Ein arabischer Historienfilm ohne kontemporäre Läuterung.
Originaltitel: Theeb (ذيب)
Produktionsland: Jordanien, Vereinigte Arabische Emirate, Großbritannien, Katar
Veröffentlichungsjahr: 2014
Regie: Naji Abu Nowar
Drehbuch: Naji Abu Nowar, Bassel Ghandour
Musik: Jerry Lane
Kamera: Wolfgang Thaler
Montage: Rupert Lloyd
Darsteller: Jacir Eid Al-Hwietat, Hussein Salameh Al-Sweilhiyeen, Hassan Mutlag Al-Maraiyeh, Jack Fox
Laufzeit: 100 Minuten
Während der Zeit des Ersten Weltkriegs lebt Theeb mit seinem Bruder Hussein in einem Beduienenstamm in Hedschas in Saudi Arabien. Seit dem Tod ihres Vaters kümmert sich Hussein um die Erziehung des Jungen. Eines Tages bekommen die beiden Besuch von einem englischen Offizier, dem sie dabei helfen sollen, seinen geheimen Zielort zu erreichen. Da es in ihrer Kultur unüblich ist, den Wunsch eines Gastes auszuschlagen, führt Hussein den Offizier durch die verschlungenen Täler des Wadi Rum. Da Theeb nicht von seinem Bruder getrennt sein möchte, folgt er ihnen. In einer Umgebung voller Gefahren muss er heranwachsen, um zu überleben.
Quelle: moviepilot.de
Replik:
Die Auslands-Oscar-Nominierungen, die sich meistens aus den Entscheidungen der großen europäischen A-Festivals, sowie hollywoodähnlichen Produktionen aus aller Welt rekrutieren, sind doch auch immer für eine Überraschung gut. Zwar haben die überraschend nominierten Filme, die im Vorfeld kaum jemand kennt, in der Regel dann eh keine Chance auf die Goldstatuette, trotzdem werden die Nominierungen aus einer Unzahl an Einreichungen ja wohl kaum gewürfelt sein, sprich: es scheint eine bewusste Entscheidung hinter ihrem Überraschungscharakter zu stecken. Einer dieser Überraschungs-Nominierungen ist im Jahre 2016 der von verschiedensten arabischen Ländern koproduzierte Film „Theeb“, der zwar ästhetisch nicht uninteressant ist, aber, obwohl er sich als Allegorie auf den aktuellen IS-Konflikt interpretieren lässt, moralisch auf einer fragwürdig-mittelalterlichen Position beharrt, die der Westen doch an den Gesellschaften seiner Produktionsländer immerzu kritisiert.
Allegorie auf IS-Milizen
„Theeb“ versetzt den Zuschauer in eine schwer zu durchschauende Handlung, in der man ohne Allgemeinbildung förmlich untergeht. Es gibt keine historische Einordnung und da die arabischen Menschen in gewissen Teilen des arabischen Kulturraumes immer noch nicht sehr weit entfernt von den archaischen Nomaden-Strukturen sind, die hier gezeichnet werden (samt Kleidungsstil usw.), könnte man auch denken, dass „Theeb“ von einem zeitgenössischem Sujet spricht. Tatsächlich geht es aber um die Zeit des späten Kolonialismus, in der eine europäische Eisenbahnstrecke durch die Weiten der Wüste Asien und Europa verbinden soll. Der Protagonist „Theeb“ (arabisch für Wolf) hilft seinem Bruder und einer Glücksrittergruppe einen Weg durch die Wüste zu finden, aus einem nicht nähert erörteten Zweck heraus. Dieser sehr ungewöhnliche Historienfilm lässt sich auch aufgrund vieler Aussparungen der Figurmotive lose auf ein aktuelles Thema beziehen. Die maskierten Banditen, die im Film später auftauchen und das gesamte Abenteurer-Team außer Theeb töten, erinnern nämlich stark an die IS-Schergen. Wie auch die Söldner des IS sind die Banditen in „Theeb“ arbeits- und perspektivlose Menschen, die durch die Gier der westlichen Kolonialisten um ihr Geschäft gebracht wurden und somit in die Fängen von Unmenschen gezwungen wurden. In Naji Abu Nowars Film gibt es diese (relativ klassische) Storywendung, dass der Junge Theeb mit seinem Feind kooperieren muss, um zu überleben. Dieser eine überlebende Feind ist ein Bandit, der sich zuvor als Pilger-Führer verdingte und nun, durch die europäische Habgier, den Bau der Eisenbahn, in sein Handeln getrieben wurde. Nicht nur das allein ist ein schöner Verweis auf den Islamischen Staat, sondern auch, dass dieser Bandit in seiner Barbarei nicht typisch muslimisch handelt, wie es Rechtspopulisten über den IS gerne postulieren, sondern dass er sogar viel mehr durch die Umstände vom friedlichen, frommen Islam abgekommen ist.
Konfrontation mit dem Nicht-Sehen
Für die Bildgestaltung des Films war der österreichische Weltenbummler-Kameramann Wolfgang Thaler zuständig, der dem Film nicht nur seine eigene Ästhetik verleiht, sondern auch seine dramaturgischen Aspekte unterstreicht. Denn der Clou an „Theeb“ ist, dass er ungemein konsequent damit umgeht, das Wissen des Zuschauers mit dem Wissen des Protagonisten synchron zu halten. Also entgegengesetzt des Hitchockschen Suspense-Kinos, wo Spannung entsteht, in dem der Zuschauer mehr weiß als die Figuren, setzt „Theeb“ auf die sehr realistische Erfahrung von urplötzlich eintretenden Ereignissen, von denen vorher kaum zu ahnen war. Da sieht man dann aus einer Medium-Shot-Einstellung heraus, wie eine Figur, der englische Abenteurer von einer Scharfschützenkugel niedergeschossen wird, ohne auch nur im Ansatz von der Position ebenjenes Schützen zu wissen. Besondes beeindruckend auch eine Szene, in der die Hauptfigur Theeb in die Ferne schaut, wo ein verwundeter Bandit liegt. Theeb weiß davon, aber die Ferne, außerhalb des Radius seines Lagerfeuerlichtes, besteht aus reinster Dunkelheit, in die er blickt. Diese Konfrontation des Zuschauers mit dem Nicht-Sehen ist sehr gelungen, denn sie hält einen auch geistig im Spiel, da man über das Gezeigte hinaus mitdenken muss. Manchmal wird diese Strategie aber auch übertrieben, z.B. wenn aus einem Bildwinkel auf einmal überraschend bewaffnete Soldaten auftauchen, die im logischen Raumverständnis des Zuschauers in der weitläufigen Wüste schon lange zuvor von den Protagonisten gesehen worden sein müssten.
Gewalt ohne Läuterung
Was jedoch das größte Manko an diesem eigentlich sehr spannenden Film darstellt, ist sein fahrlässiger Umgang mit Gewalt. Diese wird hier nicht als Naturzustand gezeichnet, auch nicht als einen gesellschaftlichen Missstand, der überwindbar ist, sondern als eine legitime politische Möglichkeit. Denn Gewalt dient hier einer Blutrache, dem Mord an dem Mörder des eigenen Familienangehörigen, anstatt der Gnade oder zumindest non-violenten Rache und wird sogar mit einem Reifeprozess gleichgesetzt. Diese Gewaltanwendung sorgt zwar im Stile der aufregenden Dramaturgie des Films für einen Überraschungsmoment, irritiert aber im Nachhinein umso mehr, ob seiner moralischen Fragwürdigkeit. Denn Gewalt als Mittel gegen Gewalt bzw. was noch viel schlimmer ist: Gewalt als Mittel wegen Gewalt ist doch ein veraltetes Prinzip, über das sich ein oscarnominierter Film stellen sollte. Somit ist „Theeb“ nicht wirklich schlauer als der kriegstreibende Westen, der mit seinen Auge-um-Auge-Kriegen im Nahen Osten den Islamischen Staat erzeugt hat.
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