
Ein Phantasma aller Seiten des Erwachsenwerdens.
Originaltitel: Princess
Produktionsland: Israel
Veröffentlichungsjahr: 2014
Regie: Tali Shalom-Ezer
Drehbuch: Tali Shalom-Ezer
Produktion: Leon Edery, Moshe Edery, Elad Gavish
Kamera: Radek Ladczuk
Montage: Neta Dvorkis
Musik: Ishai Adar
Darsteller: Shira Haas, Keren Mor, Ori Pfeffer, Adar Zohar Hanetz
Laufzeit: 92 Minuten
Die 12-jährige Adar (Shira Haas) lebt mit ihrer Mutter (Keren Mor) und ihrem jungen Stiefvater Michael (Ori Pfeffer) in einer kleinen Wohnung. Das Familienleben gestaltet sich eher unkonventionell. So schlüpft Adar häufig nachts ins Bett ihrer Eltern. Michael ist arbeitslos und verbringt die Tage mit Adar alleine zu hause, während seine Frau arbeitet. Schon bald nimmt die enge Beziehung zwischen Adar und Michael eine dunkle Wendung an und was anfangs noch Fantasie ist, kehrt sich in Gewalt um. Das Mädchen sucht Hilfe außerhalb der Familie und schließt Freundschaft mit Alan (Adar Zohar-Hanetz), der ihr erstaunlich ähnlich sieht … (SF)
Quelle: moviepilot.de
Replik:
Im Debütfilm der israelischen Regisseurin Tali Shalom-Ezer geht es um ein zwölfjähriges Mädchen, das von sexuellen Avancen ihres Stiefvaters bedrängt wird. Gerade als Topos einer modernen westlichen Gesellschaft, wie der hier porträtierte Teil des israelischen Bürgertums ebenso zur solchen dazugehört, ist die Geschichte allein nicht besonders neu und wurde so ähnlich schon vielfach erzählt. Trotz des Verdachts auf alten Wein in neuen Schläuchen ist „Princess“ aber ein vorzüglicher Film. Einerseits wird hier die Frauwerdung des zwölfjährigen Mädchens Adar auf besonders feinfühlige (möglicherweise biografisch angehauchte) Weise erzählt und zum anderen kommt dieser feministische Film ganz ohne Vorurteile oder unnötige Diabolisierungen des männlichen Geschlechts daher. Und das trotz des heiklen Themas.

Eine kleine Welt
Ganz wie auch die Welt von der jungen Adar noch eine kleine ist und noch vieles entdeckt werden muss, steckt auch Regisseurin Shalom-Ezer das filmische Spielfeld extrem kurz ab. Es gibt neben wenigen Momenten auf der Straße eigentlich nur die Wohnung, die Adar mit ihrer Mutter und dem Stiefvater beziehen. Hier gibt es nur das Schlafzimmer der Erwachsenen, ihr kleines Zimmer und der Wohnbereich Küche + Wohnzimmer. Die Betten, sowie der Esssenstisch und das Sofa im Wohnzimmer sind wiederkehrende Momente. Dadurch wird Adars realitere Welt spürbar und heimisch für den Zuschauer. Diese Strategie ist außerdem fruchtbar, um Adars phantasmatische Welt ebenfalls spürbar zu machen. Eine Welt, in der es einen Jungen gibt, den es eigentlich gar nicht gibt.
Das Phantasma: Alan
Dieser Junge, Alan, sieht fast genauso aus wie Adar. Er hat ein sehr feminines Gesicht, lange Haare und trägt immer dieselbe oder ähnliche Kleidung wie Adar. Der Film führt die Figur Alan ein, als gäbe es sie tatsächlich und verfälllt nie in effekthascherische Spielereien, die dem Zuschauer laut ins Gesicht schreien würden, dass Alan ja eigentlich gar nicht existiert. Alan ist einfach da. Und das ist auch gerade richtig und konsequent, denn Alan ist ja ein akzeptiertes und sogar erwünschtes Phantasma von Adar. Ein Eskapismus und eine Sehnsucht.

Alle Momente des Erwachsenwerdens
Während sich die sexuellen Avancen des Stiefvaters immer weiter anziehen, desto erwachsener das Mädchen wird (deswegen reden wir hier von keinem Pädophilendrama), umso mehr verflüchtigt sich Adar auch in ihr Phantasma von Alan. Dieser Alan ist gleichermaßen eine sexuelle Sehnsucht, als auch eine Selbstfiguration. Und gewissermaßen damit auch ein Übergang kindlicher Lust des Nachahmens, des So-sein-wollens-wie-andere und der erwachsenen Lust nach Individuation, die sich ja gerade auch durch die Sehnsucht zum (großen) Anderen erst auszeichnet und ausbildet. Alan ist also ein recht komplexes Phantasma, das so ziemlich alle Momente des Erwachsenwerdens in sich vereint. Und so ist es auch kein Zufall, dass sich das Verhältnis der beiden Figuren zu einander von einer Art Spielkamerad immer mehr zu einem tatsächlichen Sexualpartner bewegt. Hier wird symbolisch eine (frühe Phase der) Pubertät vollzogen und in Szenen, in den beide miteinander interagieren, kann sich jeder Zuschauer selbst einen Reim drauf machen, was gerade wirklich passiert. Von kindlichem gedanklichen Umhertollen bis zur Masturbation ist alles denkbar.

Präzise Figurenzeichnung
Bei der „Beziehung“ zum Stiefvater, der das Mädchen zunächst irgendwo außerhalb des Bildrandes streichelt, später küssen und mit ihr schlafen will, ist es also immer wichtig diese sexuelle Selbstfindung des Mädchens mitzudenken. Adar ist ja durchaus auch freiwillig zum Sex bereit oder zumindest sehr weit davor, das zeigt sich in einer Szene mit Adam. Sie ist aber nicht bereit und gewillt, mit ihrem Stiefvater zu schlafen, der seine Rolle als liebenswerte Vaterfigur natürlich dazu manipulativ ins Spiel bringt. Das einzige was der Film nun an dieser Stelle macht, ist genau dies anzuklagen. Dass ihr Stiefvater Michael als Erziehungsperson nicht mit ihr schlafen darf und sie das auch gar nicht will. Was der Film nicht macht, ist Michael als einen bösen Mann zu verklären. Michael ist manipulativ und natürlich auch unehrlich seiner Frau gegenüber, er ist aber in der Tat ein liebenswerter Mann und letztlich seiner sexuellen Lüste gegenüber hilflos. Dieses Bild zeichnet der Film sowohl im Schauspielerischen als auch der Psychologie des Buches in einer wahnsinnigen Genauigkeit.
Implizite Explizität
Man muss ebenso lobend hervorheben, welche filmischen Strategien der Film dazu anwendet, dass er nicht selbst zur Fleischesbeschau für Lüstlinge wird. Dass er nicht selbst zu dem wird, was er dramatisch hinterfragt. Hierzu fungiert die Figur des Alan. Da er ein Junge ist, kann er auch „oben ohne“ rumlaufen, ohne dass man hier primäre Geschlechtsteile eines minderjährigen Mädchens zeigen müsste. Da Alan aber der Alter Ego von Adar ist, wissen wir aber auch an dieser Stelle, dass Adar immer oben ohne herumläuft, wenn es Alan tut — also z.B. auch, wenn er das in Gegenwart vom Stiefvater Michael tut. Hier wird auf kreative und absolut legitim spielerische Weise eine Explizität erzählt, ohne sie zu zeigen.
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