Ein rumänisches Jahr? Welche Filme räumen die Tellerränder ab?
Wie auch letztes Jahr werden in dieser kleinen Blödelei aus den jeweils von mir geschauten Film-Releases des Jahres im Stile einer nationalen Filmpreisverleihung die jeweiligen Leistungen gekürt.
Dabei verstehen sich die Goldenen Tellerränder, wie der Name vielleicht schon verrät, als eine betont alternative Veranstaltung, die Filme in den Fokus rückt, die sonst unter oder außerhalb des Radars laufen (würden). Außerdem werden (auch aufgrund fehlendem Expertenwissen über die jeweiligen Bereiche) vor allen Dingen kreative und innovative Wege in den jeweiligen Kategorien und weniger technische Hochglanzleistungen in ebenjenen honoriert.
Bestes Make-up und beste Frisuren:
„American Honey“ (Andrea Arnold, 2016)
„Ja, Olga Hepnarová“ (Petr Kazda & Tomás Weinreb, 2015)
„Scarred Hearts“(Radu Jude, 2016)
„Raman Raghav 2.0“ (Anurag Kashyap, 2016)
„Embrace Of The Serpent“ (Ciro Guerra, 2015)
And the winner is ...
„Embrace Of The Serpent“ (Ciro Guerra, 2015)
Der ethnographische Präzisionswille Ciro Guerras wird hier mit einem Tellerrand belohnt.
Bestes Kostümdesign:
„American Honey“ (Andrea Arnold, 2016)
„The Revenant — Der Rückkehrer“ (Alejandro González Iñárritu, 2015)
„Ja, Olga Hepnarová“ (Petr Kazda & Tomás Weinreb, 2015)
„Embrace Of The Serpent“ (Ciro Guerra, 2015)
„A Lullaby To The Sorrowful Mistery“ (Lav Diaz, 2016)
And the winner is ...
„Embrace Of The Serpent“ (Ciro Guerra, 2015)
… und so gleich noch mit einem zweiten!
Bestes Szenenbild:
„Evolution“ (Lucile Hadzihalilovic, 2015)
„Crosscurrent“ (Yang Chao, 2016)
„Embrace Of The Serpent“ (Ciro Guerra, 2015)
„Cemetery Of Splendour“ (Apichatpong Weerasethakul, 2015)
„A Lullaby To The Sorrowful Mistery“ (Lav Diaz, 2016)
And the winner is ...
„Cemetery Of Splendour“ (Apichatpong Weerasethakul, 2015)
In so zuvor noch nie gesehenen Szenenbildern erzählt uns Weerasethakul eine magische Geschichte, die ohne diese für sich stehenden Schönheiten nie so effektiv über die Reflexion von menschlicher Natur und Kultur anregen täte, wie sie es schlussendlich meisterhaft tut.
Honoriert wird ein sehr spielerischer, zynischer Umgang mit Genrezismen des Bollywoodfilms, die sich in der hier zitierten Szene exemplarisch zeigt.
Bester Ton:
„Valley Of Love“ (Guillaume Nicloux, 2015)
„The Revenant — Der Rückkehrer“ (Alejandro González Iñárritu, 2015)
„Embrace Of The Serpent“ (Ciro Guerra, 2015)
„Cemetery Of Splendour“ (Apichatpong Weerasethakul, 2015)
„Arrival“ (Denis Villeneuve, 2016)
And the winner is ...
„Cemetery Of Splendour“ (Apichatpong Weerasethakul, 2015)
Auch die fein säuberlich angeordneten Elemente auf Ton-Ebene tragen zu dem Funktionieren dieses magischen Filmgedichts von Apichatpong Weerasethakul bei.
Bester Tonschnitt:
„Creepy“ (Kiyoshi Kurosawa, 2016)
„Big Big World“ (Reha Erdem, 2016)
„Cemetery Of Splendour“ (Apichatpong Weerasethakul, 2015)
„A Lullaby To The Sorrowful Mistery“ (Lav Diaz, 2016)
„Chi-Raq“ (Spike Lee, 2015)
And the winner is ...
„A Lullaby To The Sorrowful Mistery“ (Lav Diaz, 2016)
Lav Diaz‘ Film ist wie ein dunkler, verwunschener Wald, in der Realität für acht Stunden lang ausgeschalten und durch einen Zustand aus Traum und Bewusstsein ersetzt wird. Dieser Form ist auch der delirische Tonschnitt verhaftet.
Beste visuelle Effekte:
„Evolution“ (Lucile Hadzihalilovic, 2015)
„A Dragon Arrives!“ (Mani Haghighi, 2016)
„Arrival“ (Denis Villeneuve, 2016)
„Viktoria“ (Maya Vitkova, 2014)
„The Revenant — Der Rückkehrer“ (Alejandro González Iñárritu, 2015)
And the winner is ...
„Arrival“ (Denis Villeneuve, 2016)
Bis sich Villeneuves Film nach starkem Beginn und okayem Mittelteil durch einen unnötigen Sentimentalismus im Finale selbst zerlegt, ist der Einsatz von Computer-Effekten doch ein kühner Versuch, extraterrestrisch-menschliche Kommunikation darzustellen.
In einem schwachen Jahr des anglosächsischen Films reicht Charlie Kaufmanns liebenswürdiger Versuch Film über Menschen ohne Menschen für den Tellerrand.
Ivan I. Tverdovskyis Debüt ist ein vor Energie pulsierender Film, der wütend das Recht auf Nonkonformität im putinischen Russland einfordert. Ein wichtiger Film.
Bestes adaptiertes Drehbuch:
„Nocturnal Animals“ (Tom Ford, 2016)
„Scarred Hearts“ (Radu Jude, 2016)
„Corrections Class“ (Ivan I. Tverdovskiy, 2014)
„The Woman Who Left“ (Lav Diaz, 2016)
„A Lullaby To The Sorrowful Mistery“ (Lav Diaz, 2016)
And the winner is ...
„The Woman Who Left“ (Lav Diaz, 2016)
Was Lav Diaz‘ vierstündigen Film literarisch zugrundeliegt ist ironischerweise eine Kurzgeschichte von Lew Tolstoi. In die Philippinen verfrachtet, macht Diaz daraus eine der reichsten Auseinandersetzungen mit der Rache, die im Kino je zu sehen waren.
Cristi Puius Buch bricht völlig mit erzählerischen Rhythmen des konventionellen Kinos, in dem es sich radikal auf das Zeitgefühl eines einzigen Abends, samt seiner unspektakulären Momente einlässt. Dass daraus trotzdem drei immens unterhaltsame Stunden Kinoerlebnis gerinnen, ist eine Kunst an sich. Eine extrem hohe Kunst.
Beste Kamera:
„Crosscurrent“ (Yang Chao, 2016)
„Son Of Saul“ (Laszlo Nemes, 2015)
„Embrace Of The Serpent“ (Ciro Guerra, 2015)
„A Lullaby To The Sorrowful Mistery“ (Lav Diaz, 2016)
„Cemetery Of Splendour“ (Apichatpong Weerasethakul, 2015)
And the winner is ...
„Crosscurrent“ (Yang Chao, 2016)
„Crosscurrent“ ist ein Muster-Beispiel des gegenwärtigen chinesischen Kinos. Ein mystisches Kino, genau in einer goldenen Mitte zwischen Moderne und Tradition, das in gewaltige Bilder verstaut ist. Dessen technischer Bombast immer noch eine geradezu leise Poetizität erreicht.
Beste Nebendarstellerin:
Bruna Amaya („Casa Grande“)
Sandrine Kiberlain („Being 17“)
Kirin Kiki („After The Storm“)
Daniela Nefussi („Don’t Call Me Son“)
Judith State („Sieranevada“)
And the winner is ...
Judith State („Sieranevada“)
Unvergessen bleibt vor allen Dingen den langen One-Take-Wonder im Auto, in dem ihr Spiel in mein Herz drang, ohne sie überhaupt sehen zu können. Zwischen uns die Beifahrersitzbank.
Bester Nebendarsteller:
Matheus Nachtergaele („Don’t Call Me Son“)
Adrian Titieni („Ilegitim“)
Tom Hardy („The Revenant“)
Bjarne Mädel („24 Wochen“)
Farid Sajadhosseini („The Salesman“)
And the winner is ...
Matheus Nachtergaele („Don’t Call Me Son“)
Matheus Nachtergaele, ohnehin ein ganz großer Schauspieler, schafft es in Anna Muylaerts sehenswertem Queer-Drama „Don’t Call Me Son“, eine nuancenreiche Darbietung zwischen rationalem Verständnis gegenüber dem Sohn und Ärger/Enttäuschung über eine wahrgenommene Undankbarkeit zu leisten. Sehenswertes Schauspielkino aus Brasilien.
Beste Hauptdarstellerin:
Brie Larson („Room“)
Sonia Braga („Aquarius“)
Sandra Hüller („Toni Erdmann“)
Maria Poezhaeva („Corrections Class“)
Alina Grigore („Ilegitim“)
Von allen Entscheidungen fiel mir diesem am leichtesten. Alina Grigores Leistung in diesem ohnehin schwer zu spielenden Thema des Zwillingsinzestes war von begeisternder Intensität.
Bester Hauptdarsteller:
Jacob Trembley („Room“)
Josef Hader („Vor der Morgenröte“)
Peter Simonischek („Toni Erdmann“)
Robi Urs („Ilegitim“)
Mimi Branescu („Sieranevada“)
Ohne Peter Simonischek hätte Maren Ade ihren Sensationsfilm „Toni Erdmann“ wohl nicht machen können. Es bedarf einer doppelten Balance; zunächst der, die oberflächliche Komik seiner Clownsfigur nicht zu einer reinen Klamaukmaschine zu machen und dann noch durch die Albernheit seiner Figur hindurch noch eine tief spürbare Tragik und Sehnsucht dringen zu lassen. Selbst mit einer Ade als Produzenten müssen die Amerikaner bei ihrem Remake erstmal einen Schauspieler finden, der solches zum Leisten instande ist.
Beste Regie:
Radu Jude („Scarred Hearts“)
Joachim Trier („Louder Than Bombs“)
Maren Ade („Toni Erdmann“)
Adrian Sitaru („Ilegitim“)
Cristi Puiu („Sieranevada“)
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Adrian Sitaru („Ilegitim“)
Ein Geniestreich. Sitaru lässt seine Figuren das Erzählte wirklich Erleben und subordiniert sich selbst als Erzähler unter seine Schauspieler, die mit Improvisationen die Handlungen vorantreiben. Dafür gibt es den Goldenen Tellerrand für beste Regie!
Bester Film:
„The Salesman“ (Asghar Farhadi, 2016)
„Embrace Of The Serpent“ (Ciro Guerra, 2015)
„The Woman Who Left“ (Lav Diaz, 2016)
„After The Storm“ (Hirokazu Koreeda, 2016)
„Being 17“ (André Téchiné, 2016)
„A Lullaby To The Sorrowful Mistery“ (Lav Diaz, 2016)
„Cemetery Of Splendour“ (Apichatpong Weerasethakul, 2015)
„Toni Erdmann“ (Maren Ade, 2016)
„Ilegitim“ (Adrian Sitaru, 2016)
„Sieranevada“ (Cristi Puiu, 2016)
And the winner is .....
„Sieranevada“ (Cristi Puiu, 2016)
Als Gesamtes konnte dieses Jahr kein Film Cristi Puius Meisterwerk „Sieranevada“ das Wasser abgraben. Dieses seltene Glanzstück, in dem einfach alles gelingt und der in seiner Form einzigartig ist, ist der beste Film des Jahres 2016.
Statistisches:
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Für Nominierungen in Frage kamen:
Siehe Jahresliste
Anzahl der Nominierungen:
„Sieranevada“, 7 Nominierungen
„Cemetery Of Splendour“, 6 Nominierungen
„A Lullaby To The Sorrowful Mistery“, 6 Nominierungen
„Embrace Of The Serpent“, 6 Nominierungen
„Toni Erdmann“, 6 Nominierungen
„Ilegitim“, 5 Nominierung
„The Revenant — Der Rückkehrer“, 5 Nominierungen
„Being 17“, 4 Nominierungen
„Raman Raghav 2.0“, 2 Nominierungen
„American Honey“, 4 Nominierungen
„The Salesman“, 3 Nominierungen
„Corrections Class“, 3 Nominierungen
„Scarred Hearts“, 3 Nominierungen
„Ja, Olga Hepnarová“, 3 Nominierungen
„After The Storm“, 2 Nominierungen
„The Woman Who Left“, 2 Nominierungen
„Aquarius“, 2 Nominierungen
„Louder Than Bombs“, 2 Nominierungen
„Son Of Saul“, 2 Nominierungen
„Don’t Call Me Son“, 2 Nominierungen
„Crosscurrent“, 2 Nominierungen
„Tangerine“, 2 Nominierungen
„Room“, 2 Nominierungen
„Evolution“, 2 Nominierungen
„Arrival“, 2 Nominierungen
„Chi-Raq“, 2 Nominierungen
„Vor der Morgenröte“, 1 Nominierung
„Koza“, 1 Nominierung
„Princess“, 1 Nominierung
„Nocturnal Animals“, 1 Nominierung
„Casa Grande“, 1 Nominierung
„Big Big World“, 1 Nominierung
„Creepy“, 1 Nominierung
„A Dragon Arrives!“, 1 Nominierung
„Viktoria“, 1 Nominierung
„Soy Nero“, 1 Nominierung
„Anomalisa“, 1 Nominierung
Anzahl der Siege:
„Sieranevada“, 3 Siege
„Ilegitim“, 2 Siege
„Embrace Of The Serpent“, 2 Siege
„Cemetery Of Splendour“, 2 Siege
„A Lullaby To The Sorrowful Mistery“, 1 Sieg
„Toni Erdmann“, 1 Sieg
„The Woman Who Lef“, 1 Sieg
„Corrections Class“, 1 Sieg
„Raman Raghav 2.0“, 1 Sieg
„Crosscurrent“, 1 Sieg
„Anomalisa“, 1 Sieg
„Arrival“, 1 Sieg
„Don’t Call Me Son“, 1 Sieg
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