Ein Film gegen das Streberhafte und Disziplinarische.
Originaltitel: Inside Llewyn Davis
Produktionsland: USA
Veröffentlichungsjahr: 2013
Regie: Ethan und Joel Coen
Drehbuch: Ethan und Joel Coen
Produktion: Ethan und Joel Coen, Scott Rudin
Kamera: Bruno Delbonnel
Montage: Ethan und Joel Coen (als Roderick Jaynes)
Musik: T-Bone Burnett, Todd Kasow, Marcus Mumford
Darsteller: Oscar Isaac: Llewyn DavisCarey Mulligan, Justin Timberlake, Ethan Phillips, Robin Bartlett, Max Casella, Jerry Grayson, Adam Driver, Stark Sands, John Goodman, F. Murray Abraham
Laufzeit: 105 Minuten
Er hat eine Vision, er hat seine Musik, aber er hat kein Geld: Llewyn Davis (Oscar Isaac) ist der Prototyp des sich redlich mühenden Musikers. Es sind die 1960er, die New Yorker Musikszene brummt vor Aufbruchstimmung, und Llewyn Davis möchte seinen Anteil daran haben. Doch er strengt sich nicht nur in Bezug auf seinen Durchbruch an, auch in seinem Privatleben ist er alles andere als souverän und die Liebschaft mit der Sängerin Jean Berkey (Carey Mulligan) ein Fehltritt wie seine vorherigen Beziehungen auch.
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 16.12.2013)
Die Coen-Brüder drehen ein ruhiges Musiker-Porträt, eine Hommage an die Zeit Bob Dylans, die von der FSK schon ab 6 Jahren freigegeben wird. Sind die Coens etwa in der Mitte der Kinogesellschaft angekommen und drehen belangloses Altherrenkino? Schließlich gehen die Regie-Brüder schon bedrohlich auf die 60 zu, haben mit ihrem letzten Film „True Grit“ ein eher durchschnittliches Western-Remake mit wenig neuen Einfällen gedreht und haben nach dem (völlig verdienten) Best-Picture-Oscar für „No Country For Old Men“ und der goldenen Palme für „Barton Fink“ alles gewonnen, was es dem Traum eines Filmschaffenden nach zu gewinnen gibt. Aber es gibt eben doch so etwas wie einen Coens-Qualitätsstandard, der sich vor allem durch seinen schwarzen Humor definiert, den auch „Inside Llewyn Davis“ trotz gelbem FSK-Schild weiterträgt. Einmal mehr ist den Coens ein Film gelungen, der kein Meisterwerk für die Ewigkeit, aber trotzdem oder gerade deswegen unhateable ist.
Das Gefühl des Nonkonformistenleben
Was „Llewyn Davis“ vermittelt, ist weniger eine Geschichte als das Gefühl vom Leben des Nonkonformisten, des Freigeistes, der in den Tag hinein lebt. Eine Künstlernatur, wie sie Llewyn Davis verkörpert, die nie selbstverwirklichende Freude daran hatte, einen Beruf außerhalb der wenig handfesten Welt der Künste auszuüben. Und wenn man keine Figur der erzählten Welt ist, sich nicht auf Llewyn verlassen muss, ihm kein Geld lassen muss und keine Nacht mit ihm verbringt, die möglicherweise in einer Schwangerschaft enden könnte — und in dieser komfortablen Position befindet sich der Zuschauer — ist Llewyn ein Sympathieträger und man erinnert sich an Menschen, die man aus seinem eigenen Leben kennt und verzeiht ihnen in diesem Moment ihren stressbringenden Charakter. Das ist auch gleichzeitig das, was uns die Coens auf den Weg geben wollen: Llewyn ist der Loser, der in uns allem ein bisschen und in Leuten unseres Umfeldes vielleicht noch ein bisschen mehr steckt. Die Coens verarbeiten mit „Llewyn Davis“ nicht ohne Grund die Geschichte des Musikers Dave Van Ronk, der mit Bob Dylan befreundet war, aber im Gegensatz zu ihm nie zu Weltruhm gelang.
Zweiteinnahmequelle OST
Das fehlende Talent scheint jedenfalls nicht der Grund gewesen zu sein. Die Gebrüder Coen gewähren der Figur Llewyn Davis und seinem Schauspieler Oscar Isaac genug Zeit, um sich gesanglich auszuzeichnen. Meistens werden die Folk-Songs sogar in voller Länge durchgespielt. Auch wenn hier natürlich auf die Hinsicht einer Zweiteinnahmequelle namens „Original Soundtrack“ geschielt wird und man abzüglich der Songs auf die unmutige Laufzeit von 90 Minuten kommt, lässt sich „Llewyn Davis“ als Musikfilm keine Streckungen anmerken. Dafür ist das Gebotene zu gut und zu sehr Teil der Protagonisten-Charakterisierung. Übrigens: Ein großes Lob für die deutsche Lokalisation, die dem Film beim Orignaltitel beließ, obwohl selbst Amerikaner mit dem ungewöhnlichen irischen Vornamen des Antihelden Schwierigkeiten haben. Als Coen-Fan fühlt man sich da ein bisschen auf die Schulter geklopft, dass einem doch so viel zugetraut wird.
Unorthodoxe Erzählstruktur
Der Coensche Humor ergibt sich hier aus der Reibungsfläche zwischen dem gutherzigem Loser Llewyn und seiner Welt, die er nicht in den Griff bekommt. Bezogen auf eine Katze, die im Film eine größere Rolle spielt, ist das „nicht in den Griff bekommen“ durchaus wörtlich zu nehmen. Trotz der ein oder anderen vorhersehbaren Storywendung ist die Erzählweise herrlich unorthodox wie Llewyn selbst. Immer wenn man glaubt aus der Dramaturgie des Films schlau zu werden, biegt „Llewyn“ nicht da ab, wo man es erwartet. Vielleicht schaffen es die Coens gerade deshalb der Geschichte dieselbe Spontaneität zu verleihen, die der Film als Lebensstil offenkundig gegen das Streberhafte und Disziplinarische agitiert.
Die Coens haben schon größere Filme gedreht, aber Ausreden, sich diesen Film nicht anzusehen, gibt es trotzdem keine. „Inside Llewyn Davis“ ist eine Huldigung an einen Lebensstil, von dem uns die Gesellschaft wegerzieht. Aber das Gefühl von Belehrung bleibt nicht zurück, viel mehr die Erkenntnis, wie großartig Folk-Musik klingen kann. Vielleicht war das den Coen-Brüdern auch wichtiger.
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