Von der Wiederherstellung der Gleichheit.
Originaltitel: Trzy kolory: Biały /Trois couleurs – Blanc
Alternativtitel: Drei Farben — Weiß
Produktionsland: Frankreich / Polen
Veröffentlichungsjahr: 1994
Regie: Kryzstof Kieslowski
Drehbuch: Krzysztof Kieślowski, Krzysztof Piesiewicz
Produktion: Marin Karmitz
Kamera: Edward Kłosiński
Montage: Urszula Lesiak
Musik: Zbigniew Preisner
Darsteller: Zbigniew Zamachowski, Julie Delpy, Janusz Gajos, Jerzy Stuhr, Aleksander Bardini, Grzegorz Warchoł, Cezary Harasimowicz, Jerzy Nowak, Cezary Pazura, Teresa Budzisz-Krzyżanowska
Laufzeit: 91 Minuten
Die Beziehung zwischen den Polen Karol (Zbigniew Zamachowski) und der Französin Dominique (Julie Delpy) hat nie richtig funktioniert. Das Paar trennt sich und die Scheidung wird in die Wege geleitet. Vor Gericht kann Dominique nachweisen, dass die Ehe nie vollzogen wurde. Die Verhandlung endet zu ihren Gunsten und Karlo ist nicht nur allein gelassen, sondern auch noch pleite. Am Rande der Verzweiflung muss er seinen Friseursalon schließen und will nichts weiter, als zurück in seine Heimat. Zusammen mit seinem Freund Mikolaj (Janusz Gajos) heckt er einen Plan aus und will sich in einem Koffer zurück nach Polen schmuggeln lassen. Doch der Koffer wird Mikolaj am Flughafen gestohlen.
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 03.06.2013)
Welch Kehrtwende. Nach „Blau„, einer Depression von einem Film, folgte ein Jahr später mit „Drei Farben – Weiß“ ein Film von triumphalen Optimismus. Dabei stehen die Karten des Protagonisten Karol vom Anfang alles andere als gut; seine Frau verlässt ihn ausgerechnet aus dem demütigenden Grund, dass er sie nicht mehr sexuell befriedigen kann. Was folgt ist ein Gegenschlag aus Stehauf-Trotz, ein Plan inklusive Umsetzung, der Filmgeschichte schrieb. Dennoch: Auch wenn „Weiß“ der wohl zugänglichste ist, so ist er auch der vielleicht schwächste der drei Farben.
Sexuelle und Status-Gleichheit
Weiß ist die Farbe der Gleichheit, die es wiederherzustellen gilt. Kieslowski interpretiert die Gleichheit, ebenso wie die anderen beiden Gründungsprinzipien Frankreichs, am Beispiel eines persönlichen Schicksals. Die Ehe, die in „Blau“ noch eine positive Unfreiheit war, entspricht dieses Mal der Gleichheit. Eine Gleichheit, die das Einzige zu sein scheint, nach dem Karol wirklich strebt. Doch nicht nur der bloße Status des Verheiratetseins ist das Glück Karols, sondern auch eine Ehe auf Augenhöhe zu führen. Dazu gehört der gesellschaftliche Position ebenso wie die sexuelle Souveränität. Zum Anfang des Films verlagert sich in beiden Fällen das Gewicht in Richtung seiner Ex-Frau Dominique. Damit nicht genug, wird er sogar vor anwesendem Scheidungsgericht gedemütigt: „Ich liebe ihn nicht mehr„.
Es ensteht ein Plan, der das Gleichgewicht wiederherstellt; sein gesellschaftlicher Status, seine sexuelle Souveränität und in letzter Konsequenz auch die Auge-um-Auge-Demütigung seiner Ex-Frau, alles fällt in den fiesen Nivellierungsplan Karols. Dass „Weiß“ der wohl polnischste der drei Farbenfilme ist und das Weiß der polnischen Flagge auch für die Sehnsucht nach moralischer Integrität steht, ist ein Augenzwinkern, das wohl von Kieslowski nicht gänzlich unbeabsichtigt gewesen sein dürfte.
Eine Antwort auf „Blau“
Der Film changiert zwischen Katerstimmung und Erheiterung und ist mit seinem letztlich optimistischen Ende durchaus Antwort auf „Blau“: Wäre ein Kampf für die Gleichheit nicht auch als endgültige Lösung gegen die zermürbende Freiheit Julies denkbar gewesen? Sei es ein Kind mit einem anderen Mann oder der Freitod …
Naive Zufälle
„Weiß“ erinnert ein wenig an Kieslowskis zehnte Dekalog-Folge, in der eine Parabel auf den Wert von Besitz und Reichtum in einer gerade zu komödiantischen Spitze gipfelt. Was den Film inhaltlich aufwertet, macht ihn erzählerisch aber zu dem naivsten der drei Trilogie-Teile. Viele Storywendungen, z.B., dass er am Bahnhof direkt einen Landsmann findet, der ihn direkt nach Polen zurückschleust, der ihn direkt mit einer äußerst intimen Geschichte belastet, wirkt beim besten Willen etwas konstruiert. Auch das twistreiche Ende verliert ein bisschen die Glaubwürdigkeit aus den Augen, die eigentlich zu den großen Stärken eines Krzysztof Kieślowskis gehören. „Drei Farben – Weiß“ ist ein Ausbruch aus der Elegie des blauen Vorgängerfilms, die es nochmal spannend macht, wie der polnische Meisterregisseur die Fäden in der roten und letzten Episode der Trilogie zusammenführen wird. Trotz inkohärenterer Erzählweise als in anderen seiner Arbeiten, ein Film mit Charme, mit Überraschung, mit großer Klasse.
75%
Bildrechte aller verlinkten Grafiken: © MK2 Productions / France 3 Cinéma / CAB Productions / Concorde Home Entertainment