Ein bisschen Mundpropaganda anlässlich des Wiener Filmfestivals.
Seit 2018 hat die Viennale eine neue Festival-Direktorin: Eva Sangiorgi. Und allein auf das diesjährige Filmprogramm bezogen kann man bereits sagen: Alles richtig gemacht. Das Programm beeindruckt. Bestochen hat es ja schon immer als gut sortiertes Replay-Festival der großen Festivals, garniert mit ein paar fein ausgesuchten Perlen aus kleineren Festivals und Sektionen. Egal wie lang der neue Lav-Diaz-Film ist, egal wie viele Filme Hong Sang-Soo in jenem Jahr herausgebracht hat: sie waren da.
Das gilt natürlich auch für dieses Jahr. Aber mehr noch. Heuer, so scheint mir, hat man wirklich jeden wichtigen Beitrag zur Filmkunst im Programm untergebracht, was vor allem unter den schwer zu programmierenden überlangen Filmen auffällt. Die, die man immer versucht ist, auf ein Mindestmaß zu reduzieren, damit der Spielplan nicht zu verkompliziert. Den Vierzehnstunden-Film „La Flor“ von Mariano Llinás z.B., die chinesische Acht-Stunden-Dokumentation „Dead Souls“ von Wang Bing, dazu noch den neuen dreistündigen Reygadas-Film, der vor zwei Monaten noch in Venedig premierte, die neuen Filme von Lars von Trier, Nuri Bilge Ceylan und natürlich Lav Diaz. Und man könnte so weitermachen. Die Hardcore-Cinephilen, diejenigen, die solche Filme wirklich schauen und das auch nur auf Festivals (gebührend) tun können, werden das zu schätzen wissen.
Ein paar der gezeigten Filme habe ich glücklicherweise schon gesehen und möchte hiermit ein paar Empfehlungen aussprechen. Sowie (weiter unten) die Filme, auf die ich mich am meisten freue und die sich somit als „unverbindliche“ Empfehlungen verstanden lassen werden möchten.
Empfehlungen
07. „Burning“ (Chang Dong Lee, 2018)
„Burning“ wird ziemlich sicher in den Jahreslisten von Sight&Sound und Cahièrs mindestens einen Top-5-Platz erreichen und womöglich sogar die Eins stemmen, so sehr war „Burning“ der absolute Kritikerliebling des Jahres. Für mich persönlich hat sich der partiell definitiv sehr sehenswerte Film aber niemals zu einem stimmigen Ganzen zusammengefügt und ich finde andere Filme von Chang Dong-Lee wesentlich gelungener. Aber mit dieser Meinung stehe ich relativ einsam da, also: anschauen!
06. „An Elephant Sitting Still“ (Hu Bo, 2018)
„An Elephant Sitting Still“ ist eigentlich ein bisschen too much, aber — und das ist bei vier Stunden Spielzeit wohl die gute Nachricht — es passiert jedenfalls etwas darin. Sehr viel sogar. Ein breites soziakritisches Panorama des gegenwärtigen Chinas mit jeder Menge Crime, gedreht von einem 28-jährigen Regisseur, der die Premiere seines Films nicht miterlebte, sich zuvor das Leben nahm. Allein deswegen muss man ihn schon sehen, um bei der Legendenbildung dieses Werkes mitreden zu können.
05. „Ray & Liz“ (Richard Billingham, 2018)
Regisseur Richard Billingham kommt eigentlich aus der Fotografie und legt mit seinem Arbeiter-Milieu-Film, der auf seine eigene Familie anspielt, sein Langspielfilmdebüt hin. Besonders beeindruckt das filmische Erzählen mit Einstellungsgrößen und Kadrierungen, obwohl die Kamera das braungrün-trostlose Council Estate, in dem der Film angesiedelt ist, nie verlässt.
04. „Season Of The Devil“ (Lav Diaz, 2018)
Lala Lala Lalala Lalalaalaaa.
Allein für den Ohrwurm des Titelsongs, welches sich auch durchaus als ein Fußballfanchor eignen würde, lohnt es sich schon, vier Stunden in die Lav-Diazsche Welt einzutauchen. So sehr Musical, wie man befürchten müsste, ist „Season Of The Devil“ gar nicht. Einfach ein typischer Lav Diaz, in dem etwas mehr gesungen wird. Jeder, der sich den Film auf der Viennale anschaut und danach den Titelsong mit mir singt, bekommt von mir einen Donut geschenkt.
03. „Happy As Lazzaro“ (Alice Rohrwacher, 2018)
Machen wir’s kurz: Den Riesenhype, den Rohrwacher mit ihrem Film in Cannes auslöste, wird der Film im Großen und Ganzen ziemlich genau gerecht. Tatsächlich ist das ein fein gemachter, poetischer, ganz geschmackvoll und unkitischig überhöhter und jetzt schon ikonischer Film (allein wie die Hauptfigur geht).
02. „Ash Is Purest White“ (Jia Zhangke, 2018)
Wer noch keinen Film von Jia Zhangke gesehen hat, wird sich vielleicht wundern, was dieser Film alles in sich vereint und stimmig vermengt. Melodram, Thriller-Sequenzen, dokumentarische Bildstrategien … Wer den Allrounder und großen Meister Jia Zhangke schon kennt, sieht hier einen weiteren sehr gelungenen seiner Filme.
01. „Beautiful Things“ (Giorgio Ferrero, 2017)
Nichts macht mich dieses Jahr so glücklich und stolz, wie „Beautiful Things“ im Viennale-Programm zu sehen. Diesem Biennale-College-Film, den ich mit nur ganz wenigen Zuschauern zusammen 2017 in Venedig entdeckte, hatte ich nämlich eine ziemlich große Zukunft vorhergesagt. Dieser unorthodoxe, in seiner Form völlig neue Film ließe sich nämlich sowohl als Netflix-Film als auch als Kunstinstallation vermarkten. Man muss dieses hochkünstliche Biest von Film vielleicht nicht mögen, aber man muss ihn schauen. Denn so etwas wie „Beautiful Things“ gab es zuvor einfach noch nicht.
Meine persönliche Watchliste (man möge sich gerne anschließen!)
• „Climax“ (Gaspar Noé)
• „Our Time“ (Carlos Reygadas)
• „Shoplifters“ (Hirokazu Koreeda)
• „The House That Jack Built“ (Lars von Trier)
• „La Flor“ (Mariano Llinás)
• „Dead Souls“ (Wang Bing)
• „Long Day’s Journey Into Night“ (Gan Bi)
• „A Land Imagined“ (Siew Hua Yeo)
• „Between Two Waters“ (Isaki Lacuesta)
• „Roma“ (Alfonso Cuarón)
• „High Life“ (Claire Denis)
• „I Do Not Know If We Go Down In History As Barbarians“ (Radu Jude)
• „Asako I and II“ (Ryusuke Hamaguchi)
• „Cold War“ (Pawel Pawlikowski)
• „Three Faces“ (Jafar Panahi)
• „Alles ist gut“ (Eva Trobisch)
• „Shéhérazade“ (Jean-Bernard Marlin)
• „Leave No Trace“ (Debra Granik)
• „Hotel By The River“ (Hong Sang-Soo)