Aufwachsen im Drogenkrieg.
Originaltitel: Heli
Produktionsland: Mexiko
Veröffentlichungsjahr: 2013
Regie: Amat Escalante
Drehbuch: Amat Escalante
Produktion: Jaime Romandía
Kamera: Lorenzo Hagerman
Montage: Natalia López
Darsteller: Armando Espitia, Andrea Vergara, Linda González, Juan Eduardo Palacios
Laufzeit: 105 Minuten
Heli (Armando Espitia) lebt gemeinsam mit seiner Familie in bescheidenen Verhältnissen in der Peripherie einer Stadt in Mexiko. Für seinen Lebensunterhalt arbeit der junge Mann in einer Automobilfabrik. Eines Tages lernt seine noch minderjährige Schwester Estela (Andrea Vergara) den Polizeikadetten Beto (Juan Eduardo Palacios) kennen, der das Mädchen gerne sofort heiraten möchte. Um schnell an Geld zu kommen, entwendet Beto mehrere Päckchen Kokain und versteckt sie auf dem Dach von Helis und Estelas Familie. Es dauert nicht lange bis das mächtige Drogenkartell hinter Beto her ist. Aber auch eine Sondereinheit der Polizei sowie das Militär interessieren sich für das Kokain. Die Folgen dieser Verwicklungen verändern Helis Leben und das seiner Familie.
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
Mexikanische Filmemacher haben etwas zu sagen. Vielleicht erklärt das den starken Mexiko-Trend des internationalen Weltkinos, den gerade Cannes extrem forciert. Carlos Reygadas oder eben Amat Escalante machten in Cannes auf sich aufmerksam, aber auch vermeintlich unbekannte Regisseure wie Michel Franco oder Gerardo Naranjo konnten mit „Después de Lucia“ und „Miss Bala“ das Festival gehörig aufmischen. Eine große Rolle spielt der gesellschaftliche Status Quo des heutigen Mexikos mit seinem Schlagwortthema „Drogenkrieg“. Auch Escalantes neuester Film verschreibt sich diesem Sujet, wirklich neue Erkenntnisse gewinnt er nicht, aber Kopfschmerzen verursachen seine Bilder trotzdem.
Der mexikanische Norden wie der Nahe Osten
Kein Zufall, dass Escalante gleich zu Beginn einen gehängten Jungen an einer Brücke baumeln lässt. Es macht unmissverständlich klar, dass der Drogenkrieg inmitten von Mexikos Bevölkerung stattfindet. Und das ist der eklatante Unterschied zu den Drogenkriegen anderer Länder, wo sich Narco-Gangster und Polizei im Untergrund bekämpfen. In Mexiko tritt der Krieg wie eine offene Wunde überall sichtbar hervor. Es ist eben schon längst ein Bürgerkrieg und die Ergebnisse der schonungslosen Gewalt erinnern mehr an Verhältnisse im nahen Osten als ein Land, das an die USA angrenzt. Zumal die schlimmsten Episoden des Drogenkrieges eben auch genau dort stattfinden: Im nördlichen Mexiko, unweit der Grenze. Auch Guanajuato, Heimat des Regisseurs Amat Escalante und Handlungsort des Films, ist (noch) zum mexikanischen Norden zu zählen.
Extrem junge Menschen
Das zentrale Anliegen von „Heli“ ist zu zeigen, dass Menschen hier inmitten der Fronten des Konfliktes aufwachsen. „Heli“ zeigt fast ausschließlich junge Menschen. Heli selbst, der Protagonist ist gerade mal 17 Jahre alt und schon verheiratet, Vater eines Babys und Angestellter bei einem Automobilhersteller. Seine Schwester treibt diese Erkenntnis noch weiter. Sie ist gerade mal 12 und träumt schon von der Heirat mit dem ebenfalls siebzehnjährigen Beto. Und damit ist keineswegs ein kindlicher, unernster Heiratsgedanke gemeint, nein, Estela hätte schon längst mit Beto geschlafen, wenn sie nicht ein bisschen Angst davor hätte schwanger zu werden. Estelas Vater oder ihr Bruder Heli problematisieren das nicht. Für sie scheint es normal zu sein, dass ein zwölfjähriges Mädchen schon an Reproduktion denkt. So schnell alter man eben, umgeben von permanenter Atmosphäre der Angst.
Nicht nur erlebte Gewalt
Estelas Gesicht ist sehr kindlich und einzig ihre für ihr Alter ungewöhnlich großen Brüste deuten an, dass sie sich überhaupt schon in der Pubertät befindet. Das ist alles Teil von Escalantes Plan, um blankes Entsetzen zu entfachen. Ein solch junges Gesicht darf doch nie und nimmer Opfer sexueller Gewalt werden. Doch genau das wird passieren. Auch wenn der Regisseur es ausdrücklich nicht zeigt. Dafür zeigt Escalante ganz andere Dinge. Eine sehr heftige Folterszene etwa, die es so sicher noch niemals zu sehen gab. Zuschauer sind dabei — wie könnte es anders sein — Kinder, die ihr Konsolenspiel unterbrechen, um auch mal ein bisschen mitzufoltern. Die Gewalt ist in dieser Gesellschaft ein anerzogener, fester Bestandteil. Zu welchen Psychen soll das hinführen, wenn wir aus der deutschen Vergangenheit wissen, dass schon als Kind erlebte Gewalt zu den verkrüppelten Seelen von NS-Folterknechten hingeführt haben könnte (diesen Ansatz verfolgte Michael Haneke in „Das Weiße Band“). Wo soll das hinführen, wenn Kinder schon mit selbst angewandter Gewalt aufwachsen?
Eine unverstehbare Welt
Aber in „Heli“ geht es um den Status Quo und der wird in dokumentarischen Bildern festgehalten. Egal wie brutal das Gezeigte ist, die nüchterne Kamerabeobachtung fällt nie aus ihrer Rolle. Die nüchtern-neutrale Cinematography gehört zur Programmatik, denn Schwarz-Weiß-Malerei gibt’s hier keine. Die Polizei ist zwar Brötchengeber von Beto, aber ein gutes Haar wird nicht an ihr gelassen. Die entwürdigenden Disziplinierungstrainings werden mit all ihrer Widerlichkeit gezeigt, genauso wird das Verbrennen von tonnenweise Drogen als pure Machtdemonstration gegenüber den verfeindeten Drogengangs inszeniert. Und letzten Endes weiß ein Zuschauer, zumindest solang er kein Experte für den mexikanischen Drogenkrieg ist, eigentlich gar nicht so richtig, was er hier sieht und wem er hier glauben soll. Sind die Polizisten, die Helis Familie überfallen tatsächlich Bundespolizisten, die Heli danach der Drogenmafia ausliefern oder sind es als Polizisten verkleidete Gangster wie Heli später vermutet? Man wird nicht so richtig schlau daraus. Aber wie kann man aus einem Bürgerkrieg schon schlau werden?
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