Jugendliche beim gewissenlosen Spielen: Ein Dumontscher Kriegsfilm.
Originaltitel: Flandres
Alternativtitel: Flandern
Produktionsland: Frankreich
Veröffentlichungsjahr: 2006
Regie: Bruno Dumont
Drehbuch: Bruno Dumont
Produktion: Rachid Bouchareb, Jean Bréhat, Muriel Merlin, Abdelaziz Ben Mlouka
Kamera: Yves Cape
Montage: Guy Lecorne
Darsteller: Adelaide Leroux, Samuel Boidin, Henri Cretel, Jean-Marie Bruveart, David Poulain, Patrice Venant
Laufzeit: 91 Minuten
Der schüchterne Landwirt Demester hat zwei Arten des Zeitvertreibs: Seinen Bauernhof und die Spaziergänge mit seiner Jugendfreundin Barbe. Zu ihr pflegt er im Prinzip eine platonische Freundschaft, doch ab und an haben sie dennoch Sex miteinander, vordergründig und scheinbar ohne große Emotion. In Wirklichkeit liebt Demester Barbe, doch er ist unfähig seine Gefühle zu zeigen, und so sucht Barbe ihr Glück auch bei anderen Männern. Einer davon ist Blondel, ihr derzeitiger Favorit. Eines Tages wird er gemeinsam mit Demester und anderen Reservisten eingezogen und in ein fernes Kriegsgebiet geschickt. In der Zwischenzeit vergnügt sich Barbe weiterhin mit anderen Männern, obwohl sie von Blondel ein Kind erwartet. Per Brief erzählt sie ihm davon, lässt es aber heimlich abtreiben. Langsam scheinen ihre Eskapaden nicht mehr spurlos an ihr vorbei zu gehen; Barbe wird wegen Paranoia in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. An der Front angekommen werden Demester und Blondel mit den Schrecken und der Kompromisslosigkeit des Krieges konfrontiert. […]
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 15.03.2011)
Dumont zeigt den Krieg als einen Spielplatz zur Auslebung postpubertärer Kämpfe; mit sich selbst und mit seinen Mitstreitern. Dabei ist Dumont völlig egal welchen Krieg er eigentlich zeigt, der Krieg ansich ist die entscheidende Komponente, nicht in welchem Land und zu welchem Zweck er geführt wird. „Flandern“ führt verschiedene Konflikte seiner Vorfilme weiter, weswegen der Film insgesamt etwas typischer ausfällt als noch sein „Twentynine Palms“. Wir haben wieder das titelgebende Flandern als Heimat des Protagonisten, der wiederum autistisch-veranlagt wirkt und mit ähnlichen, männlichen Identifikationsproblemen zu kämpfen hat als Fredy in „La Vie De Jesus„.
Ein Film über die Heimat
Warum ist der Titel des Films „Flandern“? Vielleicht, weil die Konflikte im Kopf der Figuren im Heimatland an gesellschaftliche Toleranzgrenzen stoßen (zumindest teilweise) und im Krieg, als gesetzeslose Fremde, die freie Auslebung erfahren kann. Somit sind es Probleme aus Flandern, die durch falschen Stolz an den falschen Ort getragen werden. Der Film heißt wohl „Flandern“, weil er eben mehr Studie über das Heimatland, als über das Kriegsland ist, wie es bereits Michael Cimino in „The Deer Hunter – Die Durch Die Hölle Gehen“ handhabte. Das Mädchen Barbe kann sich nicht an einen einzigen Mann binden, weil ihr die Verlierergeneration Flanderns nicht die Chance dazulässt. Der Frust, der sich noch nicht entladen kann, wenn Protagonist Demester seine Freundin Barbe beim Fremdgehen erwischt, entlädt sich dann erst später in einer grausamen Vergewaltigung einer Einheimischen des Kriegslandes.
Keine astreine Philosophie (SPOILER)
Trotzdem: „Flandern“ ist keine astreine Philosophie, es stellen sich letztlich mehr Fragen, als Antworten, der Film ist oft unbefriedigend und was hängen bleiben, sind nur die grausamen Szenen des Krieges. Dass der Krieg grausam ist, ist aber keine Erkenntnis, die man von einem Philosophieprofessor wie Bruno Dumont aufgetischt haben möchte. Zudem nimmt sich der Film noch ein paar inhaltliche Ungereimheiten raus: Dass sich Dumont nicht für die Art des Krieges interessiert, ist legitim, doch ist dieser deutlich als einer in einem nahöstlichen Land angesiedelten identifizieren. Hier zeigt er Dörfer, die beim bloßen Betreten sofort in blutigen Gemetzeln gipfeln, jeder nahöstliche Einwohner in diesem Film trägt eine Waffe, egal ob kleines Kind, Bauer mit Esel …
selbst die wehrlose vergewaltige Frau, darf sich später mit brutalster Selbstjustiz retten, wodurch die Vergewaltigung seine Schockwirkung des Missbrauchs an Unschuldigen verliert. Als Abrechnung mit den Untaten westlicher Streitkräfte im nahen Osten, funktioniert „Flandern“ also nur bedingt.
Insgesamt ist „Flandern“ ganz dumont-typisch eine unvergessliche, selten zuvor erlebte Tour de Brutalité, die seinen Ansprüchen aber nicht gerecht wird und zudem in den Kriegsszenen nicht selten etwas hölzern inszeniert wirkt. Aber vielleicht war das ja auch Dumonts Ziel, Soldaten nur als Jugendliche beim gewissenslosen Spielen zu zeigen …
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Wie so oft, wenn du über Dumont schreibst, wunderbar.