Jugend und zwei erwachsene Perspektiven als Eindringlinge.
Originaltitel: Passe ton bac d’abord
Alternativtitel: Mach erstmal Abitur
Produktionsland: Frankreich
Veröffentlichungsjahr: 1978
Regie: Maurice Pialat
Drehbuch: Maurice Pialat
Bildgestaltung: Pierre-William Glenn, Jean-Paul Janssen
Produktion: Maurice Pialat
Montage: Sophie Coussein, Martine Giordano, Arlette Langmann
Darsteller: Sabine Haudepin, Philippe Marlaud, Annick Alane, Michel Caron, Christian Bouillette, Jean-François Adam, Bernard Tronczak, Patrick Lepcynski, Agnès Makowiak, Charline Bourré, Patrick Playez, Muriel Lacroix
Laufzeit: 86 Minuten
The film is an „unsparing portrait of teenage life in the French suburbs [that] sees a group of schoolfriends adrift at the end of the 1970s. There’s drama, violence, and pot-induced laughs, group holidays, indiscriminate sex, advances from teachers twenty-five years their seniors, attempted moves to Paris – and few prospects of passing the Baccalauréat, the final set of exams French students take before embarking into the world… to do what? Marking the last work of Pialat’s turbulent cycle of 1970s films, this is the sequel to the filmmaker’s feature debut L’enfance nue (1969) – picked up again from a vantage point ten years on from the lives of the earlier film’s protagonists.
Quelle: wikipedia.org
Replik:
„Graduate First“ von Maurice Pialat ist ein Zeit-Film. Ein Generationsporträt, das mich darüber nachdenken lässt, wie sehr ein Filmemacher die Zeit seiner Entstehung bereits durchdringen (wollen) kann. Wie sehr kann man es als Qualität eines Films anrechnen, Zeugnis einer Zeit zu sein und wie sehr kann der Filmemacher bereits zur Entstehungszeit des Werkes diese Effekte kalkulieren? „Graduate First“ merkt man seinen dezidierten Beobachtungsgestus auf Zeit-Dinge (die Konsumprodukte, Frisuren, Sexualpraktiken, Hobbys) an, aber auch eine ehrliche und vibrierende, heutzutage fast schon im Verdacht der Molchigkeit stehenden Lust auf die porträtierte Jugend. Und es scheint dem Film kaum etwas anderes zu interessieren als eine zeitgeistige Observation, seiner jungen Menschen aus der nordfranzösischen Arbeiterstadt Lens, gezeichnet als orientierungslose Generation.
Der resignative Blick des Intellektuellen
Eine oft bewegende, kreisende bis herum schwirrende Kamera scheint Ausdruck eines lustvollen Treibenwollens zu sein (die Doppeldeutigkeit des Wortes Treibenwollens ist durchaus beabsichtigt). Mit Schauspielimprovisationen und dem Interesse für die Einfachheit des Gezeigten provoziert Pialat einen gewissen Sozialrealismus, der sich ebenso als Anzeichen einer Generationsanalyse betrachten lässt. Innerhalb der Figurenwelt, in denen es fast nur promiske Jugendliche und ihre konservative(re) Elternwelt zu geben scheint, platziert Pialat noch zwei weitere Erwachsenenfiguren und damit Perspektiven. Es ist einmal der Philosophie-Lehrer, den man als intellektuellen Blick Pialats auf (bzw. in) die erzählte Welt interpretieren kann. Dieser ist aber relativ resignativ. Das Intellektuelle scheint hier kaum weiterzukommen. Der Film beginnt mit dem Hinweis, Philosophie bestünde am Anfang zunächst aus dem Verlernen, da wir in die Philosophie bereits unsere Vorannahmen hineinbrächten. Genauso vorannahmslos, könnte man meinen, versucht sich hier auch Pialat gegenüber der dargestellten Jugend. Es finden keine wirklichen intellektuellen Bewegungen statt, sondern nur ein Um-die-Figuren-Kreisen.
Die Lust des Spanners
Womit wir auch bei der zweiten Erwachsenen-Figur wären: dem Spanner. Es gibt eine perverse Männerfigur im Film, die sich gerne mit den Jugendlichen abgibt, um ihre Blicke bemüht ist, mit ihnen tanzt, mit ihnen isst, aber letztlich von ihnen nur ausgenutzt wird. Auch dieser Blick ist in gewisser Weise eine Selbstreflexion Maurice Pialats. Ein Kommentar auf seine eigene Rolle in dieser Figurenwelt, die ja auch nicht ohne einen gewissen lustvollen Blick auskommt. Somit ist die Figur des Spanners eine uneitle und kluge Strategie, den eigenen Blick zu thematisieren und moralisch zur Frage zur stellen. Aber sowohl das eine noch das andere, der kapitulative Intellektualismus und der lustvolle Gaze fehlen, vielen Generationsporträt unserer Tage. Vielleicht sehen auch deshalb einige der gelungeren Arbeiten wie Valeska Grisebachs „Mein Stern“ oder Larry Clarks „Kids“ ein bisschen so aus, als hätten sie von der Pialat-Frucht der Erkenntnis genascht. Während die überwältigende Überzahl weniger gelungener Coming-of-Age-Filmen der beschränkte Wunsch anzusehen ist, wie Jugend eigentlich aussehen sollte (sowohl im normativen wie im naiven Sinne des Wortes „sollte“ gemeint), da ihnen einerseits der soziologische Analyseversuch auf Augenhöhe als auch — und vielleicht noch wichtiger — Pialats Mut zur Lust abgeht.
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