Erotische Roboter. Künstliche Intelligenz und Körperlichkeit.
Originaltitel: Ex Machina
Produktionsland: Großbritannien
Veröffentlichungsjahr: 2015
Regie: Alex Garland
Drehbuch: Alex Garland
Produktion: Andrew MacDonald, Allon Reich
Kamera: Rob Hardy
Montage: Mark Day
Musik: Geoff Barrow, Ben Salisbury
Darsteller: Domhnall Gleeson, Alicia Vikander, Sonoya Mizuno, Oscar Isaac, Chelsea Li, Evie Wray, Corey Johnson, Deborah Rosan
Laufzeit: 108 Minuten
Caleb (Domhnall Gleeson) ist 24 und ein erfolgreicher Web-Programmierer. Als er einen firmeninternen Wettbewerb gewinnt, darf er eine Woche in den Bergen im Privathaus des abgeschieden lebenden Firmenchefs Nathan (Oscar Isaac) verbringen. Was als Urlaub gedacht war, entpuppt sich allerdings als Calebs Teilnahme an einem Experiment: Er soll mit einer schönen Roboterfrau (Alicia Vikander) zusammenarbeiten – der ersten wirklichen künstlichen Intelligenz. Doch nach und nach beginnen unerwünschte Gefühle in dem jungen Mann zu wachsen und es wird immer unklarer, wo die Unterschiede zwischen Mensch und Maschine liegen, wenn es um Gefühle, Bewusstsein und Sexualität geht.
Quelle: moviepilot.de
Replik:
Künstliche Intelligenz ist im Science-Fiction-Diskurs kein neues Phänomen. Kubricks „2001 — Odyssee im Weltraum“ betrachtete dieses Phänomen schon 1968, wenn auch eher im Hinblick auf Intelligenz per se. Ab den 2010er-Jahren fällt aber ein Peak auf, was diesen Topos betrifft, was mit Sicherheit damit zusammenhängt, dass der Menschheit gelungen ist, mittlerweile die Künstliche Intelligenz beeindruckend voranzutreiben. Interaktive Sprachsoftware und Fußball spielende Roboter sind bereits Realität geworden. Der nächste logische Schritt ist die Überlegung, ob ein künstliches Bewusstsein möglich ist, was in Filmen wie „Her“, „Chappie“ und auch „Ex Machina“ ganz unterschiedlich beantwortet wird. Letzterer Film scheint aber die bisher konsequenteste und beste Behandlung des Themas künstlicher Intelligenz zu sein, die seit Ewigkeiten über die Leinwände flimmern durfte. Man kann dem Autoren Alex Garland nur dazu beglückwünschen. Dass einem bisher nur als Schriftsteller in Erscheinung getretener Künstler mit einem filmtechnisch so runden Debütfilm auftreten würde, kann man getrost als eine der positiven Überraschungen des Kinojahres 2015 bezeichnen.
Ein lupenreiner Autorenfilm
Alex Garlands Karriere verlief zu großen Teilen über seinen Landsmann Danny Boyle, der 2000 seinen Debütroman „The Beach“ verfilmte. Der Kontakt hielt und Garland schrieb Drehbücher zu „28 Days Later“ und „Sunshine“, Genrewerke, die schon die große Fantasie des Autors andeuteten, die mit „Ex Machina“ nun ihr Meisterwerk hervorbrachte. Auch „Ex Machina“ wäre als Danny-Boyle-Film denkbar gewesen, er wäre aber nur halb so gut geworden, denn es ist gerade der kühle und unaufgeregte Inszenationsstil, den Garlands Film ausmacht und ihm Vergleiche zu Stanley Kubrick einbrachte, wie sie Danny Boyle wohl niemals bekommen geschweige denn verdient hätte. Wenn ein Schriftsteller, den Schritt wagt, sein eigenes Buch zu verfilmen, dann steckt da nicht nur eine Menge Selbstbewusstsein und Risikobereitschaft hinter, sondern natürlich auch eine klare Vision. Niemand sonst durfte „Ex Machina“ drehen, außer Alex Garland selbst. Und so sieht dieser Film auch aus. Auch wenn der Einfluss von Kubricks „2001“ und den (letztlich von Spielberg verfilmten) „A.I.“-Konzepten unverkennbar ist, erscheint der sehr geschlossene Raum, in dem dieser Film spielt, sowie seine Figuren und ihre Beziehungen zu einander wie aus einem Guss. Wie seit Jahren in gedanklicher Detailarbeit ausgefeilt und in aller Konsequenz in die Tat umgesetzt. „Ex Machina“ ist ein lupenreiner Autorenfilm mitten im englischsprachigen Popcorn-Kino. Man muss aber abwarten, ob in Alex Garland wirklich so etwas wie eine Regie-Handschrift mit Zukunftspotenzial steckt, die sich neuerfinden und weiterentwickeln kann oder ob „Ex Machina“ eine Ausnahmeerscheinung bleiben wird.
Drei Konzepte von Intelligenz
Die Handlung beschränkt sich im Kern auf drei Figuren und drei Konzepte der Intelligenz, die sich dahinter verbergen. Nathan (Oscar Isaac) ist ein Mittdreißiger-Unternehmenschef der größten Internetsuchmaschine der Welt und ein hochbegabter Programmierer. Er erschafft Ava (Alicia Vikander), die künstliche Intelligenz, und ist damit ein Demiurg der Intelligenz. Es ist völlig unklar für den Zuschauer, ob die künstliche Intelligenz Ava oder der Erschaffer dieser, der diese ja im Grunde genommen auswendig kennen und antizipieren können müsste, intelligenter ist, was die große Spannung und Undurchsichtbarkeit dieses mediativen Thrillers ausmacht. Der Dritte im Bunde ist der Protagonist Caleb, der ein fingiertes Gewinnspiel, und damit die Chance Teil eines Forschungsprojekt der künstlichen Intelligenz zu sein, gewinnt. Caleb ist ebenso ein talentierter Programmierer, aber natürlich weit unter der Genialität Nathans anzusiedeln. Caleb ist die herausgeforderte Intelligenz. Obwohl Nathan vorgibt, die Intelligenz des Roboters Ava würde hier getestet werden, wird eigentlich Calebs Intelligenz getestet und damit die des Zuschauers. Denn es ist absolut unklar, welches Spiel hier gespielt wird. Man könnte auch sagen, Nathan erforscht die Wissenschaft, Ava ihr eigenes Ich (dazu später mehr) und Caleb bzw. der Zuschauer erforscht das Spiel, das hier gespielt wird.
Brillante Figurenkonzeption
Dass dieser verkopfte Neo-Kubrick nicht frustriert, sondern tatsächlich ein Popcorn-Publikum anlocken kann, verdankt der Film seinem hohen Wendungsreichtum, seiner geleckten, ästhetischen Bildern und absoluten narrativen Intransparenz. Manche dramatische Entscheidungen begeistern aber umso mehr, da sie genau nicht auf das Mainstream-Publikum rücksichtnehmen wollen. Die Dialoge sind äußerst realistisch ausgestaltet. Philosophische Betrachtungen über das Menschsein, die Subjektkonstituon, die Moral usw. werden aufgeworfen, ohne aber einen ausgefeilten Duktus der Figuren damit zu zerschmettern. Das Figurendesign nämlich ist äußerst brillant gelöst. Anfangs irritiert etwa noch die Rolle des Protagonisten Caleb als eine sehr blasse, uncharismatische Figur. Sie ermöglicht aber später erst die spannende Frage, ob der Protagonist selbst vielleicht ein Roboter ist. Caleb ist als blasse Figur gleichzeitig auch so etwas wie eine Variable, deren fehlende Charakterdichte mit Zuschaueridentifikation gefüllt werden kann. Calebs Intelligenz ist eine nahbare, durchschnittlichere, identifikationsstiftende Intelligenz.
Oscar Isaacs Figur Nathan hingegen ist ein selten erlebt ambivalenter Typus. Allein schon sein Äußeres als bärtiger, Kraftsport treibender Brillenträger. Und dann sein Verhalten: Nathan ist ein hochintelligenter Einzelgänger, der aber nicht über analytische, sondern auch soziale Kompetenz verfügt. Nathan ist auf seine Coolness bedacht und so redet er auch, wie ein Jugendlicher. Gleichzeitig ist er ein Lebemann, der sich gerne betrinkt und sich Sex-Dienerinnen hält. In einer Szene sagt er zu Caleb, die Menschen, die seine Forschungsvilla erbauten, wurden von ihm anschließend umgebracht. Vermutlich ein Scherz, aber auflösen tut der Film das nicht. Wer ist dieser Nathan? Der Zuschauer möchte diesen Menschen ergründen, ohne zu wissen, auf welcher Seite er steht. Garland gelingt es mit Nathan tatsächlich eine neue Figur zu entwerfen, anstatt etwa Kubrick-Figuren oder Mark Zuckerberg, an den Nathan natürlich angelehnt ist, zu imitieren.
Erotik des Sich-selbst-Erforschens
Und dann die Figur der Ava, um die sich der Film bewegt. Hier ist klar, wer sie ist. Ein Roboter, erschaffen von Nathan. Aber nicht wie sie ist. Das Forschungsprojekt testet an ihr, die Möglichkeit sozialer, humanoider Intelligenz. Bewusstsein, künstlerische Fähigkeit, Emotionalität und Sexualität. Und letztere ist vielleicht der interessanteste Aspekt am gesamten Film. Ava ist wirklich erotisch. Sie ist erotisch, weil sie ein Roboter ist. Sie ist erotisch, im Sinne eines Frau werdenden Mädchens, da wir sie an der Seite vom Protagonisten Caleb dabei beobachten, wie sie sich erst ihrer erotischen Ausstrahlung gewahr wird. Ava strahlt eine Unerfahrenheit aus, allein schon die Tatsache, dass sie die Außenwelt nicht kennt, so sein möchte wie wir Menschen und im Grunde genommen eine Sklavin ist, macht diesen Roboter zu einer sehr weiblichen Konstruktion. Zumindest im Freudschen Sinne, ohne jetzt Feminismus-Debatten lostreten zu wollen, ob inferiore Eigenschaften wirklich typisch weiblich sind, sein sollten oder auch nicht. Aber was an Ava so anziehend wirkt ist ja nicht ihre Unterlegenheit an sich, sondern auch ihre Ambition, das nicht mehr zu sein. Und das ist ja nicht nur emanzipatorisch, sondern auch generell eine Eigenschaft des Erwachsenwerdens (was im Film mit der „Vaterrolle“ des Schöpfers Nathans auch immer mal wieder angedeutet wird) und darin, im Erwachsenwerden, liegt natürlich grundlegend eine erotische Kraft. Und im Gegensatz zu „Her“, wo sich ein Mensch in den Charakter bzw. die fast grenzenlose geistige Qualität einer künstlichen Intelligenz verliebt, geht es hier um Körperlichkeit und damit wirklich genuin um Sexualität. Es geht auch um körperliche Verfügbarkeit von subjektivem Perfektionsempfinden, denn Ava ist, wie sich herausstellt, ein zusammengestellter Mittelwert aus den Porno-Suchergebnissen vom Protagonisten Caleb. Somit ist „Ex Machina“ nicht nur ein Film über künstliche Intelligenz, sondern auch über das physische Erschaffen eines (perfekten) Menschen. Wie gefährlich bzw. falsch (im moralisch/ethischen Sinne) ist es, die Natur zu betrügen und sich die persönliche Traumfrau künstlich herzustellen? Während „Ex Machina“ zum Ende hin in der Frage künstlicher Intelligenz eindeutig wird, bleibt hier eine klare Beantwortung aus, auch wenn der Film hierfür gezielt Diskussionspotenzial erzeugt.
Google ist dem Film voraus (SPOILER)
Der einzig größere Kritikpunkt an Garlands Debütfilm ist eine Storywendung, in der Caleb die Zugangskarte von Nathan stibitzt, weil dieser extrem betrunken ist. Das ist recht uninspiriert und darüberhinaus auch ziemlich unrealistisch, dass ein Multi-Genie wie Nathan in diesem Zukunftsszenario auf Aussehen personalisierte Zugangskarten verwendet, wo doch bereits heutzutage über eine Daumabdruck-Zugangstechnologie für das gesamte Internet diskutiert wird, welche Google — also das Unternehmen, auf das Garland hier ohnehin anspielt — in die Diskussion gebracht hat. Derartige Ungereimtheiten lassen sich aber von einer Hand abzählen und sonstige wissenschaftliche Umsetzungsfragen, die der Film bei Technologie-Nerds auslösen mag, sind für den dramatischen und philosophischen Erfolg dieses Films eher irrelevant.
Ein besserer „Under The Skin“
Dieser Film ist der bessere „Under The Skin“, welcher sich ja mit der Annahme, dass sich bei der dort von Scarlett Johansson gespielten Figur nicht um einen Alien, sondern um einen Roboter handelt, was ja durchaus denkbar ist, sogar als Prolog zu „Under The Skin“ lesen lassen könnte. Jedenfalls ist Garlands Film kein selbstgefälliges Kunst-Experiment geworden, das sich in unnötigen Hipster-Stil-Spielereien verübt, wie es „Under The Skin“ nervigerweise tut. Garland nennt die philosophischen Fragen beim Namen. Er macht daraus einen spannenden, stilsicheren und in seiner Betrachtung der Intelligenz bzw. künstlichen Intelligenz bis zum Schluss absolut konsequenten und eindeutigen Drehbuch-Film. Weder verfällt er in Unterhaltungsfilm-Maschen wie Spielberg in „A.I.“ noch in arrogante Manierismen wie Glazer in „Under The Skin“. Und außerdem hat er die bessere Nacktszene mit der schöneren Frau. Das ist zwar Geschmackssache, aber sich in Ava zu verlieben, ist nun wirklich keine Schande.
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