Der ewige Ewigkeitsanspruch der E-Kultur.
Originaltitel: La Giovinezza
Alternativtitel: Ewige Jugend
Produktionsland: Italien, Schweiz, Frankreich, Großbritannien
Veröffentlichungsjahr: 2015
Regie: Paolo Sorrentino
Drehbuch: Paolo Sorrentino
Produktion: Nicola Giuliano, Francesca Cima, Carlotta Calori
Kamera: Luca Bigazzi
Montage: Cristiano Travaglioli
Musik: David Lang
Darsteller: Michael Caine, Harvey Keitel, Rachel Weisz, Paul Dano, Jane Fonda, Roly Serrano, Alex Macqueen, Luna Zimic Mijovic, Robert Seethaler, Tom Lipinski, Chloe Pirrie, Alex Beckett, Nate Dern, Mark Gessner, Ed Stoppard, Paloma Faith, Mark Kozelek, Madalina Diana Ghenea
Laufzeit: 124 Minuten
Fred Ballinger (Michael Caine) und Mick Boyle (Harvey Keitel) kennen sich schon eine Ewigkeit und verbringen nun einen gemeinsamen Urlaub in einem Schweizer Edelhotel am Fuß der Alpen. Fred war einst Komponist und Dirigent, genießt mittlerweile den verdienten Ruhestand und will sich auch von einem aufdringlichen Botschafter der Königin Elizabeth II nicht überreden lassen, sein bekanntestes Stück noch einmal zu dirigieren. Mick hingegen ist Regisseur und möchte noch einen letzten großen Film auf die Kinoleinwand bringen, weshalb er auch während der Ferienzeit unermüdlich an seinem Drehbuch schreibt. In ihrem Ressort sinnieren die beiden alten Freunde über das Leben, die Schönheit, Träume und das Alter, lassen sich verwöhnen und beobachten das Treiben der anderen Hotelgäste, wie das von Freds Tochter Lena (Rachel Weisz) oder die Bemühungen des jungen Schauspielers Jimmy Tree (Paul Dano).
Quelle: moviepilot.de
Replik:
Der Europäische Filmpreis ging 2015 zum zweiten Mal an Paolo Sorrentino. Nun ist der Europäische Filmpreis auch eine Institution, die ihre Lieblinge zu haben scheint (Lars von Trier, Michael Haneke, Ken Loach und den eigentlich ziemlich unbekannten Italiener Gianni Amelio, der sogar der Rekordhalter des Preises mit drei Trophäen ist), die Auszeichnung von „Ewige Jugend“ muss aber auch in einem anderen Licht betrachtet werden. Sorrentinos erster Film nach seinem Sensationshit „La Grande Bellezza“ ist nämlich ein höchstästhetizistischer und höchstbourgeoiser Film voller Selbstgefälligkeiten, an denen man sich natürlich zu einem bestimmten Maß in Einlullung ergötzen kann, der aber genaugenommen wesentlich substanzloser daherkommt als es ein Preisträger eines solchen Wettbewerbs sein sollte.
Nichts Neues in den Schweizer Alpen
Das Sujet, in das uns „Ewige Jugend“ versetzt, ist keineswegs neu. Hier werden Thomas-Mannsche Motive des alternden Künstlers im Urlaub („Tod in Venedig“) im Verbund mit filmkünstlerischer Selbstreferenz á la „Die Wolken von Sils Maria“ (der ebenfalls in der Schweiz angesiedelt ist) und — wie kann es anders bei Sorrentino sein? — Fellini, insbesondere seinem großen Werkes „Achteinhalb“, verarbeitet. Das Besondere an der Figurenkonstellation ist vielleicht noch, dass der Film sowohl den alternden Künstler, in diesem Falle der Komponist Fred Ballinger, als auch den Regisseur in der Schaffenskrise (direkt aus „Achteinhalb“) übernimmt und miteinander interagieren lässt. In diesem bildungsbürgerlichen, aber doch ziemlich leichtfüßigen Humor liegen auch die stärksten und ehrlichsten Momente von „Ewige Jugend“. Das Drehbuch ist zumindest auf Dialog-Ebene auf der Höhe seines hochrangingen internationalen Casts, bei dem die Schauspielführung ein relativer Selbstläufer gewesen sein dürfte. Vor allem da Harvey Keitel und Michael Caine sich hier mehr oder weniger selbst spielen durften und die meiste Zeit mit Flanieren, Amüsieren und Resümieren beschäftigt sind.
Familie, Figuren, Drehbuchballast
Die Figurenkonstellation wird aber auf einen Familienkonflikt ausgeweitet, den „Ewige Jugend“ eigentlich zu keinem Zeitpunkt wirklich ernsthaft angeht. Das Potenzial einer Konfliktsituation der von Rachel Weisz performten Komponistentochter, deren Vater nur für die Musik lebt und der kaum Empathievermögen und „Vater-Talent“ zu haben scheint, sowie das Verhältnis zur mittlerweile invaliden Mutter, einst Sopranisten ihres großen Mannes, wird nur in zwei drei Szenen ausgespielt, die wie Alibi-Momente daherkommen, in einem Drehbuch, das sich in das eigene Vor-sich-hin-Plätschern verliebt zu haben scheint. Eine weitere Komponente, nämlich die Tatsache, dass die Tochter vom Komponisten und der Sohn des Regisseurs miteinander in einer Beziehung befinden, die sich dank einer Affäre zur real existierenden Sängerin Palomo Faith auflöst, kommt über den erzählerischen Gehalt dieses Filmkritik-Beschreibungssatzes nicht hinaus. Das ist Drehbuch-Ballast, auch wenn der vielen Zuschauern vielleicht gar nicht so sehr sauer aufstoßen wird, da sich Sorrentino hinter einer hauseigenen Stärke verschanzen kann: seiner geleckten Optik.
Schön darf schön, reich darf reich sein
Tatsächlich ist „Ewige Jugend“ sowohl ein schöner als auch ein durchaus originär schöner Film, der Momente großer kinematografischer Vollkommenheit beherbergt. Aber damit ist der Film selbst nicht besser als das Luxus-Hotel in den Schweizer Bergen, von dem es handelt. Ein bourgeoiser Rückzugsort, in dem das Schöne schön und das Reiche reich sein darf. In dem Kunst Kunst sein darf, ohne sich moralisch, politisch oder in sonst einer Hinsicht rechtfertigen muss. Und nichts Anderes will Sorrentino in seinem Film auch erreichen. Man kann das zu einem gewissen Punkt durchaus legitim finden, dass „Ewige Jugend“ l’art pour l’art ist und sein will, aber er bringt eben auch rein gar nichts damit voran. Die Filmhandlung als ganzdramatisches Konstrukt ist ein reichlich laues Lüftchen, Thomas Mann mit mehr Humor meinetwegen. Wobei man auch sagen muss, dass vom gelobten Humor auch manchmal Momente irritierender Albernheit dabei sind. Z.B. wenn ein Diego-Maradona-Double in diesem Film eine eigene Einstellung mit einer Länge von sicherlich einer knappen Minute bekommt, um computeranimierte Tennis-Bälle in die Luft zu kicken. Und warum dieser Maradona-Verschnitt im Film ein Karl-Marx-Porträt auf dem Rücken tätowiert hat, ist auch nicht gänzlich aufzuklären. Ist das ein Kommentar auf irgendwas oder einfach bürgerliches Name-Dropping in (schöne) Bilder verpackt?
Ein Miniatur-Europa
Was diesen Film für den Europäischen Filmpreis interessant gemacht haben könnte, ist, dass der Film als eine Art Miniatur-Europa, bzw. der westlichen Welt an sich interpretierbar ist. Hierfür ist der Handlungsort der Schweiz als neutrale Instanz in Zentraleuropa nicht zufällig gewählt worden. Auch treffen hier Menschen verschiedenster westlicher Nationalitäten auf einander. Die zentrale Beobachtung des Films ist aber die Kollision von Alter und Erotik. Der Westen altert und gleichzeitig gibt er noch immer den Ton an, was globale Ideale angeht. Insbesondere Schönheitsideale, welche wir an der Figur der „Miss Universe“ betrachten können, ohne dass der Film hier auch nur annähernd so erotisch wird, wie er sich in Postern und Trailern zuvor angepriesen hatte. Das Schweizer Luxushotel jedenfalls ist ein wenig wie eine Vision eines Europas, das altert, aber immer noch kulturell den Ton angibt (und auch einfach nicht sterben will, es sei denn es begeht Selbstmord). Das sind aber Beobachtungen, die man dem Film nur mit sehr viel Wohlwollen als gewollte Intention auslegen kann, denn der Alter-Erotik-Choc dient doch vielmehr Momenten einer Altherrenkomik und einer mitschwingenden Dekadenz, die nie gebrochen wird.
„Ewige Jugend“ ist ein Film, dessen einziges wirkliches Statement zu sein scheint, dass bürgerlicher Genie-Kult den Stellenwert verdient, den er sich für sich beansprucht. Hier steht bürgerliche, ästhetizistische und inhaltsleere (zum einen der Film des Regisseurs, dessen Drehbuch unerklärt bleibt, zum anderen die Musik, die per se nahezu untextuell ist und hier auch schlichtweg „Simple Songs“ genannt wird) Kunst über dem Tod, über dem Verfall und über allen Problemen der Welt, die erst gar nicht in das Luxus-Hotel des Films schwappen. „Ewige Jugend“ interessiert sich in seiner Arroganz nur für sich selbst. Das zwar auf vergnügsame Weise, aber mehr Substanz als ein ewiger Ewigkeits-Anspruch von E-Kultur bleibt zwischen seinen Hochglanz-Ästhetiken nicht hängen.
56%
Bildrechte aller verlinkten Grafiken: © Indigo Film / Wild Bunch
Ich konnte dem Film gleich fünf Punkte mehr abgewinnen. Ein paar Gedanken von dir fand ich ganz interessant, z. B. die Schweiz als neutrale Zone und der Luxustempel als Metapher für Europa. Ich habe mir zu diesem Film ganz eindeutig weniger Gedanken gemacht, vielleicht gefällt er mir deshalb auch besser. ;-) Man kann einen Film auch kaputtschwafeln. Ich war völlig hin und weg von der „geleckten Optik“, vom fantastischen Cast (jeder, auch die Nebenrolle, darf einen Glanzmoment spielen) und diesen Altherrenhumor, den es heutzutage gar nicht mehr gibt – zumindest nicht im Fernsehen oder auf der großen Leinwand.
Hier meine ausführliche Review: https://filmkompass.wordpress.com/2015/12/12/la-giovinezza-2015/