Haneke auf Griechisch: Die Familie als faschistisches System.
Originaltitel: Kynodontas (Κυνόδοντας)
Produktionsland: Griechenland
Veröffentlichungsjahr: 2009
Regie: Giorgos Lanthimos
Drehbuch: Giorgos Lanthimos, Efthymis Filippou
Produktion: Yorgos Tsourgiannis
Kamera: Thimios Bakatakis
Montage: Yorgos Mavropsaridis
Darsteller: Christos Stergioglou, Michele Valley, Aggeliki Papoulia, Mary Tsoni, Hristos Passalis, Anna Kalaitzidou
Laufzeit: 93 Minuten
Abgeschottet von der Außenwelt werden zwei Töchter und ein Sohn ganz im Sinne der reichen Eltern erzogen. Den pubertierenden Jugendlichen wird dabei ein verqueres Weltbild voller Lügengeschichten vermittelt: Die Welt hinter der Gartenhecke ist angeblich ein böser und gefährlicher Ort und gewohnten Begriffen des Alltages werden neue Bedeutungen zugesprochen. Das Familienleben ist geprägt von emotionsloser Disziplin und den unschuldig-perversen Spielen der drei Geschwister, die sich damit die Zeit vertreiben. Die scheinbar perfekte Idylle erhält erste Risse, als die Töchter und der Sohn sich die Frage stellen, was wirklich hinter der Gartenhecke liegt.
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 08.01.2013)
Ungefähr zehn Minuten braucht der Zuschauer um überhaupt dahinter zu kommen, was in „Dogtooth“ passiert. Ein Ehepaar isoliert ihre seine eigenen Kinder von der Außenwelt und erzieht sie absichtlich so, dass sie keine Chance haben aus der naiven Kindlichkeit zu entfliehen. So herrschen Mama und Papa über zwei Töchter und einen Sohn, die kindliche Spiele zelebrieren, kein Schamgefühl zu haben scheinen und mit verwirrten, affektischen Satzbrocken kommunizieren. Der scheinbare Gipfel dieser Antierziehung ist das absichtliche Beibringen falscher Bedeutungen von Wörtern, was dem Film eine tragikomische Nuance verleiht. Dabei ist der Film der durchaus ernste Versuch ein totalitäres, faschistisches System im Kleinen nachzuzeichnen. Inhaltlich tut sich also ein Vergleich zu Pasolinis radikaler Faschismusabrechnung „Die 120 Tage Von Sodom“ auf, stilistisch bleibt der griechische Regienewcomer Lanthimos nah am modischen Haneke. Aber auch die dramaturgische Vorgehensweise erinnert stark an den österreichischen Cannesdoppelgewinner.
Faschistische Familie
„Dogtooth“ fragt nicht warum das Ehepaar seine Kinder kleinhält. Aber muss der Film das tun? Dies würde das Ehepaar vermenschlichen und sie zu nachvollziehbaren Motiven verleihten. Was gäbe es da für Ansätze? Angst vor dem Erwachsenwerden der Kinder? Vielleicht. Vielleicht aber auch einfach die pure Lust unkritische, ergebene Sklaven zu schaffen und zu halten. Gibt es überhaupt eine Ursache für Faschismus oder ist es einfach das politische Ausleben der menschlichen Boshaftigkeit und Machtgier? Beantworten kann „Dogtooth“ diese Frage nicht (interessant, dass Hanekes „Das Weiße Band“ genau hier ansetzt, aber auch nur filigrane Andeutungen bietet), der junge griechische Regisseur kann mit seinem Film aber die unfassbare Widerlichkeit des Faschismuses auf die uns heilige Familie übersetzen. Die Kinder sind die Bürger eines totalitären Systems, welches von der Außenwelt abgeschottet wird und mit Fehlinformationen vergiftet wird, sowie im Falle eines Durchsickerns von gefährlichem Material in Form von Wissen und Information sofort mit Entzug dieses und physischer Gewalt gemaßregelt wird. Dieses Wissen wird in „Dogtooth“ durch DVDs von „Rocky“ und „Der Weiße Hai“ symbolisiert. Alles andere als lehrreiche Kultur und doch genug „Außenwelt“ um der Miniaturdiktatur des Ehepaares gefährlich werden zu können.
Katz Süß
Die erklärten Feinde sind Katzen. Selbst wird den Kindern immer wieder eingeredet sie seien Hunde. Auch dies ist eine schöne Faschismusallegorie. Hunde sind die allgemein gefährlicheren und aggressiveren Tiere, Katzen hingegen werden als schlimmste Feinder verklärt. Das faschistische System macht also ungefährliche Wesen, die niemanden etwas tun (können), allein ihrer Machtposition wegen zu erklärten Staatsfeinde, die mit äußerster Brutalität zu bekämpfen sind. Die Nähe zu dem Naziregime, welches eine vom Judentum ausgehende Gefahr fingierte, ist deutlich ersichtlich. Letztendlich kann sich der Faschismus und seine Auswüchse jedoch nur selbst schlagen. Das Cover lässt grüßen.
„Dogtooth“ überzeugt mit einer klugen, unverbrauchten Prämisse und unvergesslichen Erlebnissen. Letztlich fehlt aber dezidiertes Vorgehen in eine bestimmte Richtung. So ist „Dogtooth“ nicht Ursachenforschung und nicht Abrechnung und für ein einfaches Schreckgespenst vor menschlichen Abgründen zu wenig radikal. Der kontroverse Debütfilm ist aber unbestritten ein spannender, sehenswerter Bruch mit unseren Sehgewohnheiten und eine Visitenkarte für Europas Autorenfilmerelite.
„Mama, ich hab‘ zwei Zombies gefunden.„
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