Die Medien als Spielball im Spiel des Populismus.
Originaltitel: Gone Girl
Alternativtitel: Gone Girl — Das perfekte Opfer
Produktionsland: USA
Veröffentlichungsjahr: 2014
Regie: David Fincher
Drehbuch: Gillian Flynn
Produktion: Ceán Chaffin, Joshua Donen, Arnon Milchan, Reese Witherspoon
Kamera: Jeff Cronenweth
Montage: Kirk Baxter
Musik: Trent Reznor, Atticus Ross
Darsteller: Ben Affleck, Rosamund Pike, Neil Patrick Harris, Missi Pyle, Tyler Perry, Kim Dickens, Patrick Fugit, Emily Ratajkowski u.A.
Laufzeit: 149 Minuten
Amy Dunne (Rosamund Pike) verschwindet an ihrem fünften Hochzeitstag spurlos. Alle Indizien rücken den Ehemann Nick Dunne (Ben Affleck) in das Zentrum der mutmaßlichen Straftat, sein eigenartiges Verhalten trägt zum Verdacht seiner Umgebung nicht unwesentlich bei. Eigentlich galt er in ihrer Heimatstadt als perfekter Ehemann, doch mit dem Fortgang der Ermittlungen wird klar, dass dieses Bild zwar trügt, doch auch Amy nicht die sanfte Person war, die ihre Umgebung kannte. Mit dem Fund von Amys Tagebuch und einer mysteriösen, silbernen Geschenkbox, die sich gut versteckt in ihrem Schlafzimmer befand und offensichtlich geleert wurde, geraten die Ermittler in einen Strudel aus Lügen und Täuschungen. Doch während die ganze Stadt an der zerstörten Illusion einer perfekten Ehe zu verzweifeln droht, beteuert Nick weiterhin seine Unschuld.
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
In der jüngeren Filmwissenschaft wird Fincher als ein wichtiger Pionier des Mindgame-Kinos herausgestellt. Auch wenn er sich mittlerweile nicht ausschließlich auf diese reduzieren lässt („The Social Network“ u.A.), bleiben twist-fokussierte Werke zwischen Krimi und Thriller („The Game“, „Fight Club“, „Sieben“) seine unbestrittenen Markenzeichen. Dabei bleibt allen Filmen eine typische Schwäche von Unterhaltungsfilmen anhaftend: mögen sie auch bei erweiterten Sichtungen immer noch gut sein, den großen Wow-Effekt gibt es nur beim ersten Mal. „Gone Girl“ ist ein solcher typischer Fincher-Film. Am großartigsten natürlich bei der ersten Sichtung, dank einem nicht enden wollendem Schwall an 180°-Wendungen und einer gewohnt routiniert-dichten Regie-Führung. Aber auch nach dem ersten Mal geht „Gone Girl“ noch über einfaches Konfekt-Kino hinaus, sodass der Film auf einer Stufe mit Finchers Klassikern steht und zu den besten Filmen 2014 gehört.
Der Medienpöbel als dritte Hauptfigur
Im Mittelpunkt steht die Ehe, aber keine gewöhnliche Ehe, sondern eine Promi-Ehe. Ein Zusammensein in ständiger Öffentlichkeit. Daraus bezieht „Gone Girl“ seine Reize, denn auch wenn der Film eng an der Seite vom Protagonisten Nick erzählt wird, so ganz trauen können wir ihm nicht. Und so ist das, was wir als Realität anerkennen, doch immer an die Informationen gekoppelt, die wir vom Film bekommen. Manchmal trauen wir Nick, manchmal nicht. Vor allem das erste Drittel des Films spielt mit dieser Undurchsichtigkeit und degradiert uns auf den Stand der Zuschauermasse, des Medienpöbels, der im Film die Rolle als dritte Hauptfigur einnimmt. Ob Nick oder seine Frau Amy die Wahrheit sagt, ist im Grunde egal, entscheidend ist, was die Masse glaubt. Dass die Meinung der Gesellschaft auch heute noch (aber natürlich besonders in einem Land, dessen Justizsystem Geschworene einsetzt) zwischen wahr und falsch, zwischen Leben und Tod entscheiden kann, davon handelt dieser Film.
Finchers Stil als Erdung
Und so sensationshascherisch wie die Medien, die er porträtiert, ist auch dieser Film und seine Handlung selbst. Der Twistreichtum wird jedoch erfolgreich von Finchers Regiestil geerdet. Ein Stil, der nicht in exzentrischen Kunstspielereien ausartet, fast ein wenig farblos daherkommt, aber dass schwierige Drehbücher wie „Fight Club“ oder „Sieben“ nicht in cheesige B-Movie-Filme ausarten, sondern eine angesichts der reißerischen Geschichte bemerkenswerte Authentizität erreichen, das ist eben das Regie-Gütesiegel, das man als Produzent mit dem Namen David Fincher einkauft und das ich an dieser Stelle würdigen möchte. Bei kaum einem anderen Regisseur außer Fincher wäre „Gone Girl“ ein so runder, routiniert ausformulierter Film geworden.
Zwei Spielernaturen treffen auf einander
Finchers zehnter Spielfilm zeigt das spannende Duell zwischen zwei Taktikern, woraus der Film seinen hohen Maß an Unterhaltung gewinnt. Beide Protagonisten sind keine Sympathieträger aber ungemein intelligente, berechnende Spielernaturen, die die Schritte des Gegenübers antizipieren wollen und den Zuschauer in dieses Spiel mit einbeziehen. Würde dieses Spiel wie Pool-Billard funktionieren, die Öffentlichkeit wäre die Tischbande — und die Medien wären die Kugel selbst. Es ist ein Spiel des Populismus. Der Beliebtere gewinnt, wodurch Finchers Film auch über sein Ehe-Kontext hinaus politisch und medienwissenschaftlich relevant ist.
Ehen sind auch nur Promi-Ehen
„Gone Girl“ ist zudem ein trefflicher Kommentar auf Promi-Ehen, aber auch auf Ehen und Beziehungen an sich. Denn die Promi-Ehe als Beziehung in absoluter Öffentlichkeit ist ja auch nur eine Überspitzung von einer gewöhnlichen Beziehung. Auch die Otto-Normal-Beziehung findet in einer Öffentlichkeit statt, die den Beziehungsverlauf mit entscheidet, indem sie eine öffentliche Meinung produziert, wer sich in der Beziehung wie (gut) dem anderen gegenüber verhält. Dass wir Vergebenen außerhalb des Schlafzimmers eben alle nur Schauspieler sind, das hat dieser Film begriffen.
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Gute Kritik. Ich finde es interessant, das du den Aspekt des Zuschauers als „Medienpöbel“ herausgestellt hast. Meiner Ansicht nach kann man das auch anders sehen. In meiner Kritik (https://filmkompass.wordpress.com/2014/10/28/gone-girl-2014/) gehe ich eher vom Zuschauer als Komplizen aus. Das Thema Komplizenschaft wird ja auch im Film permanent aufgegriffen: Wem kann ich trauen? Wer will mir tatsächlich helfen? usw. Der Zuschauer wird dahingehend zum Komplizen, weil er der Einzige ist, der das gesamte Ausmaß erkennen kann. Als Zuschauer sieht man beide Positionen und kann sie besser deuten. Am Ende des Films hat man das Gefühl, man weiß „alles“ und kann aber niemandem vor diesem „Horror-Paar“ warnen. Somit wird man ungewollt zum Komplizen der Beiden.
Ich möchte gar nicht allzu viel über die Darstellung der Medien und der Ehe schreiben, denn ich kann dir in diesen Punkten absolut zustimmen und finde den Film auch in dieser Hinsicht sehr gelungen. Besonders die Rolle der Medien in Amerika gibt doch schon zu Denken, da man solch populistische Fernsehnachrichten im Stil von Fox News hier im Fernsehen zum Glück nicht hat, sondern „nur“ in den Printmedien. Was für ein Medienecho allein schon ein Lächeln zum falschen Zeitpunkt auslösen kann, hat man ja im Film gesehen. Insgesamt war es für mich ein guter Thriller, der einen zum Nachdenken bringt, allerdings mit einigen kleinen Schwächen und offenen Fragen zum Ende hin.