Der Blick des Yonatans: Eine (politische) Reflexion über Identität.
Originaltitel: ערבים רוקדים
Alternativtitel: العرب الراقصون, Dancing Arabs, A Borrowed Identity, Mein Herz tanzt
Produktionsland: Israel, Deutschland, Frankreich
Veröffentlichungsjahr: 2014
Regie: Eran Riklis
Drehbuch: Sayed Kashua
Produktion: Bettina Brokemper, Antoine de Clermont-Tonnerre, Michael Eckelt, Chilik Michaeli
Kamera: Michael Wiesweg
Montage: Richard Marizy
Musik: Jonathan Riklis
Darsteller: Tawfeek Barhom, Razi Gabareen, Yaël Abecassis, Michael Moshonov, Ali Suliman, Daniel Kitsis, Marlene Bajali, Laëtitia Eïdo
Laufzeit: 104 Minuten
Würdest du alles für die Liebe tun? Eyad (Tawfeek Barhom), der einzige Palästinenser, der an einem Elite-Internat in Jerusalem angenommen wurde, muss sich der israelischen Gesellschaft anpassen. Er trifft auf seinen jüdischen Mitschüler Yonatan (Michael Moshonov). Yonatan sitzt wegen einer unheilbaren Muskellähmung im Rollstuhl und ist ein Außenseiter wie Eyad. Zwischen den beiden entsteht schnell eine besondere Freundschaft. Als nächstes verliebt sich seine Klassenkameradin Naomi (Danielle Kitzis) in Eyad, aber durch familiäre und gesellschaftliche Auseinandersetzungen muss die Beziehung geheim gehalten werden. Die beiden Verliebten würden alles füreinander tun, doch Eyad muss eine Entscheidung fällen, die sein Leben für immer verändern wird …
Quelle: moviepilot.de
Replik:
Deutsche Publisher können furchtbare Opportunisten sein. Lassen Sie sich bitte nicht vom Titel und Plakat des Films „Mein Herz tanzt“ täuschen, die nur zur Sicherung eines an seichten Liebesgeschichten interessierten Publikums konzipiert scheint. Dieser Film ist zwar sicherlich ein Film über eine verbotene Liebe, aber das ist nur eine Nuance dieses sehenswerten israelischen Films. Der Konflikt zwischen Juden und Arabern, Israelis und Palästinensern ist nicht nur der Aufhänger für eine Herzschmerz-Geschichte, sondern eher andersrum: Der Liebeskonflikt das Vehikel, um detailliert und gefühlvoll von einem der größten politischen Herausforderungen unserer Zeit im Speziellen und den scheinbar unüberwindbaren Hürden des Rassismuses und Religionwahns im Allgemeinen zu erzählen. Vor allem handelt dieser Film aber von Identität und seiner politischen Konnotation. Dazu verwendet Eran Riklis‘ („Lemon Tree“) neuer Film eine komplexe metaphorische Verflechtung.
Eine arabische Exposition
Am Anfang ist „Mein Herz tanzt“ noch wie eine optimistische Familienkomödie. Eyad, ein palästinensischer Junge, lebt mit seiner Familie um seinen Vater, einen ehemaligen Widerstandskämpfer, im okkupierten Palästina. Eyad wird uns vorgestellt als ein besonders intelligenter und kreativer Junge. Er hilft seinem Vater dabei bei einem lokalen Gewinnspiel zu gewinnen und dort einen lächerlichen Preis von einer Handvoll Fleisch zu gewinnen. Die Palästinenser sind, so lernen wir sie kennen, nicht reich, aber glücklich. Der Film wahrt sich einen äußerst neutralen Blick auf einen Konflikt, in dem es Neutralität ja kaum geben kann. Eyads Vater nennt sich Freiheitskämpfer und lehnt den Begriff des Terroristen ab. Er macht auch keinen Hehl daraus, dass er die Israelis verachtet und dass er die Juden in den Gründungsjahren des Staates Israels schlichtweg mit Gewalt aus dem Land vertreiben wollte. Trotzdem zeigt uns der Film eben diese arabische Familie in ihrer schlichten, würdevollen Existenz als Menschen mit Ängsten und Hoffnungen, als Protagonisten eben. Ein israelischer Film empathisiert Palästinenser, trotz Anti-Haltung gegen den israelischen Staat. Das ist sicherlich keine Selbstverständlichkeit. Diese Familie Eyads ist das Zentrum der Exposition, nicht aber der Haupthandlung. Wie eine Vorgeschichte, auf die der Film später noch ein oder zwei Mal zurückgreift. Narrativ ist das ein wenig Ballast, der aber auch den neutralen Blick auf ein gespaltenes Land verstärkt, etwa wenn Eyads Familie Sadam Hussein oder Raketenanschläge auf Israel zujubelt und Eyad für diese blinde Partei-Ergreifung nur einen müden Seufzer übrig hat.
Der Freund Yonatan: Missgunst, Misanthropie und Zuneigung
Die Haupthandlung wird durch einen nicht unkonventionellen Narrativ-Sprung eingeläutet: Eyad ist mittlerweile ein junger Mann geworden und wird als allererster Araber überhaupt auf einer renommierten jüdischen Schule angenommen. Hier formieren sich zwei Figuren um Eyad, die dann als Ménage-à-trois das erzählerische Zentrum des Films bilden. Zum einen Naomi, eine jüdische Mitschülerin, in die sich Eyad verliebt und die eine kluge, aufgeschlossene, etwas flippige Schönheit ist. Und Yonatan, ein sklerose-kranker Israeli, dessen große Vorliebe die Rockmusik ist. Diese Charakterbeziehungen des ungleichen und verbotenen Paares Eyad und Naomi, sowie dem leicht eifersüchtigen besten Freund, sind reichlich gewöhnlich, aber durch kleine Details ausstaffiert und entstereotypisiert. Dabei funktioniert das Charakter-Balancing im Film vor allem über das Schauspiel. Die Figur Yonatan beispielsweise zeichnet einen schmalen Grat zwischen tatsächlicher Missgunst und Misanthropie, die sich aus seinem körperlichem Unglück ergibt, und einem zynischen Humor aus, hinter dem sich auch Zuneigung verbirgt. Die Grenze zwischen diesen beiden Polen muss der Zuschauer aber im Prinzip selbst ziehen. Yonatan wird immer schwächer bis er schließlich gar nicht mehr sprechen kann und nur noch sein Blick einen Hinweis auf sein inneres preisgibt.
Der Wert von Identität
Eyad muss, um gesellschaftlichen Erfolg und seine Traumfrau Naomi zu erhalten, immer wieder die Identität seines Freundes Yonatan ausleihen. Anfangs noch unschuldig und eher affektisch, als er die anti-islamischen Eltern Naomis anruft und sich als Yonatan vorstellt, um mit seinem arabischen Namen nicht verdächtig zu wirken. Später arbeitet Eyad sogar unter gefälschten Papieren unter dem Namen seines Freundes in einem Restaurant, während der echte Yonatan immer weiter aus dem Leben siecht, bis Yonatans eigene Mutter Eyad unterstützt, Yonatan zu werden. Naomi verschwindet fortan etwas zu plötzlich und wenig nachvollziehbar aus der Filmhandlung: die eher links-orientierte und tolerante Naomi schließt sich einem israelischen Militärprogramm an, von dem sie von Anfang an weiß, dass sie dazu mit ihren Idealen, sowie der Beziehung zu Eyad brechen muss.
Opfer bringen für den Frieden
Die Beziehung zu Naomi, wie herzlich und schauspielerisch gekonnt, sie in Szene gesetzt auch sein mag, war das bis dahin eher konventionelle Motiv der kosmopolitischen Dimension des Films. Die verbotene Liebe als Ruf-Opfer für den emanzipatorischen Kampf, indem auch mit der Thematisierung von rechtsextremem, anti-arabischen Rassismus, „jüdische Mädchen seien nur für Juden da“, freche auf die NS-Ideologie anspielt, die ebenso einst mit den Juden selbst verkehrte. Die Figur Naomi und ihre politische Lesart wird von nun an von Yonatans Mutter substituiert. Aus dem Reputations-Opfer Naomis, das sie mit dem Militärbeitritt ja sogar wieder zurückzieht, wird von nun an ein tatsächlich leibliches Opfer. Yonatan, der eigene Sohn, wird von seiner Mutter durch einen fremden Sohn, einen Araber, ersetzt und das ohne eine eindeutige Zustimmung des Sohnes, da dieser zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr in der Lage ist, zu sprechen.
Ein immaterielles Spenderorgan
Natürlich eine höchst interessante Frage der Würde, die dieser Film in den Raum stellt: Ist die nicht eingewilligte Weitergabe der eigenen Identität an einen andere Menschen eine unentschuldbare Demütigung für Yonatan und entweiht es somit seine letzten Stunden auf Erden bzw. sogar sein erwarteter Tod zur Zweckhaftigkeit? Oder ist es genau richtig, dem ohnehin sterbenden Menschen Yonatan, utilitaristisch einzusetzen, um einem gesellschaftlich geächteten Araber eine neue, „wertvollere“ Identität als jüdischen Israeli zu schenken. Im Grunde ist dieser Diskurs mit dem eines Spenderorgans vergleichbar, nur dass es sich hier um eine immaterielle Eigenschaft handelt. Um die Identität und ihre Würde.
Ist Identität rein selbstbestimmt?
Der Film bekennt hier Flagge und sagt ziemlich deutlich: Ja. Die Identitätstransformation am dahin siechendem Individuum zum bedürftigen Identitätsempfänger ist koscher. Und das hat natürlich auch eine politische Dimension, um die es dem Film hier vordergründig geht. „Mein Herz tanzt“ zeigt uns, wie absurd weit reichend Nation, Ethnie und Religion in unserer Identität über unseren gesellschaftlichen Erfolg bestimmen und setzt ihm eine dreisten Hinweis entgegen, dass jeder Mensch, den wir aufgrund seines Passes eine bestimmte Identität zuerkennen, eigentlich eine ganz andere Identität haben kann, z.B. ein Araber sein kann, wo wir doch einen Juden in ihm sehen. Oder umgekehrt. Das stellt natürlich wiederum eine philosophische Betrachtung des Themas Identität in den Raum. Identität kann nicht nur papier-, also institutionsgebunden sein, da menschliche Institutionen fehlerhaft sind und Papiere gefälscht sein können. Und wenn Identität also nicht fremdbestimmt ist, muss sich doch selbstbestimmt sein. Kann sich also jeder Mensch aussuchen, wer er eigentlich ist?
Der Blick des Yonatans als undurchsichtiger Modus
Der Blick des Yonatans ist die interessanteste Perspektive des Films auf seine eigene Handlung. Sein Blick ist spätestens als seine Sprachfähigkeit komplett versagt, aber aufgrund des undurchsichtigen ambivalenten Charakters Yonatans auch schon vorher, ein Kommentar auf die Emanzipation des israelischen Bürgers arabischer Herkunft, der aber eine interpretierbare Leerstelle bleibt. Was denkt Yonatan eigentlich über Eyad? So richtig wissen wir das nicht. Sein Humor ist böse und nimmt immer wieder auch den Klang anti-arabischer Tendenzen rechter Juden auf, was natürlich nicht heißt, dass Yonatan tatsächlich ein anti-arabischer Denker ist, doch aber, dass es solche Empfindungen womöglich in ihm gibt, die er durch seinen Humor für sich selbst unschädlich macht. Natürlich spielt auch der Neid Yonatans gegenüber Eyads Talent, seiner Anerkennung und der Liebe zur attraktiven Naomi eine Rolle, die in Yonatan ein Hass- und Missgunst-Potenzial eröffnet. Und doch, so muss man sagen, ist Yonatan hinter all seinem Zynismus scheinbar einfach ein guter Freund und Mensch. So ist zu vermuten, dass er den Menschen Eyad mag, ja vielleicht sogar liebt, sich seine negative Energie aber doch gegen Eyads beneidenswerte Attribute richtet. Der Blick des Yonatans ist ambivalent.
Der Blick des Yonatans als Metapher der israelischen Perspektive
Und als Yonatan dann immer kränker und kränker wird, Eyad aber proportional in seiner Identitätstransformation immer gesellschaftlich erfolgreicher wird und sogar die Liebe von Yonatans eigener Mutter erwirbt, dürfte sich der Missgunst-Anteil im Blick des Yonatans nicht gerade verringert haben. Yonatan wird vielleicht als liebender Mensch sterben, vielleicht als hassender oder als ein Hybrid aus beidem. Wir wissen das nicht. Wir wissen nur, dass Yonatans Blick so etwas wie ein freies Symbol der israelischen Perspektive auf die palästinensischen Mitbürger ist. Wir wissen, dass dort verständlicher Hass, wie auch Verständnis und Liebe vorherrscht. Es gibt keine klare Perspektive Israels auf Palästina und natürlich auch nicht umgekehrt. Der Blick des Yonatans ist ambivalent.
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