Herzog meets Büchner: Schlichter Crossover aus Film und Theater.
Originaltitel: Woyzeck
Produktionsland: Deutschland
Veröffentlichungsjahr: 1979
Regie: Werner Herzog
Drehbuch: Werner Herzog nach Georg Büchners „Woyzeck“
Produktion: Werner Herzog
Kamera: Jörg Schmidt-Reitwein
Montage: Beate Mainka-Jellinghaus
Musik: Fiedelquartett Telč, Antonio Vivaldi, Alessandro Marcello
Darsteller: Klaus Kinski, Josef Bierbichler, Willy Semmelrogge, Wolfgang Reichmann, Eva Mattes
Laufzeit: 77 Minuten
Eine kleine Garnisonsstadt Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Offiziersbursche Woyzeck (genial verkörpert von Klaus Kinski) verdient mit allerlei Nebentätigkeiten etwas Geld, um Marie und sein uneheliches Kind zu ernähren. Doch dann betrügt ihn Marie mit einem Major. Woyzecks Eifersucht und Verzweiflung sind grenzenlos.
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Schulhausaufgabe, sowie als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 22.01.2012)
Die Aufbereitung literarischer Vorlagen ist für einen Filmschaffenden immer ein schwieriges Unterfangen. Es gilt dem Werk des Literaten gerecht zu werden und dennoch eine eigene künstlerische Note zu bewahren. Schon beim Verarbeiten eines modernen Romans etwa führt dies zwangsläufig dazu, dass der Film der literarischen Vorlage in seiner Dimension nicht gerecht wird und kritische Stimmen verursacht. Bei der Verfilmung weltliterarischer Stoffe ist es daher nahezu unmöglich eine würdige Umsetzung zu schaffen. Dementsprechend wenige und kommerziell erfolglose Versuche die vielseitige deutschsprachige Literatur in Filmform zu transportieren, gab es. Und selbst jene Filme, die von Kritiker- und Publikumsschelte weitestgehend verschont blieben, werden bis heute kontrovers diskutiert. Neben Rainer Werner Fassbinders „Effie Briest“ ist vor allem Werner Herzogs „Woyzeck“ zu nennen.
Physische wie psychische Geschundenheit
Titelgebender Protagonist des Films, ist Franz Woyzeck. Ein einfacher Soldat aus der Unterschicht. Neben seinem Beruf als Stadtsoldat, muss er noch diversen bezahlten Nebentätigkeiten nachgehen, um seine Freundin Marie und ihr uneheliches Kind ernähren zu können. Dabei ist er dauerhaft Schikane und Demütigung seitens seiner Vorgesetzten ausgesetzt, die ihn an physische wie psychische Grenzen gelangen lassen. Marie, der er sein gesamtes verdientes Geld gibt, hat derweil eine Affäre mit dem gutaussehenden Tambourmajor. Als Woyzeck davon erfährt, ist seine Psyche bereits in einem so fatalen Zustand, dass die Tragödie nicht mehr aufzuhalten ist …
Herzogs Respekt vor Georg Büchner
Bei der literarischen Vorlage handelt es sich um ein Dramenfragment von Georg Büchner. Nicht nur die Unterschicht als Protagonisten war in Büchners gesellschaftskritischem Stoff damals revolutionär, auch die sehr offene Form des Dramas, die mit realistischer Sprache, schnellen Szenenwechseln, vielen Nebenfiguren und Draußenarealen als Szenenort dem modernen Film, wie wir ihn heute kennen bereits sehr nahe kam. Für Werner Herzog war es eine Herzensangelegenheit Büchners Werk in Filmform zu bringen. „Georg Büchners ‚Woyzeck‘ ist das Beste, was in unserer Sprache je geschrieben wurde. Der Stoff hat nie seine Aktualität verloren“ lässt sich Herzog zitieren. Genauso respektvoll wie seine Meinung über Büchners Fragment, ist auch die Inszenierung Woyzecks im Film gehalten. Das Script ist – wenn man wenige Kürzungen außer Acht lässt – mit dem Originalfragment inhaltsgleich, d.h. Herzog verzichtet vollkommen auf eine modernisierte Sprache oder veränderte historische Hintergründe. Aufgrund der schon von Herzog angesprochenen zeitlosen Aktualität Woyzecks, wäre dies möglich gewesen ohne intentionale Unterschiede in Kauf nehmen zu müssen.
Reines Zitieren der Dramenfragmente
So muss sich Herzogs Film den Vorwurf gefallen lassen, der literarischen Vorlage keine neuen Facetten hinzuzufügen. Über bloßes Zitieren des Dramenfragments kommt der Münchner Regisseur nämlich in den allerseltensten Momenten hinaus. Aber das muss er auch nicht, denn wenn man „Woyzeck“ als 1zu1-Adaption begreift, bleibt kaum Angriffsfläche für Kritik. Seine Schauspielerriege um Enfant Terrible Klaus Kinski versteht es tatsächlich, die altertümliche und zudem noch mit hessischem Dialekt versehene Sprache glaubwürdig rüberzubringen. Neben Kinski brilliert im Cast vor allem Eva Mattes als Marie, die ihre Figur proletarisch-dümmlich gibt und somit geradezu hilflos in das Fiasko laufen lässt. Herzog setzt seine Figuren absichtlich so in Szene, dass sie weder Sympathien noch Antipathien beim Zuschauer auslösen, sodass man sie als neutraler Beobachter ihrem tragischen Schicksal entgegen gehen sieht. Nicht anders hätte es wohl Georg Büchner gewollt. Weniger einverstanden wäre Büchner aber mit der Besetzung des Stadtsoldaten Andres, dem einzigen Freund Woyzecks, gewesen: Herzog besetzte ihn mit dem gänzlich unbekannten Darsteller Paul Burian, der nicht überzeugen kann und seiner Figur eher idiotische Züge verleiht. Szenen, in denen Woyzeck und Andres agieren, stellen nicht das Elend ihres sozialen Standes heraus, sondern sind eher unfreiwillig komisch. Glücklicherweise sind besagte Szenen für den Stände-Konflikt und den psychischen Downfall Woyzecks eher irrelevant und fallen so weniger ins Gewicht. Alles in allem ist sowohl Schauspiel als auch das Casting aber als großartig zu bezeichnen und eine entscheidende Stütze für das Gelingen dieser Woyzeck-Verfilmung.
Der Mord wie im bürgerlichen Gusto (SPOILER)
Es sind einfache Kniffe, die Herzogs Film so großartig machen. Herzog verzichtet zum Beispiel darauf, die Möglichkeiten des Mediums Film vollständig auszureizen und setzt auf lange, schnittfreie Szenen um so eine Vergleichbarkeit zum Theaterstück zu gewährleisten. Genial ist auch die vielfach diskutierte, finale Tötungsszene. Die Musik ist nicht zufällig gewählt, fast schon zelebrierend untermalt sie den Mord, als wäre er die logische und überfällige Konsequenz der vorhergegangen Demütigungen. Auch interessant ist, dass der Film nur in der ersten und in der Mordszene Musik verwendet. Letztere Szene, indem Woyzeck endlich die Exekutive darstellt, ist auch das exakte Gegenteil der ersten Szene, in der Woyzeck noch vom militärischen Vorgesetzten zu Boden gedrückt wurde. Besonders raffiniert ist auch die letzte Szene.
Der Zuschauer sieht aus der Entfernung wie gut gekleidete Bürger unerschrocken den Tatort untersuchen, dazu wird zynisch „Ein guter Mord, ein ächter Mord, ein schöner Mord; so schön, als man ihn nur verlangen tun kann. Wir haben schon lange so keinen gehabt.“ eingeblendet. Natürlich ist dem Zuschauer klar, dass die gut gekleideten Bürger Polizeibeamte und Ärzte darstellen. Sie werden Woyzeck als Täter identifizieren, überführen und ihn schließlich zu einer Gefängnisstrafe respektive Todesstrafe verurteilen. Somit wird der Mord als sinnlose Verzweiflungstat entlarvt und verdeutlicht die Unfähigkeit Woyzecks als Mitglied des Proletariats den Demütigungen der Obrigkeit zu entkommen. Die zynische Einblendung verdeutlicht die absolute Überlegenheit der gebildeten Bürger, die sich an diesem Mord — ihrer Überlegenheit bewusst — noch erfreuen kann.
Herzog kopiert den Stil Büchners und übersetzt ihn gekonnt ins Film-Zeitalter. Wer mit der gemächlichen, viel im Kopf des Zuschauers stattfindenden Erzählweise nichts anfangen kann, wird diesen Film möglicherweise langweilig finden, für alle anderen ist er zu empfehlen. „Woyzeck“ funktioniert als schlichter Crossover zwischen Film und Theater, der sich vor Büchner verbeugt ohne sich dabei lächerlich zu machen.
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