Kultfilm ohne Kult. Eine ganz persönliche Generaldefinition von Coolness.
Originaltitel: Reprise
Alternativtitel: Auf Anfang
Produktionsland: Norwegen
Veröffentlichungsjahr: 2006
Regie: Joachim Trier
Drehbuch: Joachim Trier, Eskil Vogt
Produktion: Karin Julsrud
Kamera: Jakob Ihre
Montage: Olivier Bugge Coutté
Musik: Ola Fløttum, Knut Schreiner
Darsteller: Anders Danielsen Lie, Espen Klouman-Høiner, Viktoria Winge, Christian Rubeck, Pål Stokka
Laufzeit: 105 Minuten
“Auf Anfang” erzählt die Geschichte der Freunde Erik und Phillip, zweier gegensätzlicher junger Männer, die am Anfang ihrer Schriftstellerkarriere stehen. “Auf Anfang” ist ein leichter und zugleich tiefsinniger Film über das Zusammenspiel von Freundschaft und Verrücktheit, Genie und Wahnsinn, Kreativität und Liebe, Hoffnung und Traum, die mit der Realität des Lebens zusammenprallen und zu ungeahnten Wegen führen – traurigen und glücklichen. “Auf Anfang” erzählt vom Reichtum der Möglichkeiten, die das Leben bietet. Ein Film über das Lebensgefühl der Twenty-Something-Generation, so wie einst François Truffauts “Jules & Jim”.
Quelle: moviepilot.de
Replik:
Es gibt Filme, die schaut man mit anderen Menschen und weiß schon während des Schauens, dass der Film etwas komplett anderes in einem auslöst als in der anderen Person, die an der Film-Sichtung beteiligt ist. Wenn Figuren einen Witz erzählen, musst du auch lachen. Wenn sie weinen, weinst du auch. Und immer wenn sie lächeln, lächelst du zurück. Es ist wie Liebe auf dem ersten Blick und du denkst dir, dieser Film ist für dich gedreht worden. Der Regisseur versteht dich. Für mich macht Joachim Trier generell solche Filme. Aber währenddessen sein zweiter Film „Oslo, 31. August“ diese Wahlempathie auch sehr gezielt narrativ ausspielt und einer raffinierten Struktur einordnet, scheint „Reprise“ ein Film zu sein, der wie ein Selbstporträt Joachim Triers und seiner Jugend vorkommt. Fragmentarisch und mit experimentellen Anleihen an der Nouvelle Vague will Joachim Trier nicht wirklich eine zusammenhängende Geschichte erzählen, sondern breitet anekdotische Szenen, bestenfalls angeschnittene Figurencharakterisierungen und jede Menge Selbstreflexion vor dem Zuschauer aus. Das daran durchaus Rafinesse und Klasse steckt, kann man aber wohl nur genießen, wenn man dem ganz speziellen Sog des Films unterliegt. „Reprise“ ist für eine vermutlich eher kleine Zielgruppe ein Film mit umso größerem Kultfilmpotenzial.
Ein persönlicher Film
Deswegen muss eine Liebeserklärung an diesen wunderbaren Film eine recht persönliche sein. Dabei ist der Film eben auch, so lässt sich zumindest mutmaßen, sehr persönlich. Da „Reprise“ der Debütfilm des Norwegers Joachim Trier ist, er das identische Milieu bespielt wie sein zweiter Film „Oslo, 31. August“ und wie aus Erinnerungen und Figuren aus dem Leben eines Künstlers zusammengewürfelt wirkt, erscheint der Film wie eine klare autobiografische Selbstreflexion. Dabei drückt „Reprise“ ein Lebensgefühl, ein Humor, sowie Hoffnungen und Träume aus, die eben nicht für eine bestimmte Generation einhundertprozent repräsentativ sind. Denn diese Eigenheiten der Clique von Phillip und Erik, so heißen die beiden Protagonisten, die davon träumen Schriftsteller zu werden, sind diskrepant und bedienen keinen Stereotypen. Es ist eine Mischung aus vulgärem und postpubertärem allerdings gebildet referenziertem Humor und einem Selbstverständnis, dass das eigene Leben, samt seiner Historie, seiner Talente und Überzeugungen, eines von künstlerischem Belang ist. Natürlich sind diese beiden schwer vereinbaren Pole des prolligen Spätjugendlichen und des ernstzunehmenden Intellektuellen bei den verschiedenen Cliquen-Mitgliedern unterschiedlich stark zu einer der beiden Richtung hin ausgeprägt. In der Natur der Sache liegt, dass beide Protagonisten die beiden größten Künstlernaturen des Freundeskreises sind, denn wie man sich vorstellen kann, ist der Regisseur Joachim Trier, der sich wohl selbst tendenziell eher als Protagonist verwirklicht, wohl selbst einst einer der künstlerischen Menschen in seinem Umfeld gewesen.
Keine Nerds, keine Geeks, keine Hipster
Aber wie affirmativ Trier hier diesen seltenen Gestus darstellt, lässt sich „Reprise“ tatsächlich als eine Art subjektive Generaldefinition von Coolness lesen. In einer bezeichnenden Szene spielt Erik, dessen Buch endlich verlegt werden soll, in Gedanken durch, seine feste Freundin Lilian zu verlassen. Der Grund: „Wir können doch jetzt nicht mit jemanden zusammen sein. Das geht nicht. Wir müssen schreiben und Bücher lesen und mit Freunden zusammen sein. Und wenn wir’s brauchen, können wir einfach zu einer Prostituierten gehen und perversen und fetischistischen Sex haben.“ Man muss als Zuschauer nicht cool finden, dass hier das Lesen und Schreiben von Büchern das Parade-Definiens von Coolness ist. Keine Selbstverständlichkeit. Für den Film ist es das aber. Allerdings sind Erik und Philipp eben keine bloßen Nerds, uncoole Gestalten, die nur für die Hingabe zu ihrer Sache leben und sich in diese hinein definieren. Schon gar nicht Geeks, die dasselbe auf pur-affirmative Weise in einer kapitalistisch gesteuerten Massenkultur tun. Sie sind auch keine Hipster, die die Beschäftigung mit ihrer Sache als Ausstaffierung und Oberflächenpolitur ihres Profils missbrauchen. Nein, sie haben ein (Zitat, „Reprise“:) „echtes Verhältnis“ zu ihrer Sache, der Literatur, und gleichzeitig, wie eine zweite Seele, die, ach, in ihrer Brust wohnt, diesen so pubertären und derben Humor, der ihre Künstlerbestrebungen kommentiert, aber auf verquere Weise nur zu bestärken scheint. Es scheint, als sei dieses diskrepante Moment in der Reprise-Clique, aber insbesondere natürlich in Erik und Philipp, so etwas wie ein verliebte Selbstwahrnehmung, die als Alleinstellungsmerkmal erkannt und vermutlich auch genau so in den fiktiven Büchern der Protagonisten „Prosopopeia“ und „Phantombilder“ zum Ausdruck gebracht wird.
Ist das cool? Ich meine ja.
Eine Humor-Analyse
Nicht viel später heißt es dann aus dem Mund eines anderen Freundes: „Frauen sind nicht cool, sorry. Also, sie sind hübsch oder sie sind süß und bei konstruktiven Schlankheitswahn vielleicht sogar schön. Wenn du Glück hast sind sie nett oder lieb, gutgläubig. Aber wie lange hältst du das Nettsein aus? Du willst coole, intelligente Leute um dich herum haben und Frauen sind einfach nicht cool, auf keinen Fall. Hast du schonmal eine Frau getroffen, die wirklich cool ist? Die dir irgend’ne Musik vorspielt, die du noch nicht gehört hast oder dir irgendeine gute Literatur empfiehlt, die wir noch nicht schon in der Schule gelesen haben? Irgendwas, das nicht direkt zum Mainstream gehört? Wenn dann haben die das nur von ihrem Ex-Freund, von ihrem Bruder, ihrem Vater, die haben doch kein echtes Verhältnis dazu. Die tun nur so.“ Hier muss man nun ansetzen, um den Humor dieser Clique zu analysieren, der sich prima facie so sehr vom seriösen Umgang mit Weltliteratur und der Ambition als Künstler ernstgenommen zu werden, unterscheidet. Dieses Zitat ist aber auch gerade deshalb so passend, da sich der Humor der Clique durch ein Selbst-verständnis als cool definiert, eben weil dieser Humor einen intellektuellen Rückblick auf die Clique selbst, samt ihrer Postpubertät und Primitivität richtet. Darin liegt ihre interessante Ironie, die ebenfalls in diesem Zitat sehr gut zur Geltung kommt.
Natürlich meint Eriks Freund diese misogyne Schwarzweißmalerei nicht vollständig ernst, später im Film wird auch ausgerechnet ein Song einer feministischen Band (Le Tigre – Deceptacon) gespielt, der in der Clique anscheinend Kultstatus innehat, und gerade die Sicherheit und Eingespieltheit, dass die Clique sich so gut untereinander kennt, dass hier selbst bei Anwesenheit von Frauen keine Missverständnisse aufkommen können, treibt deren Humor an die Spitze und erzeugt ein Schubladendenken, das in seiner konsequenten Übertriebenheit witzig ist. Aber, und das muss auch gesagt werden, Humor ist auch immer ein Abreagieren bzw. Umkanalisieren von ernstzunehmenden Konflikten. Ist Eriks Clique also wirklich misogyn? Es ist wohl meiner Ansicht nach so, dass diese Gruppe das intellektualisierend umkehrt, was affektiv durchaus da ist und aus dieser Diskrepanz Humor entsteht. Also wissen Eriks Freunde z.B., dass Feminismus per se eine gute Sache ist und die Theorie der Gleichheit der Geschlechter Sinn macht, gleichzeitig aber haben sie selbst noch keine Frauen kennengelernt, die ihre Vorstellung von Coolness (die ja primär über den Intellekt definiert ist) erfüllt oder übertrifft. Das heißt, hier wird eine persönliche, empirische Enttäuschung, dadurch, dass sie theoretisch-intellektuell davon ausgeht, eigentlich Humbug zu sein, durch Humor derart übertrieben, dass es als Witz gekennzeichnet wird — jedenfalls für Leute, die ihren Humor verstehen.
Aber es ist eben nicht nur die intellektuelle Potenz, die hier als cool gilt, sondern auch die humorvolle Distanz zum eigenen Intellekt, genauso wie zum Albern-Jugendlichen und die Tatsache, dass diese Verknüpfung der Extreme durch den Humor selbst noch eine seltene Mitte trifft. In einer wirklich wunderbaren und sinnbildlichen Szene kommt nämlich die junge Literatur-Master-Studentin und Verlagspraktikantin Johanne, die Eriks Buch umjubelt und ja durchaus Bildung und einen eigenen Ansatz zur Literatur mitsichbringt. Aber sie ist empört von der Gruppe, versteht den „Humor in dieser Clique“ nicht. Sie betrachtet nämlich das Pubertäre und das Intellektuelle als sich zwei ausschließende Prinzipien und versteht nicht, dass diese beiden Pole sich auch produktiv und reziprok gegeneinander verhalten können, geschweige denn, dass dies sogar Coolness konstituieren könnte. Deswegen gilt Johanne bei Eriks und Philips Freunden als uncool.
Da ich wie bereits erwähnt, diese seltene Kollision zweier scheinbar gegensätzlicher Extreme ziemlich cool finde, ist es klar, bei wem in dieser Szene meine Sympathien lagen und bei wem nicht. Allerdings ist das jedem Zuschauer selbst überlassen, da die Figur Johanne und der Personentyp, für den sie steht, hier keineswegs entwürdigt wird.
Wählbarkeit der Wahrheitsgehalte
An „Reprise“ erfrischt aber vor allem sein leichtfüßiger Umgang mit der Dimension der erzählten Zeit. Das anekdotisch ornamentierte Reden eines Off-Sprechers über die Vergangenheit erinnert manchmal gar an die Erzählmodi der Scorsese-Gangster-Epen „Good Fellas“ und „Casino“, auch wenn der Film dank seiner Darstellung einer Bohème-Jugendkultur häufiger mit der französischen Nouvelle Vague verglichen wird. Scheinbar wahllos springt die Narration zwischen der Vergangenheit der Figuren, vermeintlicher Gegenwart und im Konjunktiv erzählter Zukunft umher. Allerdings auch nur scheinbar, denn das Übereinanderlagern der drei Zeitformen verschmilzt zu einem Mittendrin-Gefühl, das mit konventionell(eren) Erzählmethoden nur von wenigen Filmen erreicht oder übertroffen wurde. Was hier Wahrheit oder nur erträumte Wahrheit ist, ist zudem relativ unklar und vermengt sich zu einer individuell gefühlten Wahrheit. Das versöhnliche Ende des Films, manchen Zuschauern fällt das beim ersten Schauen vielleicht gar nicht auf, ist nämlich auch ein im Konjunktiv verfasstes. Ist das Happy-End also genauso fiktiv wie der Autor Sten Egil Dahl oder die Osloer Punk-Band Kommune, die im Film derart authentisch dargeboten werden, dass es sich auch genauso gut um Cameo-Auftritte echter norwegische Künstler handeln könnte? „Reprise“ lenkt durch die Quasi-Wählbarkeit der Wahrheitsgehalte seiner Fiktion den Fokus auf die Schönheit der Fiktion selbst. Und fungiert damit natürlich auch als Meta-Kommentar auf das Künstler-Sein.
Was ist hier Reprise?
Die titelgebende Reprise, die Wiederholung, bezieht sich auf dem ersten Blick auf das Verhältnis des psychotisch-depressiven Philipps zu seiner Freundin Kari, die sich trennen und wieder zusammenkommen und einen Parisurlaub imitieren, auf dem sich sich einst nahegekommen sind und sich in einander verliebt haben. Aber nicht nur die Frage, ob die beiden wieder zusammen kommen werden oder nicht verfrachtet Trier in die Optionalität des Zuschauers, auch was an diesem Film tatsächlich die Reprise ist. Ist es tatsächlich die Beziehung zwischen Philipp und Kari oder doch etwas anderes? Vielleicht die Autorenkarriere Eriks, die im Film auffällig akzentuiert wird. Und vielleicht, und hier ist die Erzählweise wieder Kommentar auf etwas Afilmisches, außerhalb des Filmes liegendes, lässt sich der Film ja auch als Umdichtung des Lebens verstehen. Sei es das des Autoren Joachim Triers oder das des Zuschauers, der das Glück hat sich mit diesem Film, seinem Humor, seiner Position zum Leben, seiner Liebe und seiner Coolness, identifizieren zu können.
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