Einmal Meer-Metapher, bitte. Vom Uneindeutigen zum Eindeutigen.
Originaltitel: 2つ目の窓 (Futatsume no Mad)
Produktionsland: Japan, Frankreich, Spanien
Veröffentlichungsjahr: 2014
Regie: Naomi Kawase
Drehbuch: Naomi Kawase
Produktion: Takehiko Aoki, Masamichi Sawada, Naomi Kawase
Kamera: Yutaka Yamazaki
Montage: Tina Baz, Naomi Kawase
Musik: Hasiken
Darsteller: Nijirō Murakami, Jun Yoshinaga, Miyuki Matsuda, Tetta Sugimoto, Makiko Watanabe, Jun Murakami, Fujio Tokita
Laufzeit: 121 Minuten
Still the Water spielt auf der tropischen japanischen Insel Amami: Ein Junge muss hier versuchen, die Trennung seiner Eltern zu verwinden. Ein Mädchen hingegen hadert mit der schweren Krankheit ihrer Mutter. Während einer Vollmondnacht im August findet der sechzehnjärige Kaito (Nijirô Murakami) eine Leiche, die im Meer treibt. Gemeinsam mit seiner Freundin Kyoko (Jun Yoshinaga) will er das Geheimnis hinter dem Toten lüften. Dabei erfahren die zwei Jugendlichen die Zyklen von Leben, Tod und Liebe und lernen schließlich, erwachsen zu werden.
Quelle: moviepilot.de
Replik:
Ich kannte Naomi Kawase bisher nur vom Hören und habe in „Still The Water“ meinen ersten Film von ihr gefunden. Deshalb will sich dieser Text ganz entschieden nicht wirklich als eine handfeste Rezension, sondern mehr als ein erster Erfahrungsbericht verstanden wissen. Über Kawase las ich, dass ihre Stärken im Verschmelzen des Dokumentarischen mit schlichten fiktionalen Handlungen liegt. Ich las ebenfalls, dass Kawase „Still The Water“, der 2014 in Cannes um die Goldene Palme konkurrierte, von ihr selbst als vorläufiges Meisterwerk aus ihrer Feder betrachtet wird. Das habe ich aber alles im Nachhinein gelesen und mein Ersteindruck war dementsprechend unverfälscht
Teophanisches Meer
Die ersten Minuten von „Still The Water“ verschlinge ich förmlich. Es ist ein interessantes Sujet, ein Bild Japans, das man als westlicher Zuschauer kaum im Hinterkopf haben dürfte. Eine südjapanische Insel, deren Einwohner noch einer Naturreligion anhängen. Mir gefällt außerdem der handwerkliche Stil, dem egal zu sein scheint, dass mal ein Schnitt nicht funktioniert oder ein hässliches Bild dabei ist. Generell scheint die audiovisuelle Machart mit einer schönen Konsequenz darauf abzuzielen, dass der Film das Meer als eine dauerhaft anwesende theophanische Entität einführt. Das Meeresrauschen liegt wirklich permanent (!) auf der Audiospur bis man sie als Kunstmittel vergisst und weitestgehend unbewusst wahrnimmt. Einstellungen vom Meer werden immer wieder unter die Bilder von Menschen gemischt. Der Effekt ist, dass hier trotz der dörflichen Langsamkeit der Bevölkerung doch immer etwas Geladenes und Unbekanntes auf seinen Ausbruch wartet.
Doku-Dramaturgie als Klischee-Schutzschild
Hier sind auch die erwähnten dokumentarischen Momente zu finden, die vollends aufgehen. Die Auflösung, die Kawase wählt, wirkt, als passe sie sich einem realen Geschehen an. Die Schauspielführung ist trotz (oder aufgrund) der unbekannten Schauspieler (zunächst) äußerst gelungen. Natürlich sind die meisten Szene keine darstellerischen Herausforderungen und beschränken sich auf Alltagsgespräche, aber beeindruckend sind dann doch Szenen, in denen Liebe, Tod und Sex (generell die Kernthemen) des Films beim Namen genannt werden. Auch hier hält die Authentizität dem anspruchsvoller werdendem Plot stand. „Still The Water“ schafft immerhin mit Leichtigkeit das, woran viele (Teeny)-Romanzen katastrophal scheitern: Der Zuschauer gewinnt Interesse und Lust an den Konflikten der beiden jungen Protagonisten. Obwohl diese extrem (und wirklich extrem) basic sind. Das erste Mal Sex, die Liebhaber der Mutter, Scheidung der Eltern, Sterben eines Familienangehörigen. Kawase hätte furchtbar schnell in eine Klischeefalle tappen können, setzt aber gekonnt ihre dokumentarisch anmutendene Dramaturgie ein. Es sind kleine Momente, die lange Plansequenzen bekommen. Z.B. wird das Sterben der kranken Mutter nicht gezeigt, sondern nur das traditionelle Singen und Musizieren am Sterbebett. Und dieser Doku-Detailgrad macht die tausendeinhundertfünzigmal gesehenen Konflikte der Figuren nochmal interessant.
Es wird lauter und deutlicher
In der Mitte des Films war ich dann geneigt, den Film dafür zu verehren, dass er die Einfachheit und Konzentration auf das Elementare dahin zurückbringt, wo wir selbst in TV-Soap-Operas schon alles gesehen haben. Doch die zweite Hälfte des Films relativiert leides vieles, was den Film bis dahin so gut machte. Auf einmal fängt Kawase an, sich für die Probleme auch in konventioneller(er) Dramaturgie zu interessieren, die bis dahin nur eine Randbemerkung in dokumentarhaften Bildern waren. Und auf einmal wird der Film dadurch auch platter, ausrechenbarer und kitschiger. Dinge, die bis dahin wunderschön zwischen den Zeilen bzw. Ozeanwellen mitschwangen, werden jetzt beim Wort gefasst und dadurch banalisiert. Hier muss man auch konstatieren, dass Naomi Kawase nur halb so geschickt und komplex über Familienangelegenheiten philosophieren kann wie ihr Regie-Kollege Hirokazu Koreeda. An dieser Stelle nimmt sich der Film seine magischen Spannungen und macht daraus teilweise eine Art „Urlaubs-Film“, der sich zu viel auf seinen lauteren und deutlicheren Metaphern ausruht.
Das eindeutige Meer
Von diesen deutlicheren Metaphern, für die man kein Genie sein muss, um sie zu sehen und zu verstehen, ist natürlich das Meer die deutlichste (und im wahrsten Sinne des Wortes lauteste). Das Meer ist hier das Unbekannte, Gefürchtete, Gewaltige, aber auch das Schöne und Begehrte. Und damit eine klassische Metaphorisierung von Erwachsenwerden im Allgemeinen und Sex im Speziellen. Und dergestalt wird das Meer auch im Film dramatisch umspielt. Der Junge, der sich vor dem Sex fürchtet, fürchtet sich auch vor dem Meer. Das sexuell bereite Mädchen hingegen überhaupt nicht. Und auch die Freudsche Ur-Szene zwischen Vater und Mutter, die der Junge in einer Nacht erträumt, spielt im Meer. Deutlicher geht es kaum. „Still The Water“ verläuft vom Schönen-Uneindeutigen zum Weniger-Schönen-Eindeutigen und weist damit auch eine dramatische Kurve auf, deren Steigung eine negative ist.
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