Drei Thesen vs. Rabiye Kurnaz: Eine Polemik.
Originaltitel: Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush
Produktionsland: Deutschland
Veröffentlichungsjahr: 2022
Regie: Andreas Dresen
Drehbuch: Laila Stieler
Bildgestaltung: Andreas Höfer
Produktion: Claudia Steffen, Christoph Friedel
Montage: Jörg Hauschild
Darsteller: Meltem Kaptan, Alexander Scheer, Charly Hübner, Nazmi Kırık, Sevda Polat, Ramin Yazdani, Abdullah Emre Öztürk, Şafak Şengül, Jeanette Spassova, Abak Safaei-Rad, Alexander Hörbe, Ziya Güneri
Laufzeit: 118 Minuten
In ihrer Verzweiflung, ihrem in Guantanamo einsitzenden Sohn zu helfen, wendet sich die Bremer Hausfrau und Mutter Rabiye Kurnaz an die Polizei, benachrichtigt die Behörden und verzweifelt fast an deren Unfähigkeit.
Quelle: imdb.com
Replik:
Vorweg: Ich mag die Filme von Andreas Dresen. Ich bin mit ihnen aufgewachsen, ich finde seine Verknüpfung von Historien- und sozialdramatischen Stoffen häufig klug gewählt. Ich halte ihn insbesondere als Chronist ostdeutscher Identität für wichtig und nicht selten habe ich mich sogar gefragt, ob ihm eine noch eine größere Karriere beschienen wäre, wenn das deutsche Filmfördersystem seinen sehr deutschen Graubrotrealismus früher und stärker als eine eigene international konkurrenzfähige Handschrift erkannt und ihn als Film-Auteur gepusht hätte. Jetzt kann man ein solches international angelegtes Projekt wie „Rabiye Kurnaz vs. George W. Bush“ samt seines Budgets durchaus als eine solche Chance begreifen und doch (oder gerade deswegen) ist dieses Werk von riesigen Missverständnissen und krachendem künstlerischen Scheitern durchzogen. Es muss hier und dort Spekulation bleiben, inwiefern Andreas Dresen selbst hier mit seinem wohl schwächsten Film daneben gehauen hat und wie sehr der Film als Förder-Brei, in der zu viele Köche mitsprechen wollten, so missraten werden konnte. Fest steht, dass „Rabiye Kurnaz“ in vielerlei Hinsicht unfreiwillig das gestörte Verhältnis der Deutschen zu verschiedenen Kulturinstanzen und -institutionen ausdrückt. Drei Thesen vs. Rabiye Kurnaz.
1. „Rabiye Kurnaz“ offenbart unfreiwillig das deutsche Verhältnis zum Humor
„Rabiye Kurnaz vs. George W. Bush“ ist eine David-gegen-Goliath-Geschichte. Die türkischstämmige Rabiye Kurnaz wundert sich, dass eines Tages ihr ältester Sohn Murat nicht mehr nach Hause kommt. Es stellt sich heraus, dass er wegen Verdacht auf Beteiligung des Anschlags vom elften September nach Guantanamo gebracht wurde und dort nun ohne Prozess festgehalten wird. Aber einer Rabiye Kurnaz (Meltem Kaptan) ist das egal! Die etwas quirkige, verschrullte Türkin macht sich beim Bremer Anwalt Bernhard Docke (Alexander Scheer) vorstellig und legt sich mal eben mit der Supermacht USA an! Echt wahr? Ja! Hahahahaha! Eine unglaubliche Geschichte!
Die Haltung des Films „Rabiye Kurnaz vs. George W. Bush“ zu seiner wahren historischen Begebenheit ist tatsächlich genau diese Akzentuierung des Absurden und Unpassenden. Das Kleine gegen das Große. Die schrullige, herzensgute Einwanderermama gegen die Windmühlen des amerikanischen Rechtssystems. In jeder Szene, in jedem Beat, in jeder einzelnen Dialogzeile geht es dem Film einzig und allein darum, sich auf dieses Missverhältnis draufzusetzen und es auszupressen. Besonders materialisieren tut sich das in der Hauptfigur Rabiye Kurnaz und deren Besetzung, der Stand-Up-Comedien Meltem Kaptan. Kaptan spielt diese Figur ohne jegliche psychologische Nuancen tatsächlich im Stile einer nicht enden wollenden Quatsch-Comedyclub-Performance. Ein aufgesetztes, cartooneskes Schauspiel, damit auch der letzte deutsche Spießbürger in der allerletzten Kinoreihe begreift, dass das jetzt lustig sein soll, weil Frau Kurnaz auf diese Weltbühne des internationalen Rechts einfach nicht reinpasst. Hahaha!
Klammern wir zunächst einmal aus, ob es überhaupt eine gute Idee ist, aus dieser Geschichte eine nahezu-reinrassige Komödie zu machen:
Die Deutschen sind allgemein nicht besonders für ihre guten Komödien bekannt, hier sieht man exemplarisch woran es ihnen mangelt. Es ist der Mut, bzw. das Selbstbewusstsein, dass etwas Gesagtes uneindeutig sein darf, dass ein Lachen etwas Optionales bleibt. Ein guter Witz oder eine wirklich lustige Situationskomik zeichnet sich ja genau dadurch aus, dass man nicht durch einen dramaturgischen Takt (Badumm-Tss), eine vorhersehbare Pointe oder eine im Vornherein völlig offensichtliche Absicht des Dargestellten (wie in diesem Falle) die eigene Witzigkeit bereits als Grundvoraussetzung mitbringt, dass eine Szene als solche verstanden werden kann. Eine gelungene Witzigkeit ist entweder überraschend oder optional, im besten Fall beides. Ich kann eine Situation oder Figur gleichzeitig ernstnehmen und sie lustig finden.
Der drastischste Gegenpol zu dem deutschen (Miss)Verständnis der Komödie findet sich vielleicht in der rumänischen Komödie. Insbesondere die frühen Werke von Corneliu Porumboiu haben eine geradezu naturalistische Ernsthaftigkeit, in denen eingesät die absurden Situationen seiner Filme viel lustiger sind, eben weil sie einer real-situativen Witzigkeit nahekommen (der allgemeinen Witzigkeit des Alltags liegt ja auch kein schlechter Heute-Show-Sketch-Autor oder eine Meltem-Kaptan-Performance zugrunde; wir lachen oder wir lachen nicht). Besonders der Cristi-Puiu-Film „The Death Of Mr. Lazarescu“ lässt sich hier als Gegenbild zu Rabiye Kurnaz ins Feld führen. Der Film ist eine zweieinhalbsstündige Tortur eines alten, schrulligen (!) Mannes, der auf der Suche nach einem Krankenhausplatz ist. Dabei nimmt der Film den alten Mann und sämtliche andere Figuren und Situationen sozialrealistisch wahr und gerade dadurch ist dieser Film dann so humorvoll wie das Leben selbst. Das wäre genau der richtige Modus für eine Figur wie Rabiye Kurnaz gewesen. Die Schrulligkeit dieser Person wäre auch und gerade dann zur Geltung gekommen, gerade dann wäre diese Absurdität der falschen Person am falschen Ort, auf die Dresen und Co hier so stolz sind, wirklich rübergekommen und hätte gleichzeitig auf einer realistischen Ebene der politischen Ernsthaftigkeit funktioniert.
Klar, Puiu macht ja Arthouse-Filme und das hier ist … ja, was eigentlich? Ein Publikumsfilm? Ein Fernsehfilm? Wenn das von Anfang an die Etikette des Filmes gewesen, wäre ich wohl auch nicht so ausfallend polemisch. Aber „Rabiye Kurnaz“ will ja Autorenfilm, politischer Film und deutsche Repräsentanz auf A-Filmfestivals und bald wohl auch bei den Oscars sein. Und das ist dann ein Problem, weil der Film dort sang- und klanglos baden gehen wird. Man spürt hier ganz eindeutig eines: Die Angst des Produzenten(teams) an den Kinokassen nicht eindeutig genug zu sein. Der Erfolg des Films zeigt ja Eindeutigkeit zahlt sich aus. Das sagt aber weder über die Qualität des Filmes etwas aus, als über die Klasse des deutschen Humors. Der Deutsche geht nicht zum Lachen in den Keller, aber er braucht einen Sketch-Autoren und eine Stand-Up-Comedien, die ihm die Lustigkeit des Gesehenen punktgenau soufflieren.
2. „Rabiye Kurnaz“ offenbart unfreiwillig das deutsche Verhältnis zum politischen Film
Einerseits setzt sich „Rabiye Kurnaz“ zu jedem Moment karikaturesk auf seine eigene Lustigkeit, andererseits will er dann doch auch ein ernster Film, ein Drama sein. Wie oben gezeigt, wäre der Film dem mit einem optionaleren Komödienverständnis sehr einfach nähergekommen. Umso grotesker erscheinen dann aber vor allem die gelegentlichen Ausflüge des Films, sich als politischer Film positionieren zu wollen. Das Drehbuch hat wohl selbst ab irgendeinem Punkt vergessen, dass es ja eigentlich um eine trauernde Mutter geht, dessen Sohn jahrelang unrechtens verschleppt und gefoltert wurde. Auch diese Ambivalenz zwischen trauernder Mutter und schrulliger Migrantin geht völlig in der Performance von Meltem Kaptan unter. Drehbuchautorin Laila Stieler hat daher eine einzige (!) Szene in das Buch geschrieben, in der Rabiye Kurnaz dann besonders viel und besonders effekthascherisch in einem Gottesdienst weinen darf. Auch das sagt viel über die fehlende Zwischentonalität der Figurenpsychologie aus. Einmal kurz weinen und dann darf wieder weiter über die, haha, schrullige Rabiye Kurnaz gelacht werden. Von Ambivalenz keine Spur.
Und noch etwas: Dieser Film ist ja rein thematisch hochgradig politisch. Hier geht es darum, dass die USA, der wichtigste Verbündete der Bundesrepublik, wissentlich internationales Recht und individuelle Menschenrechte gebrochen hat, u.A. um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg rechtzufertigen. Und begreift man Murat Kurnaz als einen Deutschen (er hatte zu diesem Zeitpunkt keine deutsche Staatsbürgerschaft), dann ist der Fall Kurnaz eine direkte deutsch-amerikanische Affäre. Auch wenn es— typisch deutscher Film — fast zwei Jahrzehnte für diesen Film gebraucht hat, ist das natürlich immer noch eine brisante politische Aktie. Dresens Film aber bleibt in seinem Angriff auf die amerikanische Politik oberflächlich, zumal Kritik an George W. Bush in der Gegenwart ohnehin ein Gemeinplatz ist (der eher von amerikanischen als von europäischen Intellektuellen/Filmemachern erobert wurde). Die Kritik an der rot-grünen Regierung unter Schröder bleibt auf einzwei Oneliner reduziert und dann ergeht sich „Rabiye Kurnaz“ auch noch in einer völlig realitätsfremden Merkel-Beweihräucherung. Im Film sieht es tatsächlich so aus, als hätte die CDU-Kanzlerin höchstpersönlich Murat Kurnaz aus dem Gefängnis befreit, so sehr fallen ihre Angelobung und die Freilassung des verlorenen Sohnes dramaturgisch zusammen. Würde sich herausstellen, dass dieser Film mit Geldern aus CDU-nahen Stiftungen finanziert wäre, es würde mich nicht überraschen.
3. „Rabiye Kurnaz“ offenbart unfreiwillig das deutsche Verhältnis zum Film als Kunstform
Vielleicht ist die eigentliche Tragödie hinter diesem Film aber seine Rezeptionsgeschichte. Denn diese besagt, dass die deutsche Filmindustrie und das deutsche Kinopublikum genau solche Filme sehen und auszeichnen wollen. Es ist schon schlimm genug, dass nach „Ich bin dein Mensch“ ein weiteres Mal ein Film beim Filmpreis so abräumt, der dramaturgisch und filmhandwerklich betrachtet ins Fernsehen gehört und keine Qualität für ein A-Film-Festival hat. Beim deutschen Filmpreis ging der Film dann sogar mit zehn Nominierungen ins Rennen, gewann den Hauptpreis in Silber und dann ausgerechnet auch noch den Preis für die beste Hauptdarstellerin. In einer Kulturindustrie, in der man eine schrullige Latenight-Show-Performance als adäquat ansieht, anstatt auf fein austarierte Ambivalenzen zwischen Komischen, Tragischen und Politischen zu setzen, macht diese Auszeichnung natürlich Sinn. Für mich ist sie ein Grund, mich mit dem Gedanken zu beschäftigen, meine Staatsbürgerschaft abzugeben.
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