„Zabriskie Point is anywhere“: Die filmgewordene 68er-Bewegung.
Originaltitel: Zabriskie Point
Produktionsland: USA
Veröffentlichungsjahr: 1970
Regie: Michelangelo Antonioni
Drehbuch: Michelangelo Antonioni, Fred Gardner, Sam Shepard, Tonino Guerra, Clare Peploe
Produktion: Carlo Ponti
Kamera: Alfio Contini
Montage: Franco Arcalli
Musik: Jerry García, Pink Floyd
Darsteller: Mark Frechette, Daria Halprin, Rod Taylor, Paul Fix, G.D. Spladlin
Laufzeit: 107 Minuten
Die Studentin Daria und Mark, den sie vor kurzem kennengelernt hat, sind auf der Flucht. Auch Mark war bis vor wenigen Tagen noch ein Student, hat dann aber auf einen Polizisten geschossen; jetzt ist die Polizei daher hinter ihm her. Die Flucht der beiden führt sie mitten in die Wüste, wo Darias Vater, ein Großindustrieller, ein abgelegenes Ferienparadies erbaut hat. Doch werden sie hier sicher vor ihren Verfolgern sein?
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 08.05.2013)
„Zabriskie Point“ wurde mal als gescheitert angesehen, da Antonioni ein bürgerlich-existenzialistischer Filmemacher gewesen sei, der sich doch ideologisch weit weg von der hier umjubelten 68er-Generation ausmachen lässt. Tatsächlich waren die Filme seiner 60er-Jahre-Schaffenszeit vor „Zabriskie Point“ weiß Gott keine Godards, nichtmal von arbeiter-linkem Neorealismus durchzogen, dennoch betrachtete Antonioni sich selbst als Marxisten. Wie auch immer. Was Antonioni 1970 schuf, ist an politischer Eindeutigkeit kaum zu überbieten. Konsumkritik der aller feinsten und frechsten Art und eine liebevoll symbolhafte Nachzeichnung des Linksaktivismus inmitten Amerikas.
Symbolhaft linke Figurenanlagen
Eine wilde, uneinige Diskussion linksaktiver Studenten. Noch ist nicht auszumachen, welchem Protagonistenschicksal der Film folgen wird. Auf einmal steht ein unscheinbarer Student auf und erklärt lässig „Ich bin auch bereit zu sterben.„, ab diesem Zeitpunkt verfolgt man das Schicksal dieses Studenten, der sich sobald der Polizei als „Carl Marx“ [sic!] vorstellen soll, aber in Wahrheit Mark heißt. Antonionis Film ist spannend, weil er keinen klaren Story-Ablauf zu folgen scheint, sondern sich einfach an die Fährte Marks und später auch der zweiten Protagonistin Daria heftet und diesen auf der Suche nach sich selbst und einander folgt.
Beide Figuren sind nicht schablonenhaft, aber symbolhaft angelegt. In beiden steckt eine linke Gesinnung, die sich aus einem gesunden Selbstverständnis heraus zu speisen scheint. Das reflexartige Rächen eines schwarzen Kommilitonen, das solidarische Verhalten mit den 68er-Genossen ist für Mark eine Intention, die er nicht mit idealistischem Eifer, sondern aus seinem Naturell heraus vertritt. Natürlich ist die somnambule Lässigkeit mit der Mark dann noch ein Flugzeug stiehlt eine gewollte Überzeichnung, die die Figur zu einem Helden macht. Dementsprechend gibt es zwischen Mark und Daria Intensitätsunterschiede: Daria mag eine moderne, mutige Frau sein, ist aber keineswegs der heroische „Überflieger“ wie Mark. Metaphorisch dargestellt durch Flugzeug und das bodenständigere, gesellschaftlich mittigere Gefährt des Autos (Auch wenn man hier wohl eher von einem Blechkübel sprechen müsste).
Anschauungsmodell für den Zuschauer
Aber das macht den Film auch zu einem Anschauungsmodell für die linke Seite im Zuschauer: Wir lernen von dem heroischen, lebensmüden Mark, wie wir auch im Kleinen uns ein wenig gegen den Konsumismus auflehnen können. Wir lernen an der Seite Darias, die aus dem Märtyrium Marks wahrlich explosiv-subversive Schlüsse zieht. Aber ganz so drastisch wie im legendären Finale muss man es ja auch nicht machen. Vielleicht reicht auch das bunte Bemalen eines Fahr- oder Flugzeuges oder das hemmungslose Lieben im Wüstensand, um den Systemkonventionen ein wenig den Mittelfinger entgegen zu heben. „Zabriskie Point“ bietet genug Soul of the 68s, der Film ist Hippietum in Reinform und da ist es auch egal, wie bürgerlich der Regisseur gewesen sein mag.
Wüste als Quell der Hoffnung
Der Titel verweist auf einen gleichnamigen Fleck mitten in der kalifornischen Wüste. Im Gegensatz zum oftmals mit „Zabriskie Point“ verglichenen „Twentynine Palms“ ist die Wüste hier ein Quell der Hoffnung und des zelebrierten Naturalismusses. Die Wüste steht für Flucht und Ausstieg aus der menschlichen Hölle Konsumwelt. Dabei ist sogar die Bemerkung hier sei alles tot, als durchaus positiv zu sehen. Die still stehende, leblose Welt ist der absolute Neubeginn und dieser beginnt mit Liebe in einer Sexszene wie sie zelebrierender nicht sein könnte. Es ist bezeichnend, dass der Rezipient an der Seite Darias in der Stille der Wüste mehr lernen kann als in der hitzigen Diskussion der Studenten. Dennoch verkommt Antonionis Film nicht zur blinden Beweihräucherung des 68er-Gedankens. Es wird getötet (Und das nicht aus bloßer Notwehr), es wird geleugnet und am Ende bleibt nur der Gedanke von der Revolution. Oder doch nicht?
Suggestive Schönheit
Dieser Film ist von großer suggestiver Schönheit, Ehrlichkeit und vor allem von reiner Liebe mit einer der schönsten Ich-liebe-dich-Metaphern der Filmgeschichte (Tieflug des Flugzeugs). Noch immer rätsel ich darüber, ob Marks Schicksal von ihm vorhergesehen und in Kauf genommen wurde. Vielleicht braucht es Leute, die die Relevanz ihres Lebens unter ihre Vorstellung einer besseren Welt stellen und sich nicht im sicheren Schatten der Konsumwelt verstecken. Ganz sicher ist „Zabriskie Point“ ein reifes, unfassbar attraktives Werk, das der 68er-Generation vielleicht mehr gerecht wird als alle experimentalistischen Ausgehversuche Godards zusammen. „Zabriskie Point is anywhere„.
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