Frausein am Rande der Gesellschaft: Eine Passionsgeschichte.
Originaltitel: Kôge – Ichibu: Waremokô no shô
Produktionsland: Japan
Veröffentlichungsjahr: 1964
Regie: Keisuke Kinoshita
Drehbuch: Keisuke Kinoshita (nach einem Roman von Sawako Ariyoshi)
Bildgestaltung: Hiroshi Kusuda
Produktion: Keisuke Kinoshita, Masao Shirai
Montage: Yoshi Sugihara
Darsteller: Mariko Okada, Takeshi Katô, Kinuyo Tanaka, Eji Okada, Haruko Sugimada, Gô Katô, Norihei Miki u.A.
Laufzeit: 204 Minuten
Spanning in time from the Russo-Japanese War (1904–1905) to the post World War II era, The Scent of Incense depicts the ongoing conflicts in the troubled relationship between Tomoko and her mother Ikuyo. Ikuyo, who is about to remarry, leaves Tomoko with her grandmother Tsuna, only to sell her to a geisha house after Tsuna’s death. When the women meet again, Ikuyo has herself turned to prostitution. Tomoko, now a geisha, starts a relationship with cadet Ezaki with the prospect of marriage, but his family denies its approval due to Ikuyo’s profession. Having become independent as the madam of her own geisha house, Tomoko loses her property in the 1923 earthquake. While her mother marries a third time, this time former servant Hachiran, Tomoko refuses the offer of Nozawa to become his mistress. Amidst the ruins of a bomb-ridden Tokyo, where Tomoko and Ikuyo live in a cellar, the mother is reunited with Hachiran who had gone missing during the Second World War. Tomoko hears of the imprisonment and death sentence of Ezaki for a war crime, but when she is finally admitted to visit him in jail after months of waiting, he pretends not to know her. After Ikuyo’s death in a traffic accident while Tomoko is in hospital, Hachiran returns to his home town. The film closes with Tomoko having Ikuyo’s name added to the family shrine, suggesting her coming to peace with her mother.
Quelle: en.wikipedia.org
Replik:
Der knapp dreieinhalbstündige Zweiteiler „The Scent Of Incense“, den Kinoshita 1964 fertigstellte, gilt als der letzte Film von Kinoshita eher er sich in das Fernsehen zurückzog und damit eine Kinoregiekarriere vorläufig beendete, die zu diesem Zeitpunkt schon fast fünfzig Werke zählte, von denen einige zu den häufig übersehenen Meisterwerken der japanischen Filmgeschichte gehören. In vielerlei Hinsicht ist das ein typischer und versöhnlicher Abschied des großen Meisters, wenngleich der Film hier und dort auch einige ungewöhnliche Schwächen aufweist. Die Adaption der damals 33-jährigen Schriftstellerin Sawako Ariyoshi verbindet Elemente des generationsübergreifenden Melodrams mit gesellschaftlich progressiven Akzenten. Man kann und sollte „The Scent Of Incense“ sogar als einen Wegbereiter des japanischen Feminismus lesen.
Gewordensein und Geworfensein
Kinoshita verfolgt eine wirkliche lange Strecke des zeitgeschichtlichen Japans, vom russisch-japanischen Kriegs um die Jahrhundertwende, über den Einsatz des Kaisers Hirohito, den Zweite Weltkrieg bis in die demokratischen 50er-Jahre des Landes hinein. Im Fokus steht das Verhältnis zweier Frauen, Ikuyo und Tomoko, Mutter und Tochter, die gemeinsam in einen Bordell in Tokio arbeiten, die Mutter als Prostituierte, die Tochter als eine Geisha und Kurtisane. Männer und Liebschaften wechseln sich ab, es gibt prosperierende Zeiten, es gibt schwerere Zeiten, was bleibt ist dieses Geworfensein der beiden Frauen in ihr Leben und in die ewige Abhängigkeit voneinander. Schon früh beginnt die Tochter der Mutter zu entwachsen, reifer und disziplinierter zu sein als die lasterhafte Mutter. In immer wiederkehrenden Diskussionen zeichnet Kinoshita dieses Verhältnis der beiden, das mal Freundschaft, mal Rivalität, mal Arbeitskollegität zu sein scheint, nie aber das einer konventionellen Mutter-Tochter-Beziehung. Anders als bei früheren Filmen entgleitet Kinoshita hier manchmal das Schauspielerische, wirkt etwas theatralisch und albern, zumal repetitiv, wenn Tomoko die Mutter zum tausendsten Mal auf den altersungemäßen Kimono-Geschmack der Mutter anspricht. Es ist vor allem das epische Ausmaß der Erzählung, die aber irgendwann dieses kinoshitaeske Momentum rettet, Figurenbeziehungen in einer seltenen Tiefe erfahrbar machen zu können. Für die Frauen gibt es bei all ihrer Unterschiedlichkeit nie etwas anderes als sie selbst. Sie sind gesellschaftlich Randständige, vor allen Dingen eint sie aber ein nie wirklich explizit geäußertes, aber doch implizites Solidaritätsgefühl. In einer Szene spürt man in der Skepsis die Tomoko ihrer Halbschwester, die von der neuen Demokratie und dem Zeitalter des Individualismus schwärmt, gegenüber an den Tag legt, einen dem westlichen Individualismus gewissermaßen entgegengesetzten Glauben in die Schicksalsgemeinschaft. „The Scent Of Incense“ lässt sich als eine weibliche, aber auch als eine japanisch-nationale Passionsgeschichte lesen.
Eine Lieblingsszene: Der Beamte fürs Leben
In meiner Lieblingsszene besucht Tomoko ihren langjährigen Liebhaber Ezaki, der vor einem amerikanischen Tribunal steht und wegen schweren Kriegsverbrechen kurz vor dem Tod durch den Strick steht. Kinoshita nimmt sich mehrere Szenen Zeit, um Tomoko immer wieder die Behörden nach einem letzten Wiedersehen mit Ezaki zu erbitten — als seine heimliche Kurtisane ist sie quasi chancenlos, nur seine Familie darf ihn sehen. Sogar eine weitere Nebenfigur wird für diese Sequenz etabliert, nämlich ein namenloser Beamter, mit dem Tomoko telefoniert, der ihre Sehnsucht nach diesem letzten Treffen förmlich mitleidet — der etwas in Tomoko sieht, vielleicht (im Gegensatz zur restlichen Nachkriegsgesellschaft) einfach einen Menschen. Als es schließlich zu dem Wiedersehen mit Ezaki kommt, sitzt Tomoko zusammen mit den ehelichen Enkelkindern Ezakis in der Besucherzelle und wird von Ezaki nicht beachtet. Aus Gründen der familiären Ehre zieht es Ezaki vor, kurz vor seinem Tod sein Verhältnis mit Tomoko nicht öffentlich zu machen, obwohl er ihr einst sogar versprach, sie zu heiraten. Kinoshita beobachtet das mit der für ihn typischen eleganten Beiläufigkeit, wie man sie aus modernen Arthouse-Filmen kennt. Tomoko verlässt die Besucherzelle, ist mit ihrem Schmerz allein, dort sieht sie noch einmal den Beamten, der ihr geholfen hat, Ezaki entgegen all der Widerstände überhaupt wiedersehen zu können. Er tröstet sie, aber sie verlässt das Gefängnis, reichlich apathisch. Der Film geht weiter, die Jahre vergehen, Figuren werden krank, trennen sich, vereinigen sich wieder, sterben. Aber was ich als Zuschauer emotional begriffen habe, ist etwas Ungesagtes: Der Beamte wäre der Mann für Tomokos Leben gewesen.
79%
Bildrechte aller verlinkten Grafiken: © Shochiko Ofuna