Ausdauerlauf statt Boxen. Betrachten und Mitfühlen.
Originaltitel: Koza
Produktionsland: Tschechien, Slowakei
Veröffentlichungsjahr: 2015
Regie: Ivan Ostrochovský
Drehbuch: Ivan Ostrochovský
Produktion: Jiri Konecny, Ivan Ostrochovský, Maros Slapeta, Marek Urban, Kamila Zlatusková
Kamera: Martin Kollár
Montage: Matej Benes, Viera Cákanyová, Peter Moravek, Maros Slapeta
Musik: Miroslav Toth
Darsteller: Peter Baláž, Zvonko Lakčevič, Ján Franek
Laufzeit: 75 Minuten
Koza, die Ziege, nennen sie ihn. Seine besten Tage als Boxer hat er hinter sich. Manchmal schaut er sich seinen Kampf bei der Olympiade 1996 auf Video an. Jetzt braucht er Geld, denn seine Freundin ist schwanger. Deshalb beschließt er, noch einmal in den Ring zu steigen. Sein Boss, für den er sonst Metallschrott sammelt, begleitet ihn als eine Art Box-Impresario auf dieser Tour, die eher Leidensweg als Triumphzug ist. Kozas Körper hält das Training kaum durch, seine Kämpfe verliert er meist in der ersten Runde. Anders als das Leben geht der Film barmherzig mit seinem Protagonisten um. In diesem melancholischen Roadmovie zeigt die Kamera weniger die Boxkämpfe, sondern bleibt backstage, zeigt das unglamouröse Drumherum. Die Fahrten durch winterliche Landschaften, die Tage, an denen es nie richtig hell wird und die Cola im kalten Auto in der Flasche gefriert, das unrühmliche Ende der Kämpfe – all das zeigt der Film in exquisit kadrierten Bildern, die seinem Antihelden einen anderen Raum als den des Boxrings geben. Der slowakische Boxer Peter Baláž, der sich hier selbst spielt, ist ein Glücksfall für den Film. Den Vergleich mit anderen boxenden Filmhelden muss er keineswegs scheuen. (Text: Berlinale)
Quelle: moviepilot.de
Replik:
Manchmal braucht man nur einen guten Freund mit einer interessanten Geschichte, um einen Film zu machen. Sei es Dokumentarfilm oder Spielfilm oder etwas dazwischen wie im Falle von „Koza“, der den Ex-Olympia-Teilnehmer von 1996 der (damals noch jungen) Slowakei Peter Baláž, von allen nur Koza (Ziege) genannt, und was aus ihm geworden ist, porträtiert. Alles was der Film zeigt, ist im Bereich des Doku-Dramatischen anzusiedeln. Das heißt es passiert wirklich (mit Wissen einer laufenden Kamera minimal verfälscht) oder ist Nachgestelltes von Real-Passiertem. Die Handlung von „Koza“ ist schlicht, aber unheimlich atmosphärisch vorgetragen, sodass er trotz untypische Charakteristika für einen Sportfilm das schafft, was ein Ziel jedes Sportfilms ist oder sein sollte: physische Erfahrbarkeit.
Der echte Peter Baláž
Hierzulande hat man vielleicht ganz andere Vorstellungen von dem Leben vor und nach einer Profisportlerkarriere. Klassischerweise entweder das Leben eines Mittelschichts-Vorstadtbürgers, der irgendwann auf ein Sport-Internat wechselt und dann an den Profi-Sport herangeführt wird oder aber von dem sozial schwachen Arbeiterkind, das sich von unten durchboxt und klassischerweise aus dem Zentrum einer Großstadt kommt. Der Blick, den „Koza“ ermöglicht ist ein anderer und zwar ein osteuropäischer. Das Milieu, das hier mit wenig Abstand und mehr Zuneigung und lakonischem Humor gezeigt wird, riecht nach altem Benzin und verbranntem Plastik. Es ist ein kleinstädtisches, sozial prekäres Umfeld, in dem Peter Baláž lebt, arbeitet und für seinen nächsten Box-Kampf schuftet. Und das ist alles echt, tatsächlich lebt der echte Peter Baláž in demselben Haus, hat dieselbe Frau und dasselbe ungeborene Kind, für das er im Film seine Gesundheit riskiert.
Es verdient eine Menge Respekt, dass Peter Baláž diesen unwürdigen Moloch als seine Heimat präsentiert, aber Ivan Ostrochovský macht eben keinen Abgesang, sondern erzeugt eine Atmosphäre, die uns Teil dieser Lebenskonditionen werden lässt und bringt das Eis zwischen dem Zuschauer und den harten, übermännlichen Figuren zum Schmelzen. Einmal sehen wir den ständig rauchenden und unfreundlich-strengen Schrottplatz-Chef, der unverhofft zum Box-Manager von Peter Baláž aufsteigt, sogar im Ansatz eines Weinens, weil er sich um die Gesundheit seines Schützlings sorgt. Eine wunderbar menschliche Szene.
Eine sozial-prekäre Heldenreise
Die kurze Spielzeit des Films wird zwar effektiv genutzt, um mit kleinen Andeutungen, perfekt abgestimmter Minimal-Dramaturgie die Geschichte voranzutreiben, der Film hätte aber durchaus auch noch länger sein können, so wunderbar atmosphärisch sind die einfachen Konflikte, immer mit einem roten Faden und immer mit voller Nähe zum Geschehen. Da werden Spritkosten oder Krankenhausrechnungen aufgrund fehlender Versicherung zu einem Überlebenskampf und einer Heldenreise. Das größte Abenteuer ist immer noch das Leben.
Männerfreundschaft, Mentalitätsstudie, Rocky-Demontage
Man kann „Koza“ also als Film einer Männerfreundschaft betrachten, von der man nicht genau sagen kann, ob sie durch das kleine Abenteuer, das durchlebt wird, erst entsteht oder „nur“ gefestigt wird. Er lässt sich auch als eine Mentalitätsstudie betrachten, denn was hier erfahrbar und nachvollziehbar gemacht wird, ist auch die slowakische Seele zwischen hartem, trockenen Humor und einem hinreißenden Kampfgeist hinter der die romantische Liebe zur Familie steht.
Man kann den Film auch als kleine Demontage des Box-Heroen-Films á la „Rocky“ betrachten, wobei der Held in „Koza“ eigentlich ein viel größerer ist, nur wird er nicht von triumphaler Musik, sondern nur von der Melancholie und Tristesse des Daseins begleitet. Wenn Ostrochovský österreischische Box-Zuschauer beim Mampfen beobachtet, während wir wissen, welchen monetären und physischen Kampf Baláž hinter sich hatte, nur um in diesen Ring zu gelangen, dann ist „Koza“ auch ein Film über zwei Welten, obwohl beide Teil der Europäischen Union sind. Immer mal wieder benutzen die großartigen Figuren (bzw. Menschen) auch wieder kleine Sprach-Brocken aus den Sprachen des reichen, erfolgreichen Westens. „Scheiße„, „Gastarbeiter„, „One, two, three, four — eight.„
Eiskalte Bilder
Und zum Schluss — vermutlich wäre jeder Rezensent früher darauf eingegangen — Die Bilder. „Koza“ ist in hauptsächlich bewegungsstarren, scheinbar von der Kälte gelähmten, aber perfekt kadrierten Einstellungen gedreht, die Zeit für sich selbst nehmen, zum Betrachten und Mitfühlen. Sicherlich ist der Mammutteil seiner eisig-dreckigen und dennoch liebenswert-menschlichen Wirkung seiner brillanten Bildsetzung zu verdanken. Selbst in den Box-Szenen bricht der Film nicht aus seinem Modus aus; konsequent reiht Ostrochovský ein traurig-schönes Tableau an das nächste und übernächste. Eher im Takt eines Ausdauerläufers, nicht eines Boxers.
74%
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