Das Blut der Bourgeoisie: Ein Film für Familienfesthasser.
Originaltitel: Festen
Alternativtitel: Das Fest
Produktionsland: Dänemark, Schweden
Veröffentlichungsjahr: 1998
Regie: Thomas Vinterberg
Drehbuch: Thomas Vinterberg, Mogens Rukov
Produktion: Birgitte Hald, Morten Kaufmann
Kamera: Anthony Dod Mantle
Montage: Valdís Óskarsdóttir
Musik: Lars Bo Jensen
Darsteller: Ulrich Thomsen, Henning Moritzen, Thomas Bo Larsen, Paprika Steen, Birthe Neumann, Bjarne Henriksen, Trine Dyrholm
Laufzeit: 101 Minuten
Helge […], das Oberhaupt der Familie Klingenfeldt-Hansen und Hotelier trommelt die ganze Familie auf einem idyllischen Landgasthof zusammen, um anlässlich seines 60. Geburtstag sich ausgiebig feiern zu lassen. Doch der idyllische Schein der über dem Landgasthof liegt trügt, denn die Familienfeier gerät schnell aus der Bahn und erhält unerwartet eine dramatische Wendung. Helges ältester Sohn Christian […] beschuldigt in Zuge seiner Rede den Vater, seine Schwester in den Tod getrieben und die anderen Geschwister missbraucht zu haben. Vorbei ist die getraute Zweisamkeit […]
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 28.08.2012)
Die Dogma95-Filme sind streitbar, ohne Frage. Viele sehen vor allem die ersten beiden Werke „Idioten“ von Von Trier und eben Vinterbergs „Das Fest“ als künstlerisch-arrogant, erzwungen-naturalistisch und in der Radikalität der Reduktion probater filmischer Mittel nahezu lächerlich (Tatsächlich gibt es ja kaum einen Film der nach Dogma95-Vorgaben gedreht wurde und tatsächlich alle Dogmen berücksichtigt). Handwerkliche Machart hin oder her: „Das Fest“ besticht vor allem in dramaturgischer Hinsicht. Vinterberg schuf ein Werk im naturalistischen Gewand, das aber auch auf jeder Theaterbühne oder als gelbes Reclambüchlein im Schulunterricht seine Wirkung entfalten würde.
Wer lügt hier?
Herausragend an Vinterbergs Film ist die psychologische Zeichnung seiner Figuren. Sohn Christian, als Vergewaltigungsopfer, fällt etwa zur Bediensteten Pia, die Interesse an ihm habt, mit eine, merkwürdig-kühlem, unsympathischem Verhalten auf. Währenddessen ist Helge als missbrauchender Vater, sehr warmherzig und familiär gezeichnet. Diese ausdifferenzierte Charakterisierung führt zum einen dazu, dass die Figuren keine platten Antagonisten respektive Protagonisten darstellen, so wird Helge zum Ende eher als kranker Mann, denn als Monster identifiziert, zum anderen erreicht Vinterberg so dieselbe kalte und falsche Oberflächlichkeit, die er dem Bürgertum vorwirft, tatsächlich auch anhand seiner Figuren aufzuzeigen. Zudem ist dem Zuschauer lange nicht klar, wer in diesem Spiel der Irre ist, wer lügt, wer der eigentliche Gegenspieler im Film ist.
„Das Blut der Bourgeoisie“
Immer wieder erreicht es Vinterbergs Film, die moralische Aufrichtigkeit des bürgertümlichen Niveaus Lügen zu strafen. Beim rassistischen Gesang des Bruders stimmt ein ganzer Tisch mit ein. Wenn es aber um die schweren Vorwürfe eines Kindesmissbrauchs geht, ist man bemüht die elegant-glitzernde Oberfläche weiter zu polieren und die Schuld abzuschieben. Else, Mutter des vergewaltigten Sohnes, schiebt die Anschuldigungen des Sohnes auf seine schwierig, unberechenbare Psyche. Nicht ohne Grund soll ein Arbeitstitel dieses Machwerkes „Das Blut der Bourgeoisie“ gehießen haben. Dabei passt der Titel „Das Fest“ viel besser, weil er die erzwungene Feierlichkeit und Heiterkeit herausstellt, die bei dem Hintergrund der Familie einfach unangebracht ist, aber aus einer Dekadenz des Vergessenwollens und Erdedrüberschüttens ritualistisch vollzogen wird.
„Das Fest“ funktioniert als Familientragödie, wie als Bürgertumskritik gleichermaßen und lässt dem Zuschauer lange Zeit miträtseln, welche der vertrackten Figuren, wirklich das falsche Spiel spielen. Ein so intelligentes dramaturgisches Glanzstück wie das Vinterbergs dürfte noch in Jahrzehnten Gültigkeit besitzen. Möglich, dass die ungewöhnliche handwerkliche Aufmachung den Status des Klassikers in Zukunft sogar noch manifestieren wird.
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