
High statt fly: Eine alternative Lesart zu Parkers Antikriegsfilm.
Originaltitel: Birdy
Produktionsland: USA
Veröffentlichungsjahr: 1984
Regie: Alan Parker
Drehbuch: Sandy Kroopf, Jack Behr
Produktion: Alan Marshall
Kamera: Michael Seresin
Montage: Gerry Hambling
Musik: Peter Gabriel
Darsteller: Matthew Modine, Nicolas Cage, John Harkins, Sandy Baron, Karen Young, Bruno Kirby
Laufzeit: 120 Minuten
Al ist der Extrovertierte: Er redet gern und kann es mit den Girls gut. Birdy ist der Introvertierte: Er redet kaum, für ihn sind die Flügel eines [V]ogels das eigene Nest. Er will mit sich alleine sein, in seiner eigenen Welt leben. Da lernen sich Al und Birdy kennen, in dem trostlosen Slum-Viertel der heruntergekommenen Straßen Süd-Philadelphias. Birdy, der immer davon träumt, ein Vogel zu werden und aus dem tristen Vorstadtleben davonzufliegen, und der lebensfrohe Al machen die Gegend unsicher. Bis der Vietnamkrieg die Freundschaft jäh auseinander reißt. Al wird von einer Mine schwer verwundet, Birdy gab der Krieg den Rest und er landet in einer trostlosen Irrenanstalt. Er glaubt ein Vogel zu sein. Ganz behutsam versucht Al, den Freund wieder aus seiner Traumwelt zu befreien. Al kommen Zweifel, ob das überhaupt richtig ist.
Quelle: moviepilot.de
Replik:
„Birdy“ von Alan Parker gehört zu den wenigen Antikriegsfilmen, die den Krieg selbst kaum zeigen, sondern nur ihre seelischen Folgen für das Individuum. Nicolas Cage ist hierin als 20-jähriger in einer seiner ersten Rollen zu sehen, die Hauptrolle des Birdys mimt aber der weniger bekannte Matthew Modine. Parkers Film setzt auf eine flashbackartige Erzählstrategie, die sicherlich zum traumatischen Inhalt des Films passt, sowie auf einige experimentellere Kamera-Einsätze, die seine Werbefilmer-Vergangenheit nicht verschleiern. Trotz gelungenem Schauspiel und interessantem Erzählmodus leidet „Birdy“ aber an der zu eilig und fragmentarischen Exposition seiner Männerfreundschaft, auf deren beanspruchte Empathie-Wirkung der Film das Funktionieren seiner Geschichte vollständig aufbaut. Die Freundschaft zwischen den beiden Protagonisten Al und Birdy kommt eher unglaubwürdig und dem Zuschauer als größt denkbare Freundschaft geradezu aufgezwungen rüber. Da ist insoweit schade, da die emotionalen Ausbrüche in der Psychiatrie durchaus gelungen in der Empathie-Erzeugung sind, aber zur vollständigen Teilnahme des Publikums eben von der (schwachen) Exposition abhängig sind.

Eine alternative Lesart
Die mit Flashbacks arbeitende Narration eignet sich aber nicht nur als Darstellung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge eines Krieges, sondern auch zu einer allegorischen Lesart, die dem Filmautorenteam vielleicht gar nicht bewusst war, die sich aber auf den zweiten Blick geradezu aufdrängt: Eine Jugend, die von Drogen zerstört wird. „Birdy“ könnte ebenso ein Drama über psychoaktive Substanzen sein. Dieser These soll dieser Artikel im Folgenden nicht ganz spoilerfrei in einem Story-Rückblick nachgehen:
Tauben als Metapher für den Drogenzugang
Der coole, beliebte Al, der den ganzen Tag nur Baseball zu spielen scheint, lernt durch einen widrigen Zufall den Vogel-Freak Birdy kennen, der eigentlich nicht wirklich so heißt, aber von allen so genannt wird. Hier kann man bei der Allegorisierung bereits ansetzen. Außenseiter wie Birdy neigen zu Selbstzerstörung und daher Drogenkonsum. Da dieser aber positiv als cooler Lifestyle konnotiert ist, hat der Drogenkonsum auch einen Reiz für gesellschaftlich anerkannte Sportler-Typen wie Al einer ist. Das heißt Al interessiert sich erstmal eigentlich nur für Birdy, weil der einen Zugang zu Drogen hat. Lässt sich Al etwa wirklich von Tauben (!) beeindrucken? Und dann daraufhin eine emblematische Szene: Birdy und Al kraxeln an einer Zugbrücke herum und beobachten das Verhalten der Tauben. Diese Szene lässt sich als erster Kontakt von Al mit den Drogen lesen. Eine erste Mutprobe. Birdy zeigt seinem Freund den spannenden, gefährlichen und illegalen (!) Umgang mit Drogen.
Agoraphobie à la Gras-Sucht
Als Birdy dann von einem Turm springt und einen möglichen Selbstmord billigend in Kauf nimmt, ist das ein Verweis auf eine bewusste Überdosierung der Droge, dem Al mit großer Angst begegnet. Er macht sich Sorgen um seinen Freund. Der überlebt und grinst ihn an, wie großartig der „Flug“ gewesen sein soll. Man kann „Flug“ von nun an beliebig mit dem Wort „Rausch“ oder „Trip“ und „Vogel“ mit „Droge“ ersetzen. Birdy wird immer mutiger im Umgang mit dem „Fliegen“, währenddessen Al ihm bei seinen Flügen hilft, aber selbst nicht fliegt, quasi die Rolle eines Tripsitters einnimmt. Die beiden unternehmen einer Menge verrückter, subversiver Dinge, was ebenfalls symptomatisch für Drogenkonsum verstehbar ist. Anhand der Sequenz, in denen Birdy und Al sich mit Frauen verabreden, zeigt sich, dass Als Umgang mit der Droge entweder gerade so gemäßigt ist, dass er ihn sexuell aufwertet oder aber sogar ein völliger Verzicht mit derselben Wirkung ist. Birdy aber redet nur noch über „Vögel“ und das „Fliegen“. Er wird mehr und mehr ein Freak, der sich nur noch für sein sinneserweiterndes Hobby interessiert. Fortan lebt er nackt in einem Vogelkäfig zuhause, was vergleichbar mit der Agora- bzw. Sozialphobie von chronischen Graskonsumenten ist.

Vietnamkrieg ist psychotischer Overkill
Welche Rolle nimmt nun das Vietnamkrieg in dieser Allegorie ein? Beide haben diesen Krieg durchlebt, Al hat starke physische Verstümmelungen, sowie leichte psychische Schäden (Flashbacks), Birdy hingegen ist physisch unversehrt, aber derart psychisch gestört, dass er nicht mehr redet und merkwürdige Verhalten und Bewegungsmuster aufweist. Der Vietnamkrieg lässt sich als einen Art psychotischen Overkill, einen Drogen-Absturz, lesen. Bei Al ist der körperliche Verfall im Vordergrund, sowie ein schlagartig auftretender psychischer Einschnitt. Al war bis zum Vietnamkrieg psychisch wie physisch vollkommen gesund, wurde dann aber mit einem Mal durch einen Unfall behindert. Im Drogengleichnis zu bleiben, muss Al also doch Drogen konsumiert haben und Schäden davon getragen haben. Bei Birdy hingegen haben wir Schäden chronischen Konsums und zwar solche extrem psychischer, Phobien erregender Natur. Bei ihm gab es keine einmalige Psychose, die fortan in Flashbacks wieder auftritt wie bei Al, sondern eine sukzessive Verkrüppelung durch die Droge durch chronischen exzessiven Missbrauch.
Nur Opfer heilen Opfer
Genau wie wir den ganzen Film über nicht wissen, wie entstellt Al eigentlich ist, wissen wir auch nicht, wie geistig entkräftet Birdy eigentlich ist. Birdy kann fortan poetischerweise nur von einem anderen Opfer (teil)geheilt und zum Reden gebracht werden, nicht durch antidodischen Psychopharmaka-Einsatz der Ärzte. Kein Bekämpfen von Feuer mit Feuer, sondern ein gemeinsamer Kampf des Feuers mit dem Feuer. Allerdings lässt sich natürlich Birdys finale Heilung auch als Teil der psychotischen Wahrnehmung von Al lesen. Der Film endet schließlich in der Psychiatrie mit einer wunderbaren Szene, die den Kranken und Gestörten ihre Würde und ihr Recht auf ein gemeinsames Weiterleben fernab der funktionablen Gesellschaft wiedergibt.
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