Leben im Kapitalismus: Ein biopolitischer Propaganda-Film.
Originaltitel: It’s A Wonderful Life
Alternativtitel: Ist das Leben nicht schön?
Produktionsland: USA
Veröffentlichungsjahr: 1946
Regie: Frank Capra
Drehbuch: Frances Goodrich, Albert Hackett, Frank Capra (nach einer Erzählung von Philip Van Doren Stern)
Produktion: Frank Capra
Kamera: Joseph F. Biroc, Joseph Walker
Montage: William Hornbeck
Musik: Dimitri Tiomkin
Darsteller: James Stewart, Donna Reed, Lionel Barrymore, Thomas Mitchell, Henry Travers u.A.
Laufzeit: 125 Minuten
George Bailey (James Stewart) hat sein ganzes Leben in Bedford Falls verbracht. Er hat sich immer vorgenommen zu reisen, hatte aber nie die Gelegenheit dazu. Nach dem Tod seines Vaters muss er das Darlehen-Unternehmen seiner Familie übernehmen. Am Weihnachtsabend 1945 verliert sein Onkel Billy (Thomas Mitchell) 8.000 Dollar auf dem Weg zur Bank. Der nach Macht strebende Mr. Potter (Lionel Barrymore) findet das Geld und versteckt es. Als das angebliche Unterschlagen des Geldes von der Bank bemerkt wird, muss George feststellen, dass er dafür ins Gefängnis gehen muss. In seinem Frust glaubt er, dass die Welt ohne ihn besser wäre und fasst den Entschluss sich umzubringen. Im richtigen Moment kommt der Engel Clarence (Henry Travers) auf die Erde und zeigt George, was er für eine wichtige Rolle im Leben der Bewohner von Bedford Falls spielt.
Quelle: moviepilot.de
Replik:
Ist Weihnachten nicht viel mehr ein kapitalistisches als ein christliches Fest? Ist es nicht auch viel weniger das Fest der Liebe, denn das Fest des materiellen Exzesses? Natürlich nicht überall auf der Welt, aber in der westlichen Welt, allen voran in Amerika, wo Frank Capras „Ist das Leben nicht schön?“ spielt, ist und war es das wohl auch 1946 schon überwiegend. Dieser sehr amerikanische Film, dessen Kanon-Einzug wohl mehr mit einem Zuschauerkult als mit tatsächlichen filmischen Handwerksqualitäten zusammenhängt, nimmt in dieser Frage eine interessante Position ein. Denn hier wird der Kapitalismus zwar verteufelt und christliche Werte gepredigt, das alles geschieht aber derart ungestüm kitschig, dass man Capras Film eben auch ganz klar als systemkonformes Opium fürs Volk auslegen kann. Als Film, der doch eher das zementiert, was er vermeintlich attackiert.
Zuschaueridentifikation mit sich selbst
Zunächst einmal fällt der Film mit einem recht erfrischendem Erzählmodus auf. Unser Protagonist, George Bailey, wird von Engeln im Himmel kommentiert. Und einer der Engel greift dann auch später aktiv ins Geschehen ein. Damit identifiziert sich der Zuschauer nicht mehr zwingend (nur) mit George Bailey, sondern auch mit der Draufsicht auf seinen Helden, also mit sich selbst. Diese Strategie ist relativ wichtig, da „Ist das Leben nicht schön?“ ein Mitmachfilm ist. Die Botschaft, die Capra verbreiten will, soll für jeden Zuschauer als Individuum gelten. Aus dieser feierlichen Offenheit für jedwede Zuschauer-Identifikation lässt sich der Hype um den Film erklären, der seit den 1980er Jahren in den USA regelmäßig zu Weihnachten gezeigt wurde und somit in etwa das für das amerikanische Weihnachten ist, was für das deutsche Silvester „Dinner For One“ ist.
It’s a wonderful life in capitalism
Die Botschaft des Films ist das naiv-liebliche und titelgebende „It’s a wonderful life„, liebe dein Leben, denn es ist schön. Hierzu begleitet der Film den Lebemann George Bailey, der eigentlich in die Welt hinausziehen will, aber aufgrund einer Halbtaubheit immerzu in seinem Heimatdorf bleiben muss und das Geschäft seines Vaters, eine kleine Bank mit Schwerpunkt Baukrediten, gegen den bösartigen Kapitalisten Mr. Potter verteidigen muss. Eine solch naive Weisheit, wie die Schönheit des Lebens vor sich her zu tragen, muss nicht partout schlecht sein, aber in Capras Film ist sie äußerst konkret in ein politisches System, in eine gesellschaftliche Überzeugung eingeflochten, die hier gleichermaßen besungen wird.
Biopolitische Propaganda
Im Dritten Reich wurden ebenso scheinbar naiv-unschuldige Feelgood-Movies gedreht, die im Nachhinein für ihre heuchlerische Passivität gegenüber einem Unrechtsstaat bzw. gar seiner Schönrederei beschuldigt wurden. „Ist das Leben nicht schön?“ wurde natürlich nicht in einem menschenverachtendem Staat produziert, er bedient sich aber mindestens derselben Mechanismen. Capras Spätwerk-Film ist ein biopolitischer Propaganda-Film. Ein Engel kommt hier auf die Erde, um einem Individuum zu zeigen, dass sein Leben viele andere Leben gerettet und bereichert hat. Und so suggeriert der Film, dass jedes Leben rein positive Effekte auf andere Leben habe und das es nur die Lichtseite des Butterfly-Effektes gäbe. Was natürlich großer Unsinn ist. Aber genau das ist ja die politische Wirkung des Films: Die Menschen gehen Weihnachten nach Hause, im Glauben, alles was sie taten, sei im Rahmen einer Gesamtkausalität positiv und ihr Leben wichtig für die Gemeinschaft. Gleichzeitig werden hier noch mehr oder weniger beiläufig Werte wie Religiosität, Nationalstolz, Familiengründung und Treue zum Partner (in einer Parallelwelt ohne Partner, bleibt die Frau lieber eine Jungfer, die nie heiratet) als einzig richtige propagiert. Gerade die letzten beiden Werte lassen sich in Michel Foucaults Überlegung zum Sexualitätsdispositiv einordnen: Die (staatlich/politische) Ordnung und Kontrolle (!) der Bevölkerung durch Suggestion einer bestimmten sexuellen Auslebung.
Eine Kapitalismuskarikatur als Antagonist
Ebenfalls kritisch zu hinterfragen ist die Rolle des Kapitalismus in diesem Film. Der Antagonist, der schmierige Mr. Potter, ist eigentlich kein Kapitalist, sondern die Karikatur eines Kapitalisten. Zur Entstehungszeit des Films wurde diese Karikierung als große Kapitalismuskritik verstanden, allerdings ist ja der Protagonist George Bailey ebenso ein Bankier, ebenso ein Mensch, dessen Leben durch das Jonglieren mit Geld erfolgreich wurde. Was „Ist das Leben nicht schön?“ also nur macht, ist statt einem kapitalistischem Konzept, das figuriert durch den Bösewicht Mr. Potter, eh schon beinahe unrealistisch überzeichnet unmoralisch erscheint, durch ein kapitalistisches Konzept zu ersetzen, das scheinbar in Amerika von 1946 bis heute so oder so ähnlich vorherrscht. Eines, das den Anspruch erhebt, ein menschliches Antlitz zu haben, weil es den Unternehmergeist des Einzelnen stärkt, weil jeder seines Glückes Schmied sein kann. Es ist vielleicht nicht so, dass dieser Film hurra-kapitalistisch wäre, aber er setzt an die Stelle des bösen Kapitalismus keine entgegengesetzte Ideologie, sondern doch wieder einen Kapitalismus. Das ist aber insoweit wohl nur so verwerflich, dass dieser Film in einem weiteren gesellschaftlichen Aspekt ein Wohlfühlen erzeugen will, um ein Nachdenken zu verhindern.
Twist: Geld macht glücklich (SPOILER)
Hier ist auch das Ende des Films interessant zu sehen: Ein Engel erscheint George Bailey, als er sich aufgrund von Geldsorgen umbringen will und zeigt ihm in einer recht schlecht getimten, da einfach zu langen „Twist“-Szene, dass sein Handeln für die Menschen wichtig war. Nun, lehrt ihm der Engel aber nicht, dass Geld nicht glücklich macht und der familiäre Zusammenhalt wichtig ist, sondern dass genau dieses Handeln als gemäßigter Kapitalist für die Menschen hilfreich war. Am Ende wird er nicht belehrt, dass er auch als armer Mann „reich“ sein kann (als Ehemann, Familienvater, Freund usw.), denn er muss nicht ins Gefängnis, sondern er bekommt „durch ein Wunder“ das verlorene Geld zurück und bekommt somit gelehrt, dass Geld so etwas wie eine Metapher für Glück ist, die man schon irgendwie bekommen wird, wenn man nur an seinen eigenen Nutzen und seine unhinterfragte Positivität für die Gemeinschaft glaubt.
Zyniker im Recht
Ist das jetzt ein schlechter Film? Nein. Aber einer, dessen Affektregen doch mit Vorsicht zu genießen ist. Ein konformistischer Film und nebenbei in den wenigsten Hinsichten ein wirklich origineller oder technisch überragender Film. Viele Kritiker schreiben, große Zyniker sollten doch bitte diesen Film sehen und durch seine Schönheit verstummen. Aber gerade dieser Film ist wie gemacht für den Zynismus. Ein großer, sentimentaler Fatalismus-Quatsch und vielleicht deshalb wirklich ein Film wie Weihnachten, weil hier auf der Erlebnisebene vieles wohltuend und wärmlich erscheinen mag, aber eben auch vieles Behauptung, wenn nicht gar Lüge ist.
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