Gefangen in der Intimität. Mumblecore als persönliche Bühne.
Originaltitel: Kaptn Oskar
Produktionsland: Deutschland
Veröffentlichungsjahr: 2013
Regie: Tom Lass
Drehbuch: Tom Lass
Produktion: Tom Lass, Roman Avianus, Jonas Knudsen
Kamera: Jonas Schmager
Montage: Tom Lass
Darsteller: Tom Lass, Amelie Kiefer, Martina Schöne-Radunski, Gunnar Teuber, Christian Kuchenbuch, Thomas Schmuckert
Laufzeit: 81 Minuten
Seit Oskars (Tom Lass) Ex-Freundin Alex (Martina Schöne-Radunski) seine letzte Bude abgefackelt hat, wohnt er in einer heruntergekommenen Kellerwohnung. Jegliche Vorstellungen von Liebe hat er aufgegeben. Folglich klärt er mit der nächsten Frau, die in seinem Bett landet, gleich die Fronten: Kein Küssen, keine Gefühle, nur Sex. Und die lebenslustige Masha (Amelie Kiefer) lässt sich tatsächlich darauf ein. Gemeinsam stromern die beiden einsamen Seelen durch Berlin und lernen sich näher kennen. Auch Masha hat ihre Macken und Geheimnisse. Aber dann drängt sich Alex erneut in Oskars Leben und obwohl er Masha nicht aufgeben will, stellt sich plötzlich die Frage, ob eine „echte Beziehung“ zwischen ihnen jemals möglich sein könnte.
Quelle: moviepilot.de
Replik:
Einen Langspielfilm zu machen bleibt für viele Menschen ein unrealisierter Traum. Und natürlich ist es schwierig und selbst für Filmhochschulabsolventen keine Selbstverständlichkeit. Immer wieder gibt es aber mutige Versuche, durch Crowdfunding oder komplette Selbstproduktion für ein paar Tausend Euro einen solchen Spielfilm auf die Beine zu stellen. Kaum ein Genre ist hierfür so prädestiniert wie (German) Mumblecore, in dem es darum geht, Filme ohne festgelegtes Drehbuch durch Improvisieren, mit langen, ausufernden, aber daraus auch sehr naturalistischen Dialog-Szenen Unterhaltsamkeit und Substanz zu verleihen. „Kaptn Oskar“ gehört hier zu den interessantesten Beiträgen. Wer No-Budget-Filme machen will, sollte sich hier inspirieren lassen, da er nicht etwa zeigt, wie man für wenig Geld großes Handwerk vortäuschen kann, sondern vielmehr wie man gar nicht erst großes Handwerk benötigt, um interessante Geschichten erzählen, die dem Zuschauer zur Teilnahme bewegen. In Zeiten von schrumpfenden Budgets und Kino-Zuschauerzahlen kann ein Gefühl für das Minimale nur goldwert sein.
Eine tragende Kaputtheit
„Kaptn Oskar“ beschreibt eine obskure Dreiecksbeziehung: Oskar ist ein komischer Kerl, der in einer alternativen Bruchbude in Berlin lebt. Seine Ex-Freundin Alex ist sexuell-sadistisch veranlagt, genießt es beim Sex den Gegenüber zu schlagen und ist auch außerhalb des Betts ein ziemlicher Psychopath, samt Rachsucht. Oskar verliebt sich in ein kindlich-albernes Mädchen namens Masha, das mit jeder Menge älterer Männer Geschlechtsverkehr pflegt, zu Oskar aber eine sexlose Beziehung anstrebt. Die Figurenkonzeption mutet sehr abenteuerlich an und es fällt ehrlich gesagt auch äußerst schwer, sich mit irgendeiner der Figuren identifizieren zu können. Der Film profitiert aber von der Unberechenbarkeit und platt gesagt „Kaputtheit“ des Sujets. Hier trägt auch der Mumblecore-Filmstil mit Jumpcuts und Kamera-Grobmotorik bei (wobei der Kamera-Mann immerin beim hochprofessionellen Diplomfilm „Kriegerin“ tätig war).
Identifikation durch Intimität
Dem Film gelingt vieles auf seine leichtfüßige und hochsympathische Weise, wozu auch das Schauspiel der Beteiligten beiträgt, die bis in die Nebenrollen hervorragend arbeiten. Einzig Martina Schöne-Radunskis Figur ist schon ab Drehbuch (falls man bei der losen Konzeption von einem Buch überhaupt reden kann) zu einem gewissen Scheitern vorverurteilt, da ihre Figur zu eindimensional-hysterisch ist und am Ende des Films auch fallengelassen wird. Einige Dinge gehen dem Film dann auch verloren. Die psychologischen Konflikte, die hier verhandelt werden, sind zu offensichtlich und auch etwas zu oberflächlich abgehandelt. Masha hat einen gigantischen Vater-Komplex, der sich in ihrem Sexualverhalten, einerseits mit alten Männern zu schlafen, andererseits einfach ein Kind sein zu dürfen, mehr als deutlich zeigt. Allerdings scheint — so eine Spekulation — hier dieser Film auch eine hohe Intimität zu haben, da die Widmung des Films darauf hindeutet, dass tatsächlich der Vater von Masha-Schauspielerin Amelie Kiefer gestorben ist, ebenso wie auch der Vater der Filmfigur Masha. So erscheint „Kaptn Oskar“ als ein sehr persönliches Herzblut-Projekt, von dem man nicht genau weiß, wie viel „Wahrheit“ wirklich darin steckt, man die Wahrheit aber durchaus meint fühlen zu können. Denn die beeindruckendste Stärke des Films ist es, seine beinahe unschreibbaren Weirdo-Figuren nachfühlbar zu machen, obwohl sie wie gesagt für den durchschnittlichen Zuschauer wohl beinahe keine Identifikationsbasis bieten.
Eine Stille im Stau
Künstlerische Konsequenz geht dem Film dann aber doch hier und da ab. Der Musikeinsatz wirkt an den emotionalsten Stellen des Films plakativ und zu dick aufgetragen, was sich mit dem ansonsten sehr ruhigen naturalistischen Stil des Films beißt. Auch die Jumpcuts scheinen manchmal als L’art-pour-L’art ihren Einsatz zu finden, anstatt dass sie das sicherlich reichlich in der Improvisation angesammelte Material des Films nur zusammenkürzen, wie es wohl der ursprüngliche und legitime Sinn des Stilmittels war. „Kaptn Oskar“ macht trotz gewisser Mängel aber nichtsdestotrotz eine Menge inspirierende und anregende Laune. Das Ende des Films ist in seiner Einfachheit ziemlich stark. Da wird ein Schweigen zwischen zwei Menschen, die sich gerade bis auf den Seelenstriptease ausgesprochen haben, in einem Auto eingefangen, welches in einen Stau Richtung Heimatstadt gerät und damit das Schweigen immer länger und unangenehmer macht. Leider konzentriert sich der Film nicht auf die bedrückende Stille des Moments und setzt wiederum einen emotionalen Song als Musik-Maske ein. Aber das Bild funktioniert trotzdem: Individuen, die durch Zeit und Ort in ihrer Intimität gefangen sind. Und ein Vorwärts funktioniert nur stockend. So fühlt sich der gesamte Film an — und dieses Gefühl ist ziemlich spannend.
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