Die Frage ist nicht, was Filmkritik ist, sondern was Filmkritik sein sollte. Und was nicht. Denn Filmkritik ist ein sehr freies und unabhängiges Medium. Eigentlich sind nur zwei Kerncharakteristika absolut grundlegend für die Filmkritik. Erstens sollte eine Filmkritik sich auf einen Film beziehen, eben mit einem filmischen Exemplar auseinandersetzen. Im Idealfall sollten Verweise auf andere Filme einen nicht zu großen Anteil der Kritik ausmachen, sonst würde es sich schließlich um einen Vergleich handeln, was eine eigene methodische Gattung ist.
Zweitens die Filmkritik wertet. Allerdings — und das ist ein großer, weit verbreiteter Irrtum in der Filmkritik, der sich bis in die professionellen Instanzen der Kritik zieht und wie eine Krankheit wuchert — ist diese Wertung keineswegs als Verbraucher-Information, als Konsumkompass, als Dienstleistung oder ähnliches zu verstehen. Filmkritik wertet immer aus einem streng subjektivem Winkel heraus. Kein Kritiker muss sich für seine subjektive Haltung zum Film entschuldigen, er ist dem Konsumenten des Films in null-komma-nullprozentiger Hinsicht irgendeiner Rechnung schuldig. Phrasen wie „Wer Filme von Quentin Tarantino mag, darf hier einen Blick riskieren“ sind Auswüchse einer kränkelnden Filmkritik, wie sie nicht sein sollte. Weder darf es darum gehen, sich mit der Konsumentenmasse zu identifizieren, noch darf der Film als ein Produkt angesehen werden, dem man durch Kaufberatung eine Vermittlungsleistung zu leisten hätte. In der Filmkritik interessiert nur das Verhältnis vom Kritiker zum Film. Der Reiz der Filmkritik ergibt sich also aus dem Interesse am Autoren der Kritik, sowie am Film und dem Verhältnis zwischen beiden.
Eine Filmkritik bedarf also einer Wertung, aber auf welche Weise der Rezensent wertet, ist ihm weitestgehend überlassen. Einzig sollte er darauf achten, nicht, wie oben erwähnt, den Film als Unterhaltungsprodukt anzusehen, welches „zu testen“ ist, ähnlich der bis heute fragwürdigen Praxis der Videospieltests. Das wertende Moment in einer Filmkritik kann ganz unterschiedlich aussehen, wie auch die Form einer Kritik ungebunden an Konventionen ist. Eine Kritik muss sich nicht davor hüten, auf analytische, essayistische oder poetische Herangehensweisen zu verzichten. Ganz im Gegenteil. Höchstens sollte sich der wertende Aspekt einer Kritik kohärent zu seiner Austragungsform verhalten. Es gibt eine Millionen mehr Aspekte an einem Film als sein bloßer Unterhaltungswert und selbst der ist subjektiv. Man kann seine Musikalität bewerten, sein Weltbild oder sein Rhythmus. Man kann radikal-beleidigend oder kindlich-schwärmerisch einem Film wertend begegnen. Davor sollte man keine Angst haben. Allerdings sind wohl die größten Komplimente und Verrise für Filme, sowie die allgemein interessanten Texte über dieses Medium, noch jene, die eine Wertung höchst indirekt aussagen, mit Vergleichen, Verweisen, Anekdoten auf etwas weisen, für das die sehr limitierten Lob-und-Tadel-Worte der Sprache zu eindimensional sind.
Filmkritik ist nichts anderes als ein streng subjektiver Erfahrungsbericht eines Films, jedoch sollte eine professionelle, zielführende Filmkritik (deren Existenz trotz Massen-Kundenkritik-Portalen des Internetzeitalters nach wie vor von eminenter kultureller Notwendigkeit ist) einige Bereitschaften bzw. Fähigkeiten des Kritikers vorausgesetzt sein. Zunächst eine Sprachgewandtheit, die dafür Sorge trägt, dass die Filmkritik sprachlich das transportiert, was der Film audiovisuell transportiert. Sei es ein Gefühl, eine Spannung oder eine Message. Hier hat die Filmkritik dieselbe literarische Aufgabe, wie etwa ein Romancier, der sprachlich das Gefühl von Liebe/Sex/Angst etc. auszudrücken hat. Dieser wird nicht einfach schreiben „Es war geil.“ Da sich der Film permanent zwischen allen möglichen geisteswissenschaftlichen Diskursen, z.B. der Politik, der Philosophie, der Soziologie usw. bewegt, sollte der Filmkritiker zweitens sowas wie eine (stabile) Haltung innehaben. Kenntnisse in allen Bereichen sind zwar nicht vorauszusetzen, wenn auch natürlich wünschenswert, doch aber sollte dem Kritiker seine Verantwortung bewusst sein, wie er mit der Bewertung eines gerade in seiner Unscheinbarkeit, nicht eindeutigen Lesbarkeit und schwierigen Fassbarkeit mächtigen Suggestionsinstrument wie dem Film, eben auch im Kleinen Politik macht. Und drittens sollte dem Kritiker ein quantitativer, qualitativer und pluralistischer Erfahrungsschatz des Mediums beschert sein, über das er schreibt. Dazu gehört auch, dass er bereit ist über Tellerränder zu blicken und seinen Filmhorizont immer wieder neuen Herausforderungen auszuliefern, statt sich selbstzufrieden auf ein unabänderliches Geschmacksmuster zu versteifen.