Bürgerliche Uninteressantheit á la TV-Vorabendfilm.
Originaltitel: Mia Madre
Produktionsland: Italien, Frankreich
Veröffentlichungsjahr: 2015
Regie: Nanni Moretti
Drehbuch: Nanni Moretti
Produktion: Nanni Moretti, Domenico Procacci, Olivier Père
Kamera: Arnaldo Catinari
Montage: Clelio Benevento
Musik: Ólafur Arnalds u.A.
Darsteller: Margherita Buy, John Turturro, Giulia Lazzarini, Nanni Moretti, Beatrice Mancini, Stefano Abbati
Laufzeit: 112 Minuten
Margherita (Margherita Buy) ist eine Filmregisseurin und steckt in einer Krise. Genauer: in der Midlife-Krise. Am Filmset gestaltet sich die Arbeit mit dem amerikanischen Filmstar Barry Huggins (John Turturro) mehr als schwierig, weil dieser sich für etwas Besseres hält. Und auch im Privaten liegt so einiges brach: Frisch getrennt von ihrem Freund fällt es Margherita schwer, den Zugang zu ihrer jugendlichen Tochter Livia (Beatrice Mancini) zu finden, die beim Vater wohnt. Außerdem fühlt sie sich schuldig, weil sie sich nicht so intensiv wie ihr Bruder Giovanni (Nanni Moretti) um ihre kranke Mutter (Giulia Lazzarini) kümmern kann. Dabei ist klar, dass ihre Mama – mia madre – kaum noch Aussichten hat, wieder gesund zu werden. Margherita versucht sich zwischen den Drehs und ihren familiären Problemen in zwei Hälften zu teilen – mit dem Effekt, dass sie für niemanden vollständig da ist.
Quelle: moviepilot.de
Replik:
Nanni Morettis „Mia Madre“ ist maßgeblich inspiriert vom tatsächlichen Tod Morettis Mutter während der Dreharbeiten zu „Habemus Papam“. Und so thematisiert Moretti nicht nur eine alte, sterbende Frau und ihre sich sorgenden, erwachsenen Kinder. Er verfrachtet das Thema auch in ein Film-im-Film-Sujet und macht dadurch aus „Mia Madre“ ein höchst selbstreflexives Werk. Zumindest ist es das auf dem Papier, denn wirklich persönliche Töne oder beeindruckende Beobachtungen über das Sterben, über Familie, selbst über das Filmemachen, bleiben hier aus. Moretti hat in „Mia Madre“ nichts zu erzählen.
Nichts Besonderes
Zunächst ein klassischer Fingertrick, dem Titel eine doppelte Bedeutung zu geben. Denn „Mia Madre“ handelt einerseits von Tochterschaft als auch Mütterschaft, dergestalt Protagonistin und Film-im-Film-Regisseurin Margherita (Margherita Buy) hier mit ihrer sterbenden Mutter und ihrer pubertären Tochter Livia zu kämpfen hat. Ihr eigener Vater ist bereits verstorben, der Vater ihrer Tochter aus nicht weiter geklärten Umständen von ihr geschieden. Als ob Nanni Moretti Angst vor Klischees hätte, entfernt er aus allen Beziehungen der Figuren sämtliches Konfliktpotenzial. Und zusammen mit dem gewollt konventionellen filmhandwerklichen Stil des Films mit auffälligem Musikeinsatz und ungeduldigen Schnitten, fernab vom unbequemen Autorenfilmtrend der langen, kargen Einstellungen, wirkt „Mia Madre“ daher viel zu oft wie ein (besserer) ZDF-Familienfilm für das Seniorenpublikum, auch wenn ihm das vielleicht selbst gar zu bewusst war.
Alberne Filmbizz-Reflexion
Der Film-im-Film-Bezug macht „Mia Madre“ leider nicht interessanter. Der familiäre „Stress“ behindert die Regisseurin folglich an ihrem Dreh, der zudem von der Eigenwilligkeit des amerikanischen Schauspielers Barry Huggins torpediert wird. Hier erlaubt sich Moretti ein paar harmlose und alberne filmindustriereflexive Momente einzubinden. Wirklich etwas Aussagekräftiges über den Beruf des Filmschaffenden oder wenigstens dem Verhältnis zwischen persönlichen Problemen und Beruf kommt dabei aber auch nicht zustande. Stattdessen scheint die Zweiteilung des Films in Familien- und Berufsmomente, die sich reziprok Substanz verleihen sollten, den Film mehr zu schaden, denn zu helfen. Beides ist zwar negativ, in seiner schnöden Banalität, kompatibel, aber fängt das komödische Aufeinandertreffen der reifen Regisseurin mit ihrem (wie so oft) kindgebliebenen Schauspieler Barry eher an zu nerven, als dass es den melancholischen Kern des Films auflockern könnte.
Bourgeois und apolitisch
Und wo ist hier das wirklich Linke, das Nanni Moretti doch so für sich beansprucht? Ja, der Film, den die Heldin Margherita hier dreht, ist ein gesellschafts- und kapitalismuskritischer Film, nur ist niemand wirklich von dem kritischen Ansatz des Films überzeugt, noch nicht einmal die Regisseurin selbst. Man kann den Film damit als einen ironischen Umgang mit der Schwere der Gesellschaftskritik verstehen, wodurch sich Moretti also durch leichte humorvolle In-Distanz-Setzung doch wieder als Teil dieser identifizieren würde. Jedoch ist dieser Ansatz, der das Film-im-Film-Sujet sinnvoll einsetzen würde, gar nicht der Kern des Films. Stattdessen konfrontiert uns Moretti mit kleinbürgerlichen, individuellen Problemen. Seinen, Nanni Morettis, Problemen zwar, aber dafür sind seine Figuren zu wenig ausgearbeitet und zu uninteressant. Livia z.B., Margheritas Tochter ist eine spärlich gezeichnete Zusammenführung der Themen Erste-Liebe, Ich-will-Roller-fahren und Ich-will-nicht-Latein lernen. Der Umriss einer pubertären Tochter ergibt sich daraus, aber keine Figur, an der man Interesse gewinnt. Noch schlimmer aber die sterbende Mutter, die erst im Nachhinein, nachdem sie gestorben ist (kein großer Spoiler) ein paar bis dato nicht weiter eingeführte Figuren über ihre Person erzählen lassen. So als habe Moretti schlichtweg bis dahin vergessen, diese Figur erzählerisch interessant auszustaffieren. Moretti hat hier leider einiges vergessen.
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