Das Kühle, zwischen Wahrheit und Lüge.
Originaltitel: 지금은맞고그때는틀리다 (Jigeumeun matgo geuttaeneun tteullida)
Produktionsland: Südkorea
Veröffentlichungsjahr: 2015
Regie: Hong Sang-Soo
Drehbuch: Hong Sang-Soo
Produktion: Kim Kyoung-hee
Kamera: Park Hong-yeol
Montage: Hahm Sung-won
Musik: Jeong Yong-jin
Darsteller: Jung Jae-young, Kim Min-hee, Youn Yuh-jung, Gi Ju-bong, Choi Hwa-jeong, Yoo Jun-sang, Seo Young-hwa, Go Ah-sung
Laufzeit: 121 Minuten
An arthouse film director and an aspiring painter meet and spend the same day together, twice.
Quelle: wikipedia.org
Replik:
Dies ist meine erste Begegnung mit Hong-Sang-Soo. Da ich kaum etwas über diesen Autorenfilmer weiß, möchte ich direkt zu übergehen, seinen Film „Right Now, Wrong Then“ mit den gegenüber seiner Kunst frisch entjungferten Augen zu beschreiben. Vielleicht kommt angesichts dem Ruf Sang-Soos, immer wieder ähnliche Filme zu machen, ein Meister der kleinen Variation zu sein, ein gar nicht so wenig aussagekräftiger Text über den Regisseur zu Stande.
(Paar „Spoiler“ sind schon drin)
Ein Schauspiel-Experiment
„Right Now, Wrong Then“ beginnt mit der Einblendung „Right Then, Wrong Now„. Erst nach genau einer Stunde wird dieses Missverständnis aufgelöst, dann nämlich erzählt der Film dieselbe Geschichte, ein Aufeinandertreffen eines Arthouse-Regisseurs mit einer jungen Malerin, noch einmal. Aber anders. Er variiert kleine Momente des Schauspiels und schon ergeben sich ganz andere dramatische Abläufe. Der Film mutet wie ein Schauspiel-Versuch an: Was passiert, wenn ich zwei mal dieselbe Szene improvisiere? Was verändert sich? Hier erinnert Hong Sang-Soo an die Arbeit Uli Seidls, der ebenso die Paradies-Trilogie ohne festes Drehbuch angefertigt hat und die Geschichte am Set durch die Improvisationen des Schauspiels entwickelte. Man weiß nicht genau, ob diese Vermutung stimmt, sie liegt aber sehr nahe. Und damit ist Sang-Soos Film natürlich vor allen Dingen ein Film, der sich als Medium selbst thematisiert. Schauspiel ist hier tatsächlich Schauspiel. Und die Kamera irritiert fleißig mit Zoom-Ins und Zoom-Outs, ein Gefühl des Mittendrins und der emotionalen Teilhabe verhindert der Regisseur nicht unbedingt, aber er schmälert sie wissentlich.
Das Große und das Kleine
Das Medienimmanente geht in der Handlung des Films weiter. Beide Figuren sind Kunstschaffende, der Protagonist sogar ein Arthouse-Regisseur mit spärlichem Erfolg beim heimischen Publikum, sprich: ein eindeutiger Alter Ego von Hong Sang-Soo. Und das Kernthema dieses Films ist Wahrheit. Einen ähnlichen Film könnte man sich auch von Godard vorstellen. Wahrheit oder Lüge nicht nur auf Handlungsebene, sondern auch auf der medialen Eigenebene in stetiger Diskussion mit einem Zuschauer, der vom Film ins Boot geholt wird. Manchmal muss dieser sich durch kleinere Längen kämpfen, etwa wenn zweimal dieselbe Szene abläuft und die Variationen kaum zu bemerken sind, aber gerade der déjà-vu-hafte zweite Teil des Films verstellt auch den Zuschauerblickwinkel ganz bewusst und konfrontiert ihn mit neuen Aufgaben.
Metaphorisch fängt er das perfekt in der Szene auf, in der die junge Malerin dem Protagonisten-Regisseur ihr Atelier zeigt. Zunächst ist die statische Kamera (die pro Szene eine einzige Einstellung bleibt) auf das Bild selbst gerichtet, im zweiten Anlauf auf die Betrachter des Bildes. Auch die Figuren des Films werden hier zu Rezipienten. Ein Verweis darauf, dass das Gezeigte immer eine medienphilosophische, aber auch kommunikationsphilosophische Versuchsanordnung bleibt. Denn das Kleine der Sprache, Mimik und Gestik bewegt hier das Große. Wo sich (große) Geschichte der berühmten Weisheit nach immer wiederholt, wie unterschiedlich die Ausgangslagen auch sein mögen, so scheint sich die kleine Geschichte (im Sinne von medialer Narration, aber auch im Sinne von Alltagsrealität) niemals gleich zu wiederholen. Das Große verändert sich nie, das Kleine verändert sich immer. Und erzählen wir nicht deswegen auch immer wieder Geschichten über dieselben großen Themen auf völlig unterschiedliche kleine Weisen?
Triumph der Wahrheit
Und das tut schließlich auch dieser Film immer noch. Hinter all der Selbstreflexion des Mediums und vielleicht auch der Person Hong Sang-Soo selbst (das weiß ich nicht), steckt dann immer noch eine wunderbare, rührend profane Geschichte der Zwischenmenschlichkeit und vor allem, wie bereits geschrieben, eine der Wahrheit und der Lüge. Es hat schon eine religiöse oder mindestens moralistische Komponente, wenn Hong Sang-Soo seinen Alter Ego am Ende des zweiten Aktes mit der Wahrheit triumphieren lässt, auch wenn er sich im Grunde weitaus peinlicher und unvernünftiger benimmnt als noch in der ersten Hälfte. Das gipfelt dann in der schönsten Szene des ganzen Films als die junge Frau von ihrer Mutter per Anruf erfährt, dass der Regisseur in ihrer Abwesenheit vor ihren Freundinnen entblößt hat. Was man als peinlich, geisteskrank, sexuell anstößig oder sogar innerhalb einer Eifersucht als Seitensprung-Versuch ansehen könnte. Kaum ein Mensch würde wohl so reagieren wie es aber die junge Frau tut als sie von diesem Vorfall erfährt. Sie lacht, weil sie es verrückt und sympathisch findet. Vielleicht verliebt sie sich sogar (erst jetzt) in den Regisseur. Ein kleiner Zufall, der nur die Wahrheit erzeugen kann. So philosophiert hier Sang-Soo.
Das Kühle (typisch Korea?)
Aber zum Kuss (auf den Mund) kommt es doch nicht. Zum Sex schon gar nicht. Geschweige denn zur Beziehung. Die Figuren bleiben sich in guter Erinnerung, aber trennen sich schließlich. Es ist auch das Kühle, was den Film „Right Now, Wrong Then“ auszeichnet. Keine Unterkühlung, sondern eher eine erfrischende Relativierung der sonst doch sehr dominanten Herzlichkeit des Films, samt seines Humors. Und dieses Kühle ist nicht nur als Cadrage-Mittel ein ständiger Begleiter der Dramaturgie (kaum ein Film macht Draußen-Rauchen zu so einem Universum wie „Right Now, Wrong Then“), sondern auch durch die Mentaliät der Koreaner, die hier mitproträtiert wird. Anstößiges Verhalten, derber Humor, Peinlichkeiten und das dionysische Rauschleben wird hier doch sehr gefasst aufgenommen, erzeugt somit keine Überreaktionen und gestaltet die feine Dramatik des Films damit doch entscheidend mit. Das Kühle trägt zu einem unspektakulärem und doch äußerst memorablen Ende bei, wenn die junge Frau sich im Kino sitzend entschließt, von nun an alle Filme von diesem Regisseur anzusehen, von dem sie bisher noch gar keinen Film kannte. Das werde ich jetzt auch tun.
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