Reden über Philosophie. Hansen-Løve in falscher Selbstgefälligkeit.
Originaltitel: L’Avenir
Alternativtitel: Was kommen wird
Produktionsland: Frankreich, Deutschland
Veröffentlichungsjahr: 2016
Regie: Mia Hansen-Løve
Drehbuch: Mia Hansen-Løve
Produktion: Charles Gillibert
Kamera: Denis Lenoir
Montage: Marion Monnier
Darsteller: Isabelle Huppert, André Marcon, Roman Kolinka, Édith Scob, Sarah Le Picard, Solal Forte, Élise Lhomeau, Lionel Dray, Grégoire Montana-Haroche, Lina Benzerti
Laufzeit: 100 Minuten
Nathalie (Isabelle Huppert) unterrichtet Philosophie an einer Sekundarschule in Paris. Sie übt ihren Job mit Leidenschaft aus und genießt es, ihre Freude am Nachdenken an ihre Schüler weiterzugeben. Die verheiratete Frau und Mutter von zwei Kindern teilt ihre Zeit zwischen Familie, ehemaligen Schülern und ihrer besitzergreifenden Mutter auf. Doch in Nathalies sonst so glücklichem Leben kommt eines Tages alles ganz anders: Ihre Mutter verstirbt, sie wird gefeuert und ihr Ehemann verkündet, dass er sie wegen einer anderen Frau verlassen wird. Plötzlich muss Nathalie ihr Leben neu erfinden und die schwierige Situation meistern.
Quelle: moviepilot.de
Replik:
Wenn man sich „Eden“ anschaut, den Vorgängerfilm zu „Things To Come“ von Regisseurin Mia Hansen-Løve, dann funktioniert dieser Film, weil sie das Milieu ihres Filmsujets durchdringt. Sie nimmt den Takt der elektronischen Musik auf, sie ist nah dran an den Figuren und ihren Konflikten, so als sei die Regisseurin eine persönliche Bekanntschaft der porträtierten französischen Electro-Pioniere. Vor allem aber beleuchtet „Eden“ sein Sujet mit verschiedenen Lichtern, es findet auch eine kritische Distanz zu diesem statt. Wir sehen die Kehrseite von Drogenkonsum und dem heillosen Wunsch nach Weltruhm. „Things To Come“, ein Film, der von der Filmkritik weitestgehend positiv aufgenommen wurde, lässt genau dies schmerzlich vermissen. Es ist ein Film, der vom bildungsbürgerlichen Milieu und einer Philosophielehrerin handelt. Es gibt im Film aber weder eine kritische noch eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Bildungsbürgertum, an Hansen-Løves Film hängt stattdessen ein bitterer Nachgeschmack der Selbstgefälligkeit.
Eitle Figuren, eitler Film
Am Anfang des Films identifiziert man sich noch gerne mit den Figuren in diesem Film. Der Philosophie-Lehrerin Nathalie, die herrlich altmodisch sich mit Händen und Füßen dagegen wehren will, dass ihre Publikation zwecks Verkaufbarkeit mit einem bunteren, catchigeren Cover ausgestattet wird. Und der attraktive Ex-Schüler Fabien, der vom faulen Kiffer-Studenten zum politischen Aktivisten und philosophischen Publizist geworden ist. Das sind interessante Ausgangslagen für Figuren und für ein gebildetes Publikum, für welches dieser Film — machen wir uns nichts vor — gedreht worden ist. Nur verkommt der Intellektualismus an irgendeinem Punkt des Films zum Selbstzweck und zur Rechtfertigung für alles. Am schlimmsten zeigt sich das in der Figur des Ex-Schülers Fabien. Eine schier schwächenlose Person. Er sieht gut aus, ist unfassbar (!) smart, ist über Nacht zum erwachsensten Menschen der Welt geworden und die Moralinstanz Nummer Eins, sowie unangefochtener Chef einer Gruppe junger, idealistischer Intellektueller. Das macht die Figur aber ironischerweise unsympathisch. Fabien hätte davon gelebt, dass in ihm doch noch jugendliche Unreife oder etwas Generationelles herrscht, das Nathalie nicht verstehen kann. Fabien ist eben ein junger revolutionärer Idealist und damit bestenfalls ein Klischee eines Spätjugendlichen. Und so findet die einzige Diskussion zwischen Lehrerin und Ex-Schüler auch diesbezüglich statt: Du bist ein junger Idealist, das war ich auch mal. So sehr sich die Figuren unter einander kennen, so wenig meint man, kennt Mia Hansen-Løve die Realität. Lukas Foerster nannte „Die Wilde Zeit“ von Hansen-Løve-Ehemann Olivier Assayas einen eitlen Film und lobte die Figuren von „Things To Come“ als sympathisch. Es ist doch aber genau andersherum. In „Die Wilde Zeit“ wird philosophiert, es wird diskutiert und an den eigenen Figuren gezweifelt. „Things To Come“ hingegen ist eitel, weil er seinen Figuren immer rechtgibt und sich mit Philosophie ausschmückt, ohne sich mit dieser zu beschäftigen.
Philosophie von Außen
Obwohl der Film ununterbrochen mit Levinas, Foucault, Adorno, Schopenhauer usw. um sich wirft, bleiben deren philosophischen Inhalte permanent unausgesprochen. Die Philosophie wird in „Things To Come“ zur Oberfläche, die die Figuren des Films und damit den Film selbst ausschmücken. Weder wird über Philosophie und Politik in diesem Film debattiert, noch debattiert der Film implizit philosophisch oder politisch. Und das ist das Schwierige an „Things To Come“, denn er schneidet ja Themen wie soziale Ungerechtigkeit, politischen Revolutionscharakter, Ständeunterschiede usw. durchaus an. Aber indem der Film die geistige Auseinandersetzung mit der Welt nur zu einem Schmückwerk macht, an dem sich zuschauende Bildungsbürger ergötzen können und sich ganz und gar als Teil der Welt fühlen können, da im Hintergrund riesige Bücherregale an der Wand stehen und große Namen der Geistesgeschichte aufgezählt werden, macht sich der Film selbst zu einem arroganten Elfenbeinturm, in deren oberster Etage nichts außer heißer Luft zu finden ist. Wenn Levinas erwähnt wird, dann nur, weil Nathalie ihn von ihrem getrennten Mann wieder haben will (es hätte auch ein Bibi-Blocksberg-Buch sein können). In der Bibliothek wird fleißiges Namedropping betrieben. Wo ist Foucault? Wo ist Adorno? Und wenn die Enkelkinder Bücher geschenkt bekommen, sind es natürlich Kinderphilosophiebücher über die alten Griechen. Philosophie wird in „Things To Come“ wie eine Variable behandelt. Es gibt im gesamten Film keine einzige Dialogzeile, die wirklich eine philosophische Diskussion aufwirft. Philosophie ist hier ein kaltes, abgeschlossenes Accessoire, das sich die guten Bildungsbürger um den Hals hängen dürfen und die da unten sowieso nie verstehen werden. Dabei hat dieser Film in dieser Hinsicht nichts verstanden.
Angst vor Klischees
Interessanterweise ist der Film damit in demselben Loch bourgeoiser Uninteressantheit gefangen wie der Film „Mia Madre“ von Nanni Moretti (ohnehin sind die Filme mit der alternden, intellektuellen Frau und ihrer persönlichen Problemchen ganz verblüffend ähnliche Filme). Tatsächlich geht es dem Film dann wirklich nur noch um die kleinen Probleme der gutbürgerlichen Protagonisten. Schlecht ist das alles nicht so richtig, auch wenn man Hansen-Løves Angst förmlich spürt, in dramatische Klischees abzudriften. Deswegen gibt es z.B. keine erotische Annäherung zwischen Ex-Schüler und Lehrerin und auch der Ehekonflikt wird nicht gelöst. Dafür bleibt den ganzen Film über eine abgehobene Selbstgefälligkeit, wie schlau doch seine Figuren seien (in der Tat bezeichnen sich die Figuren mehrmals ganz ironielos und selbstverständlich als „Intellektuelle“). Wie viel besser es ein Film machen kann, individuelle Konflikte mit interessanten Figuren, ohne Angst vor Klischees mit einer gesellschaftspolitischen Botschaft unter einen Hut zu bringen, zeigte im selben Berlinale-Wettbewerb André Téchiné mit „Being 17“.
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