Die hier aufgeführten Begriffe sollen die Lektüre des Blogs erleichtern. Die Definitionen entstammen teilweise Fachliteratur und teilweise eigenen Kreationen (die provisorisch auf den zuvorgenannten aufbauen). Die Arbeit am Begriff ist stetiger work in progress. Ich bitte um Anmerkungen und Korrekturvorschläge und verweise auf den fehlenden Anspruch auf universelle Richtigkeit.
Achronie, achronisch: Fehlen einer chronologischen Relation zwischen verschiedenen Ereignissen, die in einer Erzählung erzählt werden. (M/S)
Affektstruktur: Erzählstruktur (—>Erzählschema) zur affektiven Steuerung. Martinez & Scheffel unterscheiden Überraschung, Spannung und Neugier. (M/S)
Anachronie, anachronisch: Umstellung der chronologischen Reihenfolge entweder als —>Analepse oder als —>Prolepse. Anachronien unterscheiden sich im Hinblick auf ihre —>Reichweite (zeitlicher Abstand zwischen den Zeitpunkten des Erzählens und des erzählten Ereignisses) und ihren Umfang (die Zeitdauer des anachronisch dargestellten Ereignisses). Anachronien können komplett (wenn sie zur Gegenwart der erzählten Geschichte heranreichen) oder partiell sein. (M/S)
Analepse (Rückwendung, Flash-Back): Eine Form der —>Anachronie, nachträgliche Darstellung eines Ereignisses, das zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden hat, als dem, den die Haupthandlung gerade erreicht hat. Analepsen können aufbauend sein (wenn z.B. am Anfang der Erzählung, im Anschluss an eine in medias res eingeführte Szene, Ereignisse ergänzt werden, die für das Verständnis dieser Szene und den folgenden Handlungszusammenhang bedeutend sind) oder auflösend (wenn z.B. wie in manchen Fällen der ->analytischen Erzählung am der Erzählung ein zunächst lückenhaft dargestelltes Ereignis nachträglich so vervollständigt wird, dass dass bislang Erzählte in einem neuen Licht erscheint). (M/S)
Analytische Erzählung: Im Gegensatz zur —>synthetischen Erzählung beginnt die analytische Erzählung mit einem rätselhaften Ereignis, dessen rätsellösende Vorgeschichte sie im Folgenden —>analeptisch (mehr oder weniger vollständig) erzählt. (Beispiel: „Se7en“ (David Fincher, 1995) (M/S)
Anstoß (inciting incident, point of attack, catalyst, call to adventure): Erster wichtiger Wendepunkt. Ereignis oder Information, die den —>Status Quo des Protagonisten stört und die Geschichte in Bewegung bringt. (MK)
Antagonist: Der Antagonist ist der Gegenspieler des —>Protagonisten, die Personifizierung seines Konflikts, seiner Hindernisse und Gefahren. Zusammen mit dem Protagonisten bildet er meist die zentrale Figurenbeziehung der Geschichte. (…) (DW)
Auktoriales Erzählen: Allwissendes Erzählen, das das Wissen der Hauptfigur übersteigt. In Form eines textuellen Erzählers (z.B. durch Voice-Over) ungewöhnlich im Film. Auktoriale Erzählstrategien können sich im Film aber auch etwa durch parallel erzählte Handlungsstränge ergeben (siehe: —> Suspense) (M/S, ergänzt)
Backstory: Hintergrundgeschichte. Das, was passiert ist, bevor die Filmhandlung beginnt. (MK)
Backstory Wound: Die Wunde einer Figur ist ihre Achillesferse, Krankheit, ihr Handicap oder Trauma, das sie geprägt hat und das sie immer mit sich herumschleppt. Sie kann körperlich oder seelisch sein und hält die Figur in ihrem Vorwärtskommen zurück. Oft versucht eine Figur, ihre Wunde vor anderen geheim zu halten. In vielen Fällen wurde sie ihr bereits lange vor Beginn des Films zugefügt. (DW)
Darstellung: Die Form der erzählerischen Vermittlung einer Handlung (siehe auch: —>Form) (M/S)
Dehnung: (zeitdehnendes Erzählen) Darstellungsweise, in der die ->Erzählzeit im Verhältnis zum Geschehen, von dem sie erzählt, besonders umfangreich ist. (Beispiele: Einsatz von Zeitlupe, sowie parallele Wiedergabe zweier Perspektiven auf einen singulären Moment, die in toto die ->erzählte Zeit übersteigen. (M/S, ergänzt)
Diegese, diegetische Welt: Gesamtheit der Handlung und potenziellen Handlungsmöglichkeiten innerhalb der Welt, des Raum-Zeit-Kosmos der Erzählung (AmW)
Erzähl(-Distanz): Der Grad an Mittelbarkeit in der Präsentation des Erzählten. (M/S)
Dokumentarisch: Im Gegensatz zum —>Fiktionalen bezeichnet das Dokumentarische den Status nicht-wahrheitsgemäßer Erzählung als Gattungsbegriff (ein Dokumentarfilm besteht in der Regel aus 100%igem dokumentarischen Erzählen, es existieren aber unzählige Mischformen. Auch fiktionale Spielfilme können partiell dokumentarisches Erzählen einsetzen) (AmW)
Dominante Figur: Die dominante Figur ist meist eine schillernde oder extreme Persönlichkeit, die einem eher unscheinbaren und durchschnittlichen Protagonisten gegenübergestellt wird. Sie bleibt dem Zuschauer oft stärker in Erinnerung – und kann sogar in mehr Szenen vorkommen – als die eigentliche Hauptfigur. Damit ist sie so etwas wie die suggerierte bzw. gefühlte Hauptfigur. Dieser Eindruck wird oft bereits durch die Titelgebung suggeriert bzw. verstärkt, denn in etlichen Fällen tragen Filme den Namen der dominanten Figur im Titel. (DW)
Dramatisches Erzählen: Mit dramatischen (in Abgrenzung zum epischen) Erzählen ist die klassische, plotzentrierte, handlungstreibende Erzählweise gemeint. Symptomatisch ist ein Protagonist auf einer —>Heldenreise mit einem —>Want und einem —>Need. Dramatisch hat in diesem Zusammenhang nichts mit Dramatik im Sinne von schweißtreibender Spannung zu tun. Auch ein entspannter Kindergeburtstag kann dramatisch erzählt sein. (AmW)
Ellipse (Zeitsparung, Aussparung): Ein Zeitabschnitt des dargestellten Geschehens, der in der erzählerischen Darstellung ausgespart wird. Man unterscheidet je nach dem Grad der Rekontruierbarkeit der Dauer des ausgesparten Geschehens durch das Publikum bestimmte und unbestimmte Ellipsen; wird die Ellipse im Erzählzusammenhang markiert (z.B. Einblendung: „Zwei Jahre später“), ist sie explizit, andernfalls ist sie implizit. (M/S, ergänzt)
Episode: In der Erzähltheorie meint „Episode“ eine abgeschlossene Einheit (vgl. —> Sequenz). Im Film ist damit eher eine Einheit gemeint, die auch motivisch/narrativ von anderen Einheiten (Episoden) abzugrenzen ist (siehe: —> Episodenfilm) (AmW)
Erzähler: Im filmischen Medium ist ein —>auktorialer (allwissender) Erzähler ungewöhnlich, ebenso ein heterodiegetischer (außerhalb der diegetischen Welt liegender Erzähler). Falls doch kann man dies als —>Stilmittel und literarische Anleihe betrachten. Die Erzählinstanz im klassischen Spielfilm ist zumeist personal, unmittelbar in der Mitsicht (im Gegensatz zur Übersicht und Außensicht) eines —>Protagonisten beobachtend. (AmW)
Erzähldauer: (—>Erzählgeschwindigkeit) Das quantitative Verhältnis von ->Erzählzeit und ->erzählter Zeit, umfasst die fünf Grundformen —>Szene, —>Raffung, —>Dehnung, —>Ellipse und —>Pause (M/S)
Erzählschema: (Erzählstruktur) Ein aus individuellen Erzählungen abstrahierter typischer Verlauf des Erzählens, der über ein stereotypes —>Handlungsschema auch Aspekte der Darstellung und der Erzählpragmatik einschließt. (M/S)
Extradiegetisch: Im Gegensatz zu —>intradiegetisch Standpunkt außerhalb der Welt der erzählten Geschichte; im literarischen Schreiben ist ein gewöhnlicher auktorialer Erzähler bereits per se extradiegetisch; innerhalb filmischen Erzählens jedoch ungewöhnlich. (M/S, ergänzt)
Extradiegetische Erzählung: Erzählung erster Stufe, die zur —>Rahmenerzählung wird, sobald sie eine Erzählung zweiter Stufe (—>intradiegetische Erzählung) enthält. (M/S)
Faktual: Erzähltheoretische Entsprechung zum Dokumentarischen (vgl. Dokumentarisch) (frei nach M/S)
Fiktiv: Im Gegensatz zum ->Realen bezeichnet das Fiktive den Status nicht-wahrheitsgemäßer Erzählung auf einem ontologischen Status (siehe: —>fiktional) (z.B: die Handlung eines Aliens) (AmW)
Fiktional: Im Gegensatz zum ->Dokumentarischen bezeichnet das Fiktionale den Status nicht-wahrheitsgemäßer Erzählung als Gattungsbegriff (vgl. —>Spielfilm) (AmW)
Flashback: Siehe: —>Analepse (AmW)
Fokalisierung: Die Perspektivierung der Darstellung relativ zum Standpunkt eines wahrnehmenden Subjekts. Man unterscheidet Nullfokalisierung (auktorial, Übersicht), interne Fokalisierung (aktorial, Mitsicht) und externe Fokalisierung (neutral, Außensicht). Im besonderen Fall einer internen Fokalisierung [welche für den Film am typischsten ist!] unterscheidet man zwischen fixierter, variabler und multipler Fokalisierung. In der fixierten internen Fokalisierung bleibt das wahrnehmende Subjekt konstant (Protagonist), in der variablen kann sie in auktoriale oder neutrale Fokalisierung springen (z.B. durch Kombination von Protagonisten-Mitsicht und einer auktorialen Erzählerstimme) oder für verschiedenene Figuren gleichermaßen gelten (multiperspektivisches Erzählen). (M/S, ergänzt)
Frequenz: Wiederholungshäufigkeit von Ereignissen entweder auf der Ebene der Handlung oder auf der Ebene der Darstellung. Man unterscheidet —>singulative (einmal erzählen, was sich einmal ereignet hat), —>repetitive (wiederholt erzählen, was sich einmal ereignet hat) und —>iterative (einmal erzählen, was sich wiederholt ereignet hat). (M/S)
Handlung: Die Gesamtheit dessen, was erzählt wird — im Unterschied zur Art und Weise seiner erzählerischen —>Darstellung. (M/S)
Handlungsschema: Einer aus der individuellen Handlung einer Erzählung abstrahierter Grundriss mit einer abgeschlossenen und sinnhaften (z.B. archetypischen) Struktur (—>Erzählschema); (vgl. auch „Mythos“) (M/S, ergänzt)
Intradiegetische Erzählung (Binnenerzählung): Erzählung zweiter Stufe, d.h. Erzählung einer Figur, die der erzählten Welt angehört, Rahmen- und Binnengeschichte können konsekutiv (kausal) oder korrelativ (vgl. —>motivisch) miteinander verbunden sein.
Im filmischen Medium ist im Gegensatz zur Literatur eine weitere Unterscheidung zu machen: Eine intradiegetische Erzählung kann innerhalb eines Dialogs im On von einer Figur geäußert werden oder in einen eigenständigen Subplot springen (in dem der Protagonist nicht mehr vorkommt). Wird die intradiegetische Erzählung vom Protagonisten selbst vorgetragen, wäre dies keine intradiegetische Erzählung mehr, sondern —>anachronisches Erzählen (im wahrscheinlichsten Fall eine —>Analepse) (M/S, ergänzt)
Isochronie: Zeitdeckendes Erzählen (—>Erzähldauer, —>Szene) (M/S)
Iteratives Erzählen: Siehe: —>Frequenz (M/S)
Metadiegetische Erzählung: Erzählung dritter Stufe, d.h. Erzählung einer Figur, die der erzählten Welt einer —>intradiegetischen Erzählung angehört (also einer Binnengeschichte, die ihrerseits zu einer Rahmengeschichte wird); eine Erzählung vierter Stufe ist metametadiegetisch. (M/S)
Metalepse: Möglicher „narrativer Kurzschluss“, bei dem infolge einer Rahmenüberschreitung die Grenze zwischen —>extra– und —>intradiegetischer Position augehoben wird. (M/S)
mise en abyme: Paradoxe Erzählkonstruktion, bei der Binnen- und Rahmenerzählung einander wechselseitig enthalten (vgl. —>Metalepse) (M/S)
Motivation: Siehe Unterscheidung in —>Figurenmotivation und —>erzählerische Motiviertheit (AmW)
Motiv, Motivisch, Motivik: Ein Motiv, auch Topik genannt, ist eine sinnbildhafte Assoziation, die den Film thematisch prägt bzw. zusammenhält und auf die „Botschaft“ des Films verweist. Es kann visuellen oder auditiven Charakter haben, also aus einem bestimmten Bild, einer Geste, aus Geräuschen, einer Tonfolge oder Wörtern bestehen. Beispielsweise kann das Thema ‚Vergänglichkeit’ in einem Film durch die Motive ‚Sanduhr’, ‚verwelkte Blume’, ‚Seifenblase’, ‚Ruine’, ‚erlöschende Kerze’ etc. dargestellt werden. Tritt ein Motiv im Laufe eines Films mehrfach auf, so spricht man von einer Motivreihe. Im Film „Kirschblüten – Hanami“ von Doris Dörrie (2007) gibt es z.B. die Motivreihen ‚Vögel’ (als Sinnbild für Freiheit), ‚Schatten’ (als Metapher für Erinnerung, Vergangenheit und Tod), ‚zusammengestellte Schuhe’ (als Ausdruck von Ordnungsbedürfnis) sowie ‚festgeknotetes Taschentuch’ (als Zeichen für Orientierungslosigkeit). Ein Film kann mehrere Motive haben, die im Verlauf einer Geschichte immer wiederkehren. Nicht selten wandeln sich Motive in diesem Prozess auch und kommentieren auf diese Weise die Entwicklung der Geschichte bzw. einer Figur. Das prägende Motiv eines Films wird als Leitmotiv bezeichnet. Motive werden vorwiegend im Prozess des szenischen Schreibens eingewebt, ihre Wahrnehmung erfolgt auf unter- oder halbbewusster Ebene. Durch variierende Wiederholung eines Motivs in einer Motivreihe wird ein dichter motivischer Teppich für die Oberflächenhandlung kreiert, in dem sich das Thema manifestiert. Motive dienen damit zur Spiegelung, Vertiefung und Verinnerlichung des Themas. In der offenen Dramaturgie besitzen Motivreihen sehr große Relevanz. Sie verbinden bzw. strukturieren die Geschichte mitunter stärker als die äußere Handlung, so dass sie als subtiler Leitfaden fungieren. (DW)
Need: Das Need ist der universale, allgemeingültige, archetypische Aspekt einer Geschichte, der das Thema des Films repräsentiert. Es offenbart sich, indem der Protagonist sein Want verfolgt. Es ist das innere Defizit einer Figur, das ihr selbst (noch) gar nicht bewusst ist. Etwas Essenzielles fehlt in ihrem Leben: etwas, das nicht ihre körperlichen Bedürfnisse stillt, sondern ihre seelischen; etwas, das nicht materiell greif- oder messbar ist. Es ist der Mangel an Liebe, Würde, Anerkennung, Vertrauen, Freundschaft, Unabhängigkeit, Aufmerksamkeit. Dieses Defizit ist grundlegend. Es existiert schon länger, vor Beginn des Films, möglicherweise hat es etwas mit der Wunde der Figur zu tun. Es prägt den Charakter der Figur. Auch wenn dieser es ignoriert, vor sich selbst verbirgt oder unterdrückt, ist es dennoch tief in ihm vergraben. Denn aus dieser Verdrängung leitet sich eine stille Sehnsucht ab. Dieses Need stellt den inneren Antrieb der Figur dar, ihre eigentliche Motivation, aber auch die Ursache ihrer Niederlagen. Ihr unbewusstes, needgesteuertes Handeln macht die Figur jedoch nicht nur zum Opfer der Umstände, sondern gleichzeitig zum Täter: Aufgrund ihrer eigenen, noch unerkannten psychischen Not verletzt sie ihre Mitmenschen. Damit macht das Need die Figur dreidimensional und menschlich. Erst indem sich ihr Need erfüllt, kann die Figur ihren inneren Frieden finden. (DW)
(erz.) Ordnung: Verhältnis zwischen der Anordnung der Ereignisse in erzählerischen Darstellung und ihrer quasi-realen Chronologie. Die Ordnung kann chronologisch, anachronisch oder achronisch sein. (M/S)
Ort des Erzählens: Ebene, auf der der Erzählakt stattfindet. Man unterscheidet —>extradiegetisches, —>intradiegetisches und —>metadiegetisches Erzählen. (M/S)
Pause: Unterbrechung der fortlaufenden Darstellung des Geschehens zugunsten von Reflexionen, Beschreibungen oder Kommentaren.
Anmerkung: Sehr literarisches Mittel, kommt in der klassischen filmischen Erzählung selten vor. Wenn dann als —>Stilmittel als Teil eines Voice-Overs oder innerhalb einer nicht-rein-narrativen Komposition. (M/S, ergänzt)
Prolepse (Vorausdeutung): Eine bestimmte Form der —>Anachronie: ein in der Zukunft liegendes Ereignis wird vorwegnehmend erzählt. Man unterscheidet zukunftsgewisse und zukunftsungewisse Prolepsen. (M/S)
Protagonist: Der Protagonist ist die Hauptfigur des Films. An ihr richten sich die konstituierenden Elemente einer Geschichte – Konflikt, Ziel, Bedürfnis und Thema – aus. Zudem ist der Protagonist meist Träger der Erzählperspektive sowie der Identifikation des Zuschauers. Innerhalb des Figurenensembles weist er in der Regel die vielschichtigste Charakterzeichnung auf und fungiert als zentrales Bindeglied mit den meisten Figurenbeziehungen und Beteiligungen an den einzelnen Storylines. Der Protagonist kann als Held bzw. Antiheld angelegt werden. Neben dem Protagonisten des Films können aber auch Protagonisten für jede einzelne Storyline oder Szene definiert werden. (DW)
Raffung (zeitraffendes oder summarisches Erzählen): Stark zusammenfassendes Erzählen eines umfangreichen Geschehenabschnittes. (M/S)
Ergänzung: Der Zeitraffer ist eine filmhandwerkliche Entsprechung dieser literarischen Technik, die aber in klassischem Erzählkino so gut wie nie vorkommt (eine Ausnahme ist die Sex-Szene in „Clockwork Orange“). Davon abgesehen kommt Zeitraffung nur in Form eines summarischen Voice-Overs vor (z.B. „Good Fellas“)
Realitätseffekt: Entsteht durch das ausdrückliche Erwähnen (Zeigen) von konkreten Details der erzählerischen Welt, das scheinbar dysfunktional für die erzählerische Ökonomie ist und gerade dadurch zum Ausdruck (der Widerständigkeit) des Faktischen wird. Begriff des französischen Semiologen Roland Barthes, der auf diesem Blog hin und wieder auch ohne dessen Konnotation verwendet, dernach Realitätseffekte überhaupt keine kompositorischen oder narrativen Funktionen erfüllen dürfen und eher in dem Sinne, dass deren Funktionen minimal, hintergründig, nebensächlich oder aber auch raffiniert versteckt sind (siehe: —>Redudanzien) (M/S, ergänzt)
Realitätssystem: Die erzähleigene (In)Stabilität der —>Diegese/->diegetischen Welt durch Aspekte der Erzählung wie Standpunkt und Perspektive des Erzählens, Gestaltung, Verhältnis von Erzählung und Publikum usw. (M/S)
Redundanzien: Eigener Begriff. Meint Objekte, Figuren, Dialogworte- und Sätze, die durch eine absichtlich geringe oder versteckte Verknüpfung mit der Handlung oder der Motivik des Films, der Erzählung den Eindruck von Realität oder —>Haptizität verleihen. Ein berühmtes Beispiel ist die Hamburger-Diskussion in „Pulp Fiction“. (vgl. —>episches Erzählen), (vgl. —>Realitätseffekt) (AmW)
Reichweite: —>Anachronie (M/S)
Repetitives Erzählen: Siehe: —>Frequenz (M/S)
Rückwendung: —>Analepse (M/S)
Sidekick (Figur): Der Sidekick ist in dramaturgischem Sinne der freundschaftliche Assistent des Protagonisten: Er hilft ihm beim Denken und Handeln, springt ihm zur Seite, spielt ihm die Bälle zu, trifft Vorbereitungen für ihn, denkt für ihn mit, macht die „Drecksarbeit“ für ihn und lässt ihn glänzen. Er meint es immer gut mit ihm – allerdings kann sich das natürlich auch kontraproduktiv auswirken, vor allem wenn der Sidekick als komische Figur angelegt ist. Seine Ergebenheit und unbedingte Loyalität zum Protagonisten kann auch obsessive Züge annehmen. Klassische Sidekicks sind: Walter für The Dude (in „The Big Lebowski“), Sam für Frodo (in „Lord of the Rings“), Bubba für „Forrest Gump“ oder Donkey für „Shrek“. (DW)
Singulatives Erzählen: Siehe: —>Frequenz (M/S)
Synthetische Erzählung: Im Gegensatz zur —>analeptischen —>analythischen Erzählung erzählt die synthetische Erzählung ein Geschehen in seiner chronologischen Reihenfolge ohne —>Anachronien. (M/S)
Umfang: —>Anachronie (M/S)
Unzuverlässiges Erzählen: Behauptungen über die erzählte Welt, die als zweifelhaft oder falsch aufzufassen sind. Die Unzuverlässigkeit kann sich teilweise oder insgesamt, auf die Figurenrede oder die Erzählerrede, auf die theoretischen oder mimetischen Sätze einer [Erzählung] erstrecken.
Ergänzung: Mit theoretischen und mimetischen Sätze sind grundlegende Aussagen, die nichts mit der Handlung zu tun haben müssen („Der Mensch ist eine höhere Spezies als der Affe“), mimetische Sätze meinen Aussagen über die erzählte Welt (Figuren, Handlungen etc.) (M/S, ergänzt)
Verbündeter (Figur): Der Verbündete (auch Helfer, Begleiter, Mitstreiter) ist der Resonanzboden des Protagonisten, indem er dessen Gefühle für den Zuschauer vermittelt. Er unterstützt den Protagonisten bei der Verfolgung seines Ziels und profitiert unter Umständen auch selbst davon. Zusätzlich kann er ein eigenes Ziel haben, das er in seiner Sub-Storyline verfolgt. Es kann aber auch sein, dass ein scheinbarer Verbündeter des Protagonisten in Wahrheit dessen Gegner ist, etwa ein Anhänger seines Antagonisten. Dieser beeinflusst den Protagonisten, indem er sich bei ihm einschmeichelt. Er gibt ihm falsche, kontraproduktive Ratschläge, täuscht ihn, spielt ihm etwas vor, führt ihn in die falsche Richtung. (DW)
Want: Das Want (auch: Goal, Desire, Intention) ist das Hauptziel des Protagonisten. Es stellt die äußere Fokussierung der Handlung dar und setzt diese in Gang, indem es eine Bewegungsrichtung vorgibt. Dabei betrifft es das Spezifische einer Handlung, ihr Alleinstellungsmerkmal, das die Geschichte originell, besonders und einzigartig macht. Es ist materiell, vordergründig und konkret: die Beförderung, der siegreiche Wettkampf oder das Traumauto. Dieses Ziel muss nicht moralisch gut oder richtig sein. Oft ist es sogar das Gegenteil – und damit Ausdruck einer Verblendung. Es ist das, was eine Figur begehrt oder zu wollen glaubt: ihr erklärtes Verlangen, womit sie sich identifiziert und wofür sie alles gibt. Auch der Zuschauer würde auf die Frage, worum es in der Geschichte geht, mit dem Want antworten. Doch in Wahrheit ist es nur das Mittel zum Need. In der Gesamtstruktur einer Geschichte zeigt der erste Akt die Geburt eines Wants, der zweite Akt das Verfolgen des Wants durch den Protagonisten und der dritte Akt das Erreichen oder Verfehlen des Wants. Dabei kann sich das Want modifizieren, in Etappen unterteilen oder weiterentwickeln. (DW)
Zitierte Literatur:
Einführung in die Erzähltheorie (Martinez/Scheffel), (M/S)
Poetik des Filmdramas (Burkhard Driest) (BD)
Dramaturgien des Films (Michaela Krützen) (MK)
Freistil — Dramaturgien für Fortgeschrittene und Experimentierfreudige (Dagmar Benke) (DB)
DramaWiki by DramaQueen (DW)
Die
Ausführungen von DramaWiki sind sehr übersichtlich, aber rein an
klassischer Dramaturgie orientiert. Die Ansätze von Driest, Krützen und
Benke orientieren sich an der klassischen Dramaturgie und ergänzen sie.
Das Standardwerk von Martinez/Scheffel hat einen umfangreichen,
geschulten Theoriewert, bezieht sich aber auf literarisches Erzählen und
wurde daher an dafür sinnvollen Stellen von mir ergänzt oder
abgeändert.
Freie Ausführungen und eigene Begriffe sind mit „(AmW)“ gekennzeichnet.