadelöhr, durch das Roehler seinen Blick verengt (die zahlreichen Ehen und Frauenliaisons Fassbinders werden in „Enfant Terrible“ tatsächlich vollkommen ausgespart!) Der homosexuelle Aspekt Fassbinders ist für Roehler dabei mehr als ein Prise Queerness für die Förder-Quote. Die Liebschaften beleuchten den Menschen Fassbinders als krankhaften Narzissten und Manipulator, als einen „Gefühlsdiktator“, wie Roehler ihn selbst schreibt. So ist das einsame Sterben Fassbinders am Ende, nachdem zwei seiner ehemaligen Liebschaften sich das Leben nahmen, eine der wenigen dingfesten Aussagen, die „Enfant Terrible“ über die Münchner Regielegende trifft. Was bringt uns aber diese naheliegende Aussage, wenn wir sich nicht empathisch mitvollziehen können? Weil wir Fassbinder qua Roehlers Stylo-Inszenierung nicht psychologisch nachvollziehen konnten und der Film sich auch nicht für das größere Bild interessiert, Fassbinder etwa als Symptom seiner Zeit zu beleuchten? Tatsächlich, bei allem nötigen Respekt, herzlich wenig.
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