Hedonismus als Witz ohne Pointe.
Originaltitel: The Beach Bum
Alternativtitel: Beach Bum
Produktionsland: USA
Veröffentlichungsjahr: 2018
Regie: Harmony Korine
Drehbuch: Harmony Korine
Produktion: Charles-Marie Anthonioz, Mourad Belkeddar, Steve Golin, John Lesher, Nicholas Lhermitt
Kamera: Benoît Debie
Montage: Nick Fenton, Colby O’Brien
Darsteller: Matthew McConaughey, Snoop Dogg, Isla Fisher, Jimmy Buffett, Zac Efron, Martin Lawrence, Jonah Hill
Laufzeit: 95 Minuten
Als Beach Bum, also als „Gammler am Strand“, würden viele den Kiffer Moondog (Matthew McConaughey) bezeichnen. Dabei will der rebellische Mann sein Leben eigentlich nur nach seinen eigenen Regeln gestalten. Durch Begegnungen mit anderen besonderen Seelen wie Lingerie (Snoop Dogg), Flicker (Zac Efron), Lewis (Jonah Hill), Heather (Stefania LaVie Owen) und seiner eigenen Frau Minnie (Isla Fisher) stolpert der Tunichtgut von einem verrückten Abenteuer ins nächste. Während andere ihm vorwerfen, dass er seine Talente vergeudet, will er in Wahrheit seine richtige Frequenz finden. Doch dann stellt eine Richterin ihm ein Ultimatum und plötzlich sieht sich Moondog mit der unmöglichen Aufgabe konfrontiert, den nächsten großen amerikanischen Roman zu schreiben. Doch ob da etwas Pulitzerpreis-Würdiges dabei herauskommt?
Quelle: moviepilot.de
Replik:
„The Beach Bum“ ist aufgebaut wie ein Witz. Ein merkwürdiger Witz, aber ein Witz.
Er geht so: Es war einmal ein chaotischer Poet namens Moondog, der den ganzen Tag säuft, kifft und mit jungen Frauen schläft — und alle lieben ihn. Seine Tochter will einen Langweiler heiraten und Moondog verhält sich ihm gegenüber wie ein Arschloch — Aber sie liebt ihn. Mit ihrer Mutter, Moondogs reiche Ex-Frau, zieht er noch einmal durch die Nacht und verursacht fahrlässig und sturzbetrunken ihren Beifahrertod. Im Sterbebett grinst sie ihn an — denn sie liebt ihn. (Das war jetzt die Hälfte des Witzes) Der Rest geht so: Moondog schlägt sich durch, beleidigt Polizei und Mitmenschen, wirft Menschen mit Tubas ins Meer — Die Menschen lieben ihn! Er schreibt ein sexuell anrüchiges Gedicht über seine verstorbene Frau — Die Menschen lieben ihn! Moondog wird am Ende reich, verbrennt sein Geld, lässt versehentlich sein Privatboot explodieren, überlebt und treibt glücklich ins Meer hinaus — währenddessen alle ihn lieben. Got the joke?
Ein Barde des Grotesken
Gut. Denn das scheint notwendig, um Harmony Korines Kunst verstehen zu können. Jedenfalls wie ich sie bislang verstanden habe. Korine ist spätestens seit seinem genialen „Spring Breakers“ ein Beobachter des amerikanischen Traums, der diesen in groteske Überzeichnungen übersetzt. Während „Spring Breakers“ noch eine genre-fluide Skulptur war, die aus realistischem Coming-of-Age-Film, über stupide Party-Collagen und Gangstafilm-Anleihen in eine surreal überzeichnete Traumsequenz navigiert und damit den Party-Hedonismus als eine Bewegung der Gewalt nachzeichnet, ist „The Beach Bum“ eine erheblich immobilere filmische Gestalt. Eben ein Witz, gar ohne richtige Pointe. Ein Witz, dessen Pointe seine Pointenlosigkeit ist. Permanenz und Nicht-Entwicklung sind hier die bewussten dramatischen Strategien. Dauerbeschallung und -belullung von Drogen, Sex, Vulgarität und Scheißegalattitüde.
Man kann den Film auf zwei verschiedene Weisen schauen. Entweder man nimmt ihn als eine amerikanische Stoner-Komödie wahr. Dann ist er sicherlich ganz nett. Absurde Dialoge und Situationskomik, Snoop Dogg, riesige Joints, Weihnachtsbäume aus jamaikanischem Dope … Nur dann fragt man sich sicherlich, warum sich alles so anfühlt, als ginge nichts weiter. Dann fällt nämlich seine fehlende plotzentrierte Erzählung auf, die eine amerikanische Mainstreamkomödie für gewöhnlich zeichnet. Beziehungsweise genauer: Dass Korine seine Plotpoints lustlos abarbeitet und bewusst selbst sabotiert, als wäre alles was er erzählt nichts wert. Bei Korine muss man immer ganz genau hinschauen, was sich unter der „Oberfläche“ eigentlich verbirgt, bzw. wie diese Oberfläche eigentlich angeordnet ist, selbst (bzw. gerade dann!), wenn sie uns so überaus vertraut scheint.
Gewalt und Wertelosigkeit
Eine exemplarische Szene ist hier das Begräbnis von Moondogs Frau. Gelacht wurde im Kino zwar schon viel über Beerdigungen. Aber eigentlich nur über das Wie. Hier stirbt allerdings Moondogs Frau in einem fingerschnippendem Dreischritt aus Ausgeh-Abend, Auto-Unfall und direkt anmontierter Beerdigung, lakonisch wie lässig erzählt. Eben wie ein Witz. Sodass wir tatsächlich schon dann lachen, als wir Moondog als Teil der Trauergäste sehen. Wir lachen über einen Tod. Dieselbe morbid-rhetorische Figur wird sich in „The Beach Bum“ noch mindestens ein weiteres Mal fortsetzen, als wir einen delfinvernarrten Freund von Moondog und seine Unfähigkeit, Delfine von Haien zu unterscheiden, kennenlernen.
Und sind wir mit dem Lachen über den Tod schon auf der Warte, auf der Moondog sein ganzes Leben zubringt? Und dort, wo Korine uns hinhaben will? In einer Welt nämlich, in der nichts mehr einen Wert hat? „The Beach Bum“ entführt uns tatsächlich in eine vollkommen nihilistische Welt. Im Gegensatz zu „Spring Breakers“ macht sich Harmony Korine aber mit weniger, normativem Nachdruck über die Wertelosigkeit der porträtierten Gesellschaft lustig. Es ist diesmal auch durchaus ein Lachen mit den Figuren und damit potenziell auch ein Film, der der oberflächlichen Spaßkultur seiner wertelosen Glitzerwelt auch etwas abgewinnen kann. Wie schlau, wie moralisch/molarisierend, wie sehr über der eigenen Filmsprache stehend Harmony Korine wirklich ist, kann man wohl ganz genau erst frühestens nach seinem nächsten Film sagen. Hoffentlich braucht er nicht wieder sechs Jahre dafür.
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