Konstruierte Vermenschlichung: Kadelbach macht aus Tätern Opfer.
Originaltitel: Unsere Mütter, Unsere Väter
Alternativtitel: Generation War
Produktionsland: Deutschland
Veröffentlichungsjahr: 2013
Regie: Philipp Kadelbach
Drehbuch: Stefan Kolditz
Produktion: Nico Hofmann
Kamera: David Slama
Montage: Carsten Eder, Tobias Haas, Bernd Schlegel
Musik: Fabian Römer
Darsteller: Tom Schilling, Christiane Paul, Volker Bruch, Ludwig Trepte, Katharina Schüttler, Miriam Stein, Sylvester Groth u.A.
Laufzeit: 3x 90 Minuten
Juni 1941, Tage vor dem Überfall auf die Sowjetunion: In Berlin treffen sich fünf Jugendfreunde, um Abschied zu nehmen: Wilhelm (Volker Bruch), überzeugter Soldat der Wehrmacht, Friedhelm (Tom Schilling), sein weniger überzeugter Bruder, die lebenslustige Greta (Katharina Schüttler), die Nazis für Spießer hält und davon träumt, ein UFA-Star zu werden, die ernste Charlotte (Miriam Stein), die fest an den Nationalsozialismus glaubt und sich zur Krankenschwester ausbilden lässt, um Volk und Führer zu dienen, und schließlich der Jude Viktor (Ludwig Trepte), der verzweifelt seine Eltern zu überzeugen versucht, Deutschland endlich zu verlassen. Sie verleben noch ein paar ausgelassene Stunden, dann treibt das Schicksal sie auseinander: Fünf Freunde und die Verabredung auf ein Wiedersehen. Fünf Menschen am Ende ihrer Jugend und mitten im Krieg. Und ohne eine Vorstellung von dem, was dieser Krieg mit ihnen und der Welt machen wird.
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 23.03.2013)
Alle Jahre wieder gibt es einen öffentlich-rechtlichen Fernsehfilm, der teuer produziert und beworben ist, über den jeder redet und zudem jeder eine Meinung hat. Da fällt ihm der Boykott des Films nicht leicht, unter den vielen unsäglichen TV-Produktionen gibt es ja auch immer wieder ein wenig Licht, das dann umso schöner leuchtet, weil man mit seiner anfänglichen Verrisseinstellung Lügen gestraft wird. „Unsere Mütter, Unsere Väter“ nun behandelt ein schwieriges Thema, das nahezu völliges Neuland in der Filmgeschichte ist. Den unmenschlichen Zweiten Weltkrieg, in seinem unmenschlichsten Kapitel, dem Unternehmen Barbarossa mit einhergehender ethnischer Säuberung aus Sicht der Deutschen zu zeigen. Unmöglich eigentlich, aber auch an der Ostfront für Deutschland haben schließlich Menschen gekämpft; und mehr noch, es waren unsere Mütter und Väter, Großmütter und Großväter, mittlerweile auch schon Urgroßmütter und Urgroßväter. Die ZDF-Produktion zeigt diese als menschliche Wesen, was Stärke und Schwäche des Films zu gleich ist.
Dramaturgische Kompromisse
Der Film handelt von fünf Freunden, die sich schon aus Kindheitstagen kennen und anscheinend unterschiedlicher nicht sein könnten: Der pflichtbewusst-nüchterne Wilhelm und sein emotionaler, Weltverbesserer-Bruder Friedhelm, die zusammen an die Ostfront bestellt werden, die etwas naiv-kindliche Charlotte, die als Krankenschwester ebenfalls an die Ostfront beordert wird und schließlich die Sängerin Greta, die davon träumt ein Star zu werden und dazu ihre Liaison mit dem fünften im Bunde, Victor dem Juden, aufgeben muss. Alle fünf trennen sich am Anfang der Geschichte und ihre Wege kreuzen sich immer mal wieder. Es ist überoffensichtlich, dass die Figuren so angelegt sind, dass jeder Typus, der zu dem NS-Thema beiträgt irgendwie abgedeckt wird. Um die Übersicht für das einfache Fernsehzuschauerfußvolk zu wahren, wird ein sehr komplexes Thema eben zu einem Mikrokosmos zusammengeschmolzen, der nicht mehr viel mit Realismus zu tun hat, streckenweise gar GZSZsche Züge annimmt, immer den Ambitionen der ZDF-Produktion Szene für Szene abarbeitend folgend. Man muss nunmal eine Menge zeigen, den gesamten Ostfrontkrieg, vier Jahre, inklusive Verweise auf den Holocaust. Was soll man da anderes tun als dramaturgische Kompromisse einzugehen?
Diese Frage bleibt offen, eine andere muss gestellt werden. Wäre weniger vielleicht mehr gewesen? Oder hätte man gleich die Courage zeigen müssen eine ganze 10-stündige Miniserie nach Vorbild der großen amerikanischen WW2-Serien zu drehen?
Soldaten als kriegsspielende Halbstarke
Allgemein vermittelt der Film eine merkwürdige Inbalance des Realismusses. Die transportierten Schlachtszenen müssen sich vor internationalen Produktionen kaum verstecken, auch kauft man das Soldatendasein den Schauspielern ab. Allgemein ist der Cast lobend hervorzuheben, die meiste Zeit spielt er waghalsiger gegen das vereinfachte Skript an, als die Soldaten, die sie spielen im Krieg für ihr Vaterland kämpften. Bis auf die Sängerin Greta, der man als Zuschauer selbst in ihrem traurigsten Schicksal am Ende des Films ihre Überheblichkeit und Arroganz nicht mehr verzeihen kann, sind die Schauspieler bis in die Nebenrollen ansehnlich gespielt. Mein persönliches Highlight ist die Krankenschwester Charlotte, der man ihre Wandlung vom naiven Kind zur erwachsenen Frau abnimmt und die in mimisch schwierigen Situation brillieren kann. Christiane Pauls Darstellung als russische Hilfschwester ist zumindest bemerkenswert gut gespielt, auch wenn die Figur narrativ komplett verschenkt ist.
Der deutsche Wehrmachtssoldat allgemein wird zumeist als Spätjugendlicher dargestellt, der mit Worten hantiert, die ihm von der Wiege bis zur Dorfkneipe so eingeflüstert scheinen. Ab und an nehmen diese auch Worte wie „die Überlegenheit der arischen Rasse“ in den Mund, jedoch nicht mit ideologischem Impetus, sondern mit einem unpolitischen Selbstverständnisses, den Stolz und Pathos herauszuposauen, mit dem man aufgewachsen ist. Es sind Männer, die ihr schweres Schicksal des nahenden Todes immer mit einer jugendlichen Lässigkeit begegnen. In den Augen des Rezipienten sind es kriegsspielende Halbstarke, die eben mit echten Gewehren spielen, keine idealistischen Nazis, aber Fußvolk, das nicht in der Lage ist, die Gedankensaat, die sie mit sich tragen zu reflektieren. Diese Darstellung des Soldaten finde ich allgemein sehr gelungen und als größte Stärke des Films zu kennzeichnen, der gesamte Storyverlauf stützt sich jedoch schwierigerweise auf andere, weniger realistischere Figuren, die er uns aber als „Unsere Mütter und Väter“ weismachen möchte.
Und hier wird der Film schwierig.
Schuldabschiebung und Rechtfertigung
Wie platt es auch ausgedrückt sein mag. Ein Film, der dieses tiefschwarze Kapitel Deutschlands aufarbeitet, muss uns zu Geschichtsbewusstsein- und Verantwortung treiben. Kann das geschehen, wenn die Protagonisten des Films ausschließlich als Opfer ihrer Administrative gezeigt werden, nie als Täter? Heldenhaft desertieren oder vom Krieg unlogischerweise vom Hermann Hesse-Leser zur kriegssüchtigen Bestie verwandelt werden? Vom System oder gar vom Feind vergewaltigt werden, obwohl der Film keine Vergewaltigungen an russischen Frauen zeigt und Exekutionen an Unschuldigen mit langen musikalisch untermalten Brimborium uns als alleinige Schuld des oberen NS-Apparates unterjubeln möchte? Beim millionenschweren Budget wäre es angebracht gewesen, uns die Kollektiv“schuld“ bzw. — Verantwortung der Deutschen vor Augen zuführen. Stattdessen wirkt „Unsere Mütter, Unsere Väter“ stellenweise wie eine einzige Rechtfertigung, eine Abschiebung auf die „eigentlich Schuldigen“: die SS und die Nazifunktionäre, die dann auch herrlich eklig-bösewichtartig dargestellt werden. Die beiden Sturmbandführer, die in dem Film porträtiert werden, sind die einzigen Figuren im Film, die keine ambivalente Charakterzeichnung erfahren, die nichtmal ihre Familie lieben dürfen. Natürlich täte man sich damit schwer im Laufzeitraum des Filmes auch noch dem unmenschlichen SS-Apparat psychologisch-nachvollziehbare Profile für ihr Handeln anzulegen, so aber kommt der Film einer Schuldabschiebung gleich, die dem alten Senioren-Publikum des ZDFs gerade recht kommt, die sich damit trösten können, dass ihre Väter ja nur wehrlose Wehrmachtssoldaten ohne Schuld waren.
Handwerklich solide, inhaltlich fatal
Bis auf wenige Logikfehler (z.B. läuft Willhelm auf ein Schlachtfeld um seinen Bruder zu retten, auf dem noch ca. 20-30 russische Soldaten lauern, als er bei seinem Bruder ankommt, der am Boden liegt und kurz vor dem Verbluten ist, scheint aber kein Russe mehr anwesend zu sein, der Wilhelm töten könnte) ist der Film handwerklich solide gemacht, das Schauspiel ist wie oben genannt auch durch die Bank ansehnlich, der Rest des Films versagt aber doch mehr als deutlich. Auch ohne, dass man dem Film sowas wie Geschichtsrevisionismus vorwirft, ist der Film dramaturgisch ein wenig zu sehr dem Spielberg-Herzschmerz-Stil verfallen. Wenn Leutnant Winter aus dem Off mit tief-cooler Stimme seine pseudophilosophischen Kriegserkenntnisse mitteilt, fühlt man sich gar ein wenig an Amateurkriegsfilme von jugendlichen Filmemachern erinnert. Zu Gute halten muss man dem Film, dass der gezeigte Gewaltgrad dem Kriegsthema angemessen hoch ausfällt, auch wenn er deutlich brutaler hätte ausfallen können, wenn man so alles gezeigt hätte, was deutsche Wehrmachtssoldaten mit Partisanen und Gefangenen in Wirklichkeit so trieben.
„Unsere Mütter, Unsere Väter“ ist gerade für eine Fernsehproduktion beeindruckend visuell gestaltet, steht aber in meinem Verdacht mehr oder weniger beabsichtigt mit dem deutschen Schuld-/Verantwortungsbewusstsein für das Dritte Reich und seines Krieges abrechnen zu wollen, Verständnis für die Untaten der (Ur-)Großvätergeneration zeigen zu wollen und der mittlerweile weit im jugendlichen Mund verbreiteten Meinungen „Die haben halt Scheiße gebaut, ich habe damit nichts zu tun“ oder „Die Russen haben dasselbe mit uns gemacht“ Platz zum Wachsen zu bieten. Was beim Film letztlich beim Zuschauer hängen bleibt, ist nicht der Schrecken der Wehrmachtstaten, sondern eine konstruierte Vermenschlichung, die verharmlosend, problematisch, ganz nebenbei auch irgendwie unrealistisch ist.
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