Foucault auf Pferden oder ein ahistorischer Historienfilm.
Originaltitel: Szegénylegények
Alternativtitel: Die Hoffnungslosen, Die Männer in der Todesschanze
Produktionsland: Ungarn
Veröffentlichungsjahr: 1966
Regie: Miklós Jancsó
Drehbuch: Gyula Hernádi, Miklós Jancsó
Kamera: Tamás Somló
Montage: Zoltán Farkas
Darsteller: József Madaras, János Görbe, Zoltán Latinovits, Tibor Molnár, András Kozák, Gábor Agárdy
Laufzeit: 90 Minuten
Widerstandskämpfer des Kossuth-Aufstandes (1848-1849) der Ungarn gegen die K.u.k.-Monarchie werden verhaftet und grausamen Verhören unterworfen, wobei einzelne zu Verrätern werden, ohne jedoch damit das eigene Leben zu retten.
Miklós Jancsós streng grafisch komponierter Film vertritt eine konsequent humanistische Gesinnung und zeigt auf, daß Terror jeden Widerstand brechen kann.
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
Miklós Jancsó gilt neben Andrej Tarkowskij als der Einfluss schlechtin auf niemand Geringeren als Béla Tarr und wird von vielen Kennern als der Übervater des ungarischen Films angesehen. (Vor allem) Seine (späteren) Filme vermengen folkloristische Tanz- und Gesangschoreographien mit bockernsten Diskursen über Macht und Gewalt. Seine Tetralogie der Macht, die aus „Die Hoffnungslosen“, „Sterne an den Mützen“, „Stille und Schrei“ sowie „Schimmernde Winde“ besteht, sicherte ihm Ende der 1960er Jahre ein großes internationales Renommee zu. Auch wenn er spätestens nach dem Cannes-Gewinn mit „Roter Psalm“ wieder von der ganz großen Autorenfilmerbühne verschwinden sollte, blieben seine Filme einflussreiche, stilbildende Werke des Weltkinos. Das Tetralogie-Auftaktwerk „Die Hoffnungslosen“ ist unterhaltungsloses Entfremdungskino in Reinform, das jedoch durch eine geradlinige Ästhetik und eine Studie über Machtmechanismen und psychologische Gewalt grandios aufgeht.
Schachfiguren in Westernmontur
„Die Hoffnungslosen“ bietet eine selten da gewesene Melanche verschiedener filmischer Philosophien. Im Ungarn des Österreichisch-Ungarischen Kaiserreichs angesiedelt, bedient Jancsó klassische Bildtypen des Westerngenre, wobei er gleichermaßen beim damaligen Western abgeschaut haben dürfte als auch stilprägend für den zeitlich folgenden Western, vor allem Sam Peckinpah, gewesen sein dürte. Auch Peckinpah nutzte das Westerngenre, um es zu dekonstruieren und die Ursachen von Gewalt zu erforschen („The Wild Bunch“). Nur geht Jancsó noch radikaler vor und beraubt seinem Film beinahe jeglicher Bewegung. Von Antonioni beeinflusst, entfremdet er seine Welt und macht sie bleischwer. Lange Kameraeinstellungen (Jancsó sollte dieses Prinzip noch weiter treiben und damit Béla Tarr beeinflussen) und eine Betonung der Räumlichkeit, gegenüber gesichtberaubten Figuren, die sich wie Schachfiguren von Jancsó verschieben lassen, rauben dem Film jegliches Lustprinzip. Dass Jancsó trotzdem eine weite Prärie, Outlaws mit Cowboyhüten und Lassos einbaut, sprich: mit Klischees des Western jongliert, kommt da fast wie ein ironischer Kommentar rüber.
Eine Machtstudie als Planspiel
Aber das ist auch wirklich das einzige Moment des Spielerischen und Leichtem und gleichzeitig eine kleine Schwäche, denn hiermit individuiert der Film eben doch seine Verbrecher und widerspricht seinem Prinzip alles charakterlos und anonym darzustellen. Abgesehen davon ist „Die Hoffnungslosen“ ein Planspiel, das bemerkenswert zielbewusst seine Machtstudie durchexerziert. Jancsó zeigt Gewalt als politisch motivierte Notwendigkeit, die kühl und kalküliert angewandt wird. Folter, Denunziation und Exekution werden gezeigt, aber keiner dramatischen Spannung unterworfen. „Die Hoffnungslosen“ untergräbt jegliche Zuschauererwartung an Spannung und simuliert stattdessen ein Gefühl von zeitlicher Beliebigkeit, vom Verlust des Zeitgefühls, wie er für Gefängniserfahrungen typisch ist. Das Gezeigte bleibt hängen, aber es fällt unglaublich schwer, sich erinnern zu können, wann, an welcher Stelle des Films, das Gezeigte überhaupt stattfand.
Eine panoptische Prärie
Satte zehn Jahre bevor Michel Foucault seinen Klassiker „Überwachen und Strafen“ herausbrachte, bietet Jancsó bereits sowas wie eine Illustration von Foucaults Panoptikum-Modell. Das Panoptikum ist hier allerdings kein unbeleuchteter Turm, der eine kreisförmig Umlagerung von ständig beleuchteten Gefängniszellen bewacht, er ist eine scheinbar endlose Prärie. Die Gefangenen können jederzeit davon laufen (das Fort ist auch durch eine geradezu lächerliche Absperrung gesichert), aber auf der von der Sonne beleuchteten Wiese sind sie ständig sichtbar und von den berittenen Wärtern einfach aufzuspüren. Zudem bietet die Weite der Prärie eine ideale Zielbedingung für Schusswaffen. Wer eine imaginäre Grenze überquert, wird erschossen. Mit diesem Wissen herrscht für den Gefangenen ein Paradox der Freiheit: Die räumliche Freiheit wird ihnen zur Unfreiheit. Wie auch in Foucaults Modell sind Jancsós Wärter anonymisiert und austauschbar. An einer Szene wird das besonders deutlich, als ein Wärter scheinbar grundlos zu den Gefangenen degradiert wird, nur um ihn dann wieder zu den Wärtern zu graduieren, aufgrund eines „Irrtums“. Macht und Submission, Leben und Tod sind in „Die Hoffnungslosen“ willkürlich verteilte Rechte, die von der einen auf die andere Sekunde verloren werden können, wenn eine unsichtbare Machtzentrale dies fordert.
Versteckte politische Allegorie
Diese Machtzentrale — Jancsó hat das nach dem Fall des Warschauer Paktes zugegeben — war in seinen Augen natürlich das sozialistische Regime, das ebenso willkürlich folterte, morderte und Machtpositionen austauschte. Anno 1966 musste Jancsó diese Kritik jedoch natürlich auf ein anderes historisches Szenario verlagern und gab eine Kritik am Machtinstrument des imperialistischen Kaisertums vor. Die Kaiserhymne im Vor- und Abspann (der Urahne der deutschen Nationalhymne) lässt sich da als freches Historiendrama-Alibi herausstellen, auch wenn „Die Hoffnungslosen“ im Kerne kaum einen historischen Anspruch verfolgt, sondern eine der universellsten, und trotz zermürbender Planhaftigkeit, präzisesten Behandlung von organisierter Unterdrückung darstellt.
87%
Bildrechte aller verlinkten Grafiken: © MAFILM IV. Játékfilmstúdió
1 thought on “The Round Up (mediumshot)”