Jede Nacht eine potenzielle Pogromnacht.
Originaltitel: Csak a szél
Produktionsland: Ungarn
Veröffentlichungsjahr: 2012
Regie: Benedek Fliegauf
Drehbuch: Benedek Fliegauf
Produktion: Rebekka Garrido, Pierre Fleurantin, Ernő Mesterházy, András Muhi, Mónika Mécs
Kamera: Zoltán Lovasi
Montage: Xavier Box
Musik: Benedek Fliegauf, Tamás Beke
Darsteller: Katalin Toldi, Gyöngyi Lendvai, Lajos Sárkány, György Toldi
Laufzeit: 91 Minuten
Die Bewohner eines ungarischen Dorfes werden Zeuge einer mysteriösen Mordserie. Opfer dieser rassistischen Gewaltanschläge sind immer wieder Roma und Sinti-Familien. Maris (Katalin Toldi) wendet sich voller Angst um ihre Familie an die ortsansässige Polizei. Diese allerdings denkt gar nicht daran der hilflosen Frau, ihrer Tochter Anna, Sohn Rio (Lajos Sárkány) und dem Großvater (György Toldi) schützend zur Seite zu stehen. Ganz im Gegenteil wird schnell klar auf welcher Seite die Gesetzeshüter zu stehen scheinen. Letzte Hoffnung ist nun der Familienvater, der im fernen Kanada darum kämpft seine Familie zu ihm zu holen. Die hilflose Familie versucht, trotz ständiger Angst, ihrem geregelten Leben zu folgen. Bald wird allerdings klar, dass dies unmöglich bleibt. Sohn Rio will das Schicksal nun in seine eigene Hand nehmen, und begibt sich auf die Suche nach dem Mörder
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 14.11.2013)
In Europa ist in den letzten Jahren wieder ein starkes Aufkeimen nationalistischer Romantik mit einhergehender Projektion „innerer Feinde“, sprich: Rassismus und Ausländerfeindlichkeit, auszumachen. Das absolute EU-Sorgenkind ist in dieser Hinsicht aktuell wohl Ungarn: Gruselig ist es, wie der Nationalkonservative Viktor Orbán Stimmung gegen Europa und Minderheiten in Ungarn macht und welchen Vokabulars er sich dabei bedient. Wie salonfähig Rassismus im Kulturland Ungarn ist, zeigt Benedek Fliegauf mit seinem Film „Just The Wind“, der 2012 auf der Berlinale lief. Dazu rollt er eine Mordserie gegen Sinti und Roma auf, die sich zwischen 2008 und 2009 ereignete und von schier unglaublicher Brutalität gewesen ist. Vielleicht ist der latente Rassismus, den Fliegauf zeigt, aber noch viel bedrückender.
Einfaches Zeigen
Selten hinterlässt ein Film den Zuschauer so sehr mit der simplen Frage „Warum?“. Menschen überfallen andere Menschen in der Nacht und töten sie mit Schrotflinten, egal ob Mann, Frau oder Kind. Es gibt keinen Grund dafür und Fliegauf hat auch nie den Hauch eines Interesses einen zu liefern, den Rassismus der Ungarn zu psychologisieren. Stattdessen tut der Regisseur etwas Einfaches wie Bemerkenswertes: Er zeigt die Sinti und Roma in all ihrer sozialen Schieflage, ungeschönt und authentisch, solidarisiert sich aber mit ihnen, indem er die Kamera so nah wie möglich an seine Figuren heranbegibt.
So wird der Blickwinkel der Roma, der Opfer, auch zu dem des Zuschauers. Mit dieser dokumentarischen Arbeitsweise erreicht er auf äußerst simple Weise ein hohes Maß an Mitgefühl. Das Publikum muss sich gar nicht in spezielle Protagonistentypen hineinversetzen, er teilt mit dem Blickwinkel ganz einfach dieselbe Angst vor Rassismus wie die Roma selbst. Der größte Verdienst von „Just The Wind“ ist, dass er das Gefühl gejagt, verachtet und nicht gewollt zu werden, übertragen kann.
Ungarische Verhältnisse
In der kaum beleuchteten Roma-Siedlung ist jede Nacht eine potenzielle Pogromnacht. Und tatsächlich war der letzte Film, der mir einfällt, Hanekes „Wolfszeit“, der so gnadenlos mit nächtlicher Tiefschwärze arbeitete. Trotz klar nüchtern-sozialdramatischem Anliegen ist „Just The Wind“ durchaus spannend und zur emotionalen Partizipation fähig. Während Uwe Bolls vergleichbar thematisierter „Dafur“ seine Genozidgeschichte noch aus der Sicht des Westens erklärte und sich sogar zu einem reißerischem Gegenangriff überreden ließ, obsiegt in Fliegaufs Film die Hoffnungslosigkeit. Niemand, nicht einmal die Polizei, ist auf Seiten der Roma. Einzig Fliegauf und das Publikum sind auf ihrer Seite und können mit der Unterstützung dieses Filmprojekts den Opfern vielleicht ein wenig Gehör verschaffen. Viel wichtiger ist es aber, eine öffentliche Diskussion darüber zu führen und zu überlegen, wie weit man in Resteuropa von ungarischen Verhältnissen entfernt ist.
„Just The Wind“ zieht seine Stärken aus seiner unbamherzigen Konsequenz, ein sensibles ungarisches Thema an die Öffentlichkeit zu bringen und für eine breite Diskussion greifbar zu machen. Der formal minimalistische Stil bewegt den Fokus auf das behandelte Objekt anstatt auf sich selbst, was ihn als politisches Statement umso besser, filmisch aber zu keinem Meilenstein macht.
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