Rausch und Kater, Erkenntnis und Ernüchterung.
Originaltitel: Druk
Alternativtitel: Der Rausch
Produktionsland: Dänemark
Veröffentlichungsjahr: 2020
Regie: Thomas Vinterberg
Drehbuch: Thomas Vinterberg, Tobias Lindholm
Bildgestaltung: Sturla Brandth Grøvlen
Produktion: Sisse Graum Jørgensen, Kasper Dissing
Montage: Anne Østerud, Janus Billeskov Jansen
Darsteller: Mads Mikkelsen, Thomas Bo Larsen, Magnus Millang, Lars Ranthe, Maria Bonnevie, Helene Reingaard Neumann, Susse Wold
Laufzeit: 116 Minuten
Four high school teachers launch a drinking experiment: upholding a constant low level of intoxication.
Quelle: letterboxd.com
Replik:
Der deutsche Titel ist: „Der Rausch“, der englische: „Another Round“ (vgl. „noch eine Runde!“) und der dänische Titel von Thomas Vinterbergs neuestem Film „Druk“ bedeutet des verdächtig-einsilbigen Wortes zum Trotz, einer kurzen Übersetzungsrecherche nach wohl so viel wie „Komasaufen“. Ein so kurzes Wort für eine so spezifische Praxis mit der Volksdroge Alkohol ist eigentlich ein guter Hinweis auf den kulturellen Stellenwert und die komplexe Verästelung dieser nicht-ungefährlichen Droge in die Gesellschaft. Und da dies sehr ähnlich stark für alle europäischen Gemeinschaften gilt (von den Top15 der größten Alkoholkonsumgesellschaften liegt einzig und allein Nigeria nicht in Europa!), versteht sich vielleicht auch die Auszeichnung des Europäischen Filmpreises für diesen anderweitig kaum relevanten oder stilistisch beachtlichen Film; in einem Corona-Jahr 2020, in dem die dazugehörigen Corona-Filme noch nicht gedreht worden sind.
Rausch als Werksarbeit
Der norwegische Arzt Finn Skarderund (der real existiert und sogar noch lebt) stellte vor etwa 20 Jahren die These auf, Menschen seien mit 0,5 Promille zu wenig Alkohol geboren und insofern dafür prädestiniert, in der stabilen Zufuhr einer bestimmten Menge Alkohol (man könnte es als Meso-Dosing bezeichnen) größere Leistungen zu vollbringen. Lustvoll schwingt Vinterberg auf diese These auf, verführt vier Gymnasiallehrer zum Selbstexperiment und kann somit der Droge Alkohol tatsächlich noch sowas wie eine neue Seite abgewinnen. Zumindest spielt Vinterberg diese Illusion sehr lange gut vor. Die erste Hälfte von „Another Round“ ließe sich tatsächlich ganz gut mit einem Rausch vergleichen. Obwohl die Zutaten absolut minutiös einstudierte plotzentrierte Erzählkunst ist — selbst noch samt eines Helden mit einem Want und einem Need, klar abgesteckte Wendepunkte usw. — ist „Another Round“ eine nach und nach gesteigerte Lusterfahrung. Wie einen Alkoholrausch durchschaut man einerseits diesen Rausch und kann sich andererseits noch an ihm erfreuen. Vinterbergs Film ist im plotzentrierten Erzählen bei aller Kritik vor der Konvention Werksarbeit. Darüberhinaus kann „Another Round“ auch in allen anderen Bereichen überzeugen, wenn man ihn in handwerkliche Qualitäten auseinanderdividiert. Das Schauspiel-Ensemble um den beeindruckenden Mads Mikkelsen spielt den Haufen postpubertärer Kleinstadtlehrer makellos. Und insbesondere die Montage hat sogar einige spielerische Elemente wie eingespielte Prozentangaben oder Slideshows durch die Großen der Alkoholgenießergeschichte (zu der, wie wir wissen bzw. lernen Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt, nicht aber Adolf Hitler gehört!) Gemäß einem Filmverständnis, das Qualität als messbares Beherrschen von Einzeldisziplinen betrachtet, müsste man „Another Round“ in der Tat den einen oder anderen Oscar geben.
Ernüchterung als Selbstgefälligkeit
Nur wie soll ein Film über Alkohol enden, wenn nicht mit einem Kater? Mit Ernüchterung? Wie soll schon Film enden, der Alkohol als transzendierende Selbsterkenntnis diskutiert (wenn auch nur mit zwinkerndem Auge). Es bleibt nur die bürgerliche Moral. Der Alkoholpegel muss gesteigert werden, die vier Lehrer enden im Alkoholismus und der heimliche Konsum während der Lehrtätigkeit und im Familienbetrieb fällt so hier, so dort auf. Vinterberg erzählt Ehekrise, Maßlosigkeit, Sucht und tragischen Tod. Also, alles was die moralische Verantwortung gegenüber dem Thema, nüchern betrachtet, so einfordert. Und die reine handwerkliche Qualität mag darüber hinwegschummeln, aber „Another Round“ fällt insofern seiner eigenen Prämisse zum Opfer, da sie unhaltbar ist. Das was unsere Lust zum Rausch steigerte, ist die Ahnung, hier könnte etwas Ungeahntes kommen. Ein Nicht-Kater, ein transzendierter ewiger Konsum, eine wahre Erkenntnis. Da sich die lustvolle Intellektualisierung des Rausches aber eben nicht steigern lässt (wie es etwa die Ideologisierung der mentalen Behinderung in Lars von Triers ganz verwandtem Film „Idiots“ etwa schon eher tut), bleibt nur der ernüchternde Kater. Und die (bürgerliche) Erkenntnis, dass es keine echte Erkenntnis gibt. Das an sich wäre gar kein Problem, hätte Vinterberg diese kongeniale In-Form-Setzung auch konsequent ausgespielt. Hätte er aus seiner zweihälftigen Dramaturgie einen funktionalen Modus gemacht. Den Kater wirklich als solchen spürbar gemacht, anstatt durch die erwartbaren Auflösungen des Plots durchzuschlängeln und doch noch irgendwie gegen die eigene Erkenntnislosigkeit aufbegehren zu wollen. So feiert sich der Film in der letzten Sequenz noch einmal selbst und seine neunmalkluge Kapitulation vor der Volksdroge Alkohol in einer pompösen Feier-Montage, in der gleichermaßen Rausch und Resignation liegt, keinesfalls aber Erkenntnisgewinn.
Anmerkung: Diese Replik wurde im Rauschzustand geschrieben und nüchtern redigiert
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