Kein Genre-Messias: Apolitische Unterhaltung mit Schwächen.
Originaltitel: Who Am I — Kein System ist sicher
Produktionsland: Deutschland
Veröffentlichungsjahr: 2014
Regie: Baran bo Odar
Drehbuch: Baran bo Odar
Produktion: Quirin Berg, Max Wiedemann
Kamera: Nikolaus Summerer
Montage: Robert Rzesacz
Musik: Michael Kamm, Jaro Messerschmidt
Darsteller: Tom Schilling, Elyas M’Barek, Wotan Wilke Möhring, Antoine Monot Jr., Hannah Herzsprung, Trine Dyrholm, Stephan Kampwirth, Leonard Carow
Laufzeit: 105 Minuten
Berlin 2014: Der Außenseiter Benjamin (Tom Schilling) ist ein Computer-Hacker. Sein Leben findet in der virtuellen Welt des Netzes statt. Hier lernt er auch den charismatischen Max (Elyas M’Barek) kennen, der ihn mit seinem Kumpel Stephan (Wotan Wilke Möhring) und dem paranoiden Paul (Antoine Monot Jr.) bekannt macht. Die Freunde gründe gemeinsam das Hacker-Kollektiv CLAY (für Clowns Laughing At You), mit dem sie durch Spaß-Aktionen die Aufmerksamkeit der Netzgemeinde auf sich ziehen wollen. Schnell erreicht die Gruppe Kultstatus unter Netzaktivisten. Auch privat scheint es sich für Benjamin endlich zum Guten zu entwickeln, als er die attraktive Marie (Hannah Herzsprung) kennenlernt. Doch dann gehen sie zu weit. Plötzlich finden sie sich auf den Fahndungslisten der Polizei und Geheimdienste wieder, die ihnen die Ermittlerin Hanne Lindberg (Trine Dyrholm) auf die Fährte schicken. Statt ein wenig Ruhm und Anerkennung zu bekommen, gilt Benjamin plötzlich als einer der meistgesuchten Hacker der Welt.
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
Viele Kritiken zu „Who Am I“ fangen an mit „Das deutsche Genrekino galt als tot, aber es lebt dank diesem Film“ oder so ähnlich. Nein, Baran bo Odar hat ganz sicher nicht einen so herausragenden Film gedreht, dass man die Wiederbelebung eines ganzen (und zugegebenermaßen wirklich sehr toten) Genre-Kinos behaupten könnte. Auch dieser Film versammelt Naivität, Vereinfachungen, Drehbuchfehler en masse und ein gerade zu kindlich-bunter Umgang mit seines Sujets, die ihm für eine Genre-Errettung, geschweige mit der Konkurrenzfähigkeit mit Hollywood definitiv disqualifiziert. Aber all diese offenkundigen Schwächen tun dem Film-Spaß, den Baran bo Odars neuester Film mit sich bringt, eigentlich kaum einen Abbruch. Wer eben keinen Genre-Messias erwartet, wird hier unterhaltsame Popcorn-Minuten bekommen. Somit ist „Who Am I“ durchaus besser als man es erwarten konnte.
Hacker sind soziale Superhelden
Hacker sind in „Who Am I“ Superhelden mit magischen Fähigkeiten, die nicht nachts vor ihrem grauen Computer sitzen und Zahlenreihen durchspielen, sondern ausschließlich Social Engineering betreiben. Wäre ja langweilig, wenn Odars Superhelden nur im virtuellen Raum in Erscheinung träten, aber auch für die Visualisierung der Virtualität hat er sich etwas ausgedacht: Der Cyberspace ist ein düsterer U-Bahn-Wagon, in der Teilnehmer als vermummte Personalisierungen mit verzerrter Stimme herumlaufen. Das kann man unglaublich blöd finden, aber im Grunde scheint es mir eine gar nicht abwegige Veranschaulichung des Internets im Allgemeinen oder des Darknets im Speziellen zu sein und der finstere U-Bahn-Wagon symbolisiert das Internet als ein Ort ständiger Öffentlichkeit, nur eben unter anderen, parallel-universellen Vorzeichen.
Die Avenger-Crew des Hackens
Das Superheldenmotiv wird auch auf die Figuren überstülpt und hier muss der Film schon deutlichere Kompromisse eingehen. Super-Nerd (Antoine Monot Jr.), abgefucktes Superbrain auf Drogen (Wotan Wilke Möhring) und Good-looking Aufreißertyp (Elyas M’Barek) formieren sich um den Protagonisten Benjamin tatsächlich wie eine Gruppe von Superhelden mit eigenen Spezialfähigkeiten und stilisierenden Masken. Es ist schwer zu sagen, ob man sich an dieser jugendlichen Superheld-Motivik stören soll und sich darüber mokieren soll, dass ein derart aktuelles, seriöses Thema so knallebunt tapeziert wird, oder aber ob die Pointe, dass Hacker tatsächlich so etwas wie Superhelden sind, weil sie auf Fähigkeiten einer uns „normalen“ Menschen unerreichbaren und unverstehbaren Ebene zurückgreifen können, sowie in der Welt des 21. Jahrhunderts tatsächlich die Rolle einsamer Rächer und (oft) nicht-staatlich organisierter Polizei-Ersätze einnehmen.
Aber Bullshit bleibt natürlich trotzdem, dass Benjamin seinen ersten Hackerfreund Max ausgerechnet beim MÜLLSAMMELN kennenlernt. So abwegig die Twists auch noch werden, die „Who Am I“ im Minutentakt auffährt, diese Exposition ist selbst für einen Film für Unter-Fünfzehnjährige, also das Hauptpublikum dieses Films, zu bescheuert, um sie wirklich ernst zu meinen. Die späteren Twists ironisiert Odar immerhin so sehr, dass man sie verzeihen kann.
Unpolitisch wie sein angepeiltes Publikum
Was aber definitiv fehlt, um „Who Am I“ über seinen Entertainment für junge Leute ernst zu nehmen, sind sträflichst vernachlässigte politische Statements, die bei einem solchen Zeitgeist-Thema einfach Pflicht sind. Wer sind hier die Bösewichte? „Die russische Cybermafia“, ahja, da steckt aber noch sehr viel Kalter-Krieg-Gedanke da hinter, wie selbstverständlich hier die Russen wieder die Bösewichte sind. Und mit beigefügter Mafia-Etikettierung muss sich der Film nicht einmal mit seinem Klischeebild aus Bond-Filmen (die ja durchaus politisch aufgeladen waren) politisch rechtfertigen, sondern kann und muss vollständig als apolitischer Unterhaltungsfilm konsumiert werden. Der Angriff auf den Bundesnachrichtendienst oder EUROPOL dient ja eher, die Zauberkräfte der Hacker unter Beweis zu stellen und nicht konkreten politischen Statements. Ein anarchisch-unreifer Gestus, Hauptsache irgendwie politisch, hätte durchaus im positiven Sinne zu dem Charme des Films gepasst.
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