Aufgeblasener Vep-Kosmos.
Originaltitel: Irma Vep
Produktionsland: Frankreich, USA
Veröffentlichungsjahr: 2022
Regie: Olivier Assayas
Drehbuch: Olivier Assayas
Bildgestaltung: Yorick le Saux, Denis Lenoir
Produktion: Jes Anderson
Montage: Marion Monnier, François Gédigier, Simon Jacquet
Darsteller: Alicia Vikander, Vincent Macaigne, Adria Arjona, Byron Bowers, Vincent Lacoste, Devon Ross, Alex Descas, Antoine Reinartz, Carrie Brownstein, Lars Eidinger, Tom Sturridge, Fala Chen, Pascal Greggory, Dominique Reymond
Laufzeit: 480 Minuten
Mira is an American movie star disillusioned by her career and a recent breakup, who comes to France to star as “Irma Vep” in a remake of the French silent film classic, “Les Vampires.” Set against the backdrop of a lurid crime thriller, Mira struggles as the distinctions between herself and the character she plays begin to blur and merge.
Quelle: letterboxd.com
Replik:
Ich habe dieses Jahr sowohl den Original-Film „Irma Vep“ aus dem Jahre 1996 als auch seine Neu-Adaption zum ersten Mal gesehen. Beide Werke sind geschrieben und inszeniert von Olivier Assayas, was bemerkenswert ist, weil beide Werke in vielen Punkten unterschiedlicher kaum sein könnten. Der Originalfilm von 1996 handelt von einem Filmdreh-im-Film: Assayas‘ Alter Ego, der schrullige Regisseur René Vidal, gespielt von Jean-Pierre Léaud, adaptiert die Stummfilmreihe (heute würde man Miniserie sagen) „The Vampires“ von Louis Feuillade von 1915. Die titelgebende Irma Vep ist eine Figur innerhalb dieser Feuillade-Vorlage und wird von Assayas‘ damaligen Ehefrau Maggie Cheung gespielt. „Irma Vep“ als Mini-Serie referriert nun gleichermaßen auf „The Vampires“ als auch auf „Irma Vep“, da wieder Assyas‘ Alter Ego René Vidal auftritt (diesmal gespielt von Vincent Macaigne), der seinen eigenen Film remakt, der wiederum ein Remake von „The Vampires“ ist. Viel meta also. Viel Selbstreferenz auf das Leben und Werk Olivier Assayas. Selbst die Ehe zu Maggie Cheung kommt hier und dort zur Ansprache. 480 Minuten später muss man aber konstatieren: Viel meta, viel autobio macht noch lange keinen Qualitätsnachweis.
Jung-Godard vs. irrelevante Epik
Das Problem dieses hochtrabenden Meta-Arrangements — eine Serie, in der eine Serie das Remake sowohl einer Stummfilmserie, als auch des titelgleichen Films aus den Neunzingern ist, der wiederum ein Remakefilmdreh-im-Film war — ist, dass das im Grunde genommen alles völlig egal ist. Die Qualität vom Originalfilm „Irma Vep“ aus dem Jahre 1996 hat sich nämlich bestenfalls nebensächlich aus dessen Metaebenen ergeben. Was am Spielfilm toll war, das war seine inszenatorische Frische, das war eine warme, selten so erlebte Energie zwischen den Figuren. Das waren Dialoge, die gleichzeitig prägnant und von rarer naturalistischer Glaubwürdigkeit waren. Das war ein ganz bestimmtes Verhältnis der Regie zu der Hauptfigur Maggie Cheung, das natürlich — mit dem Wissen des außerfilmischen Liebesverhältnis — ein erotisiertes war, so ähnlich wie bei Godards Filmen mit Anna Karina. Allgemein war „Irma Vep“ in seinem Sujet, in seinem tolldreisten Witz und dem spielerischen Umgang mit filmischen Mitteln ein Film, wie ihn ein junger Godard hätte machen können. Und durch das pulsierend-realistische Spiel der Figuren und allgemein der größeren filmhandwerklicheren Dringlichkeit, war „Irma Vep“ wahrscheinlich sogar ein Film, der von Godard stammen könnte, der ihn womöglich aber gar nicht in dieser Qualität hinbekommen hätte.
Was nun ist aber „Irma Vep“ als Mini-Serie? Beim genauen Hinsehen nicht wirklich viel. Natürlich haben Film-im-Film-Setzungen immer eine gewisse Grundlustigkeit. Natürlich hat es einen Schauwert, Filmstars wie Alicia Vikander, Kristen Steward, Lars Eidinger oder Vincent Macaigne beim Spielen zuzusehen und sich womöglich auch die Frage zu stellen, wie sehr hier Rolle und echte Persona verschmelzen oder auch nicht. Aber einer motivisch-dramatischen Tiefen-Analyse hält die Erzählung von „Irma Vep“ trotzdem kaum stand. Alle Mikrokonflikte von Mira Harberg (Alicia Vikander), die ein bisschen lesbisch ist und ein bisschen doch nicht, sind vollkommen redundante Handlungsmasse. Die psychischen Krisen des Regisseurs René Vidal changieren zwischen lächerlich aufgesetzten, over-acteten Thematisierungen von Cholerik und Depression bis hin zur assayasschen Nabelschau gegenüber seiner Ex-Frau Maggie Cheung, die für die Gesamthandlung wirklich keinerlei Relevanz zu haben scheinen. Hier treibt kein Keil das nächte, alles schwippt und schwappt ein bisschen nebeneinanderher. Lars Eidinger als deutsche Skandalnudel Gottfried ist ebenfalls ziemlich genau die Summe seiner Einzelteile und wirkt so, als wäre Assayas‘ permanente Regie-Anweisung gewesen: Mach mal richtig crazy, Lars. Das bist du doch auch. Und natürlich ist „Irma Vep“ keine Mini-Serie, die in einem gut geölten Writer’s Room auf handlungstreibende Dramaturgie hingebürstet wurde. Klar, „Irma Vep“ ist eine Mini-Serie, die sich der epischen Erzählweise verschreibt. Aber auch hierin gibt es qualitative Abstufungen, auch hier braucht es ein (motivisches) Ineinandergreifen von Handlungselementen. Die Handlung, die Assayas hier präsentiert, bleibt aber durchweg Stückwerk mit einem merkwürdigen Beigeschmack von ständiger Selbstgenügsamkeit des Auteurs.
Pflichtdiskursive Plumpheit
Auch gelegentliche Versuche, die Grenzen des Genres zu dehnen, indem z.B. Alicia Vikander im Irma-Vep-Kostüm durch Wände gehen kann, wirken nach einem halbwegs hilflosen Versuch Assayas‘ auch noch diese letzte Erwartung seines Publikums mitzubedienen, noch etwas Verrücktes zu machen, das sich außerhalb der strengen Grenzen des Realismus bewegen (vgl. das Ende von „Personal Shopper“). Es ist Altherrenkino, das nicht so richtig weiß, was es mit seinen Versatzstücken anfangen soll und wirkt so, als wäre ihm das Budget unverhofft zugeflogen und aus durchgestrichenen Notizen des Originalfilms zusammengebaut. Bestimmte Diskursthemen, sei es der Stellenwert von Mini-Serie vs. Arthouse-Film oder Dinge wie #metoo und cultural appropriation handelt Assayas in vorauseilendem Pflichtbewusstsein ab. Dabei wirken diese Behandlungen übrigens jeweils gar nicht so unproblematisch, weil dem nicht-konsensualen Filmemachen und dem Genie-Kult des weißen Mannes in allerletzter Instanz rechtgibt. Und das mit einer gewissen, schulternzuckenden Nonchalance. So trifft sich Mira Harberg nach einer vorher so nicht abgesprochenen körperlichen Szene mit dem Regisseur René Girard und gibt ihm ohne große Diskussion Recht, die Szene sei nicht so schlimm gewesen. Später vermisst sie sogar den Kink von Girard am Set, als ein Ersatz-Regisseur einspringen muss. Nun bin ich bei weitem kein Beobachter, der eine Kritik an aseptischen, lustfeindlichen, politisch korrekten Filme(mache)n im Namen der Identitätspolitik, des Feminismus etc. pp. per se ablehnt, solang sie eben fundiert und intelligent ist. Was Assayas hier allerdings erzählerisch-rhetorisch anbietet, um ein solches Filmemachen zu rechtfertigen, ist in seiner Plumpheit grob und ärgerlich. Und vor allen Dingen ist es als ein aufgeblasener Kosmos gegenüber dem fantastischen Original-Film erzählerisch unheimlich unausgegoren und inszenatorisch von banaler Durchschnittlichkeit.
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