Sturzrevue & Kurzreplik — März ’24
G E S E H E N :
„Ferrari“ (Michael Mann, 2023): Tatsächlich mein erster Michael-Mann-Film. In jedem Fall elegant inszeniertes Auto(ren)kino, dessen Pinselstriche im Bereich der Charakterzeichnung und dem wuchtigen Gekleckse der „Action“, also des Rennfahrens, ein Fresko des Nachkriegskapitalismus ergibt. „Ferrari“ verfällt nie in die Logik eines Sportfilms, im Grunde bleiben Kontext der jeweiligen Rennen als Sportereignisse immer recht unklar und betont unübersichtlich. Mann scheint es um etwas anderes zu gehen, wobei zwischen dem ulkigen Italo-Englisch von Driver und Cruz und den saftigen Motorengeräuschen ohnehin genug Projektionsfläche für allerlei bleibt. Mann hegt eine Zwischenform von Kritik und Faszination für machoides Draufgängertum, schöne konservativ gekleidete Herren und die Marke Ferrari als solches. Am ehesten verstehe ich „Ferrari“ aber als Porträt eines Zeitgeistes der 50er Jahre, in der noch vorbehaltslos das Höher, Schneller, Weiter des amerikanischen Kapitalismus über den alten Kontinent Europa hereinbrach und in heute unvorstellbarer Kompromisslosigkeit zelebriert wurde; in Schönheit und Wahnsinn. Der Pfarrer in der Kirche vergleicht die Autobauer mit der Jesus-Gesellschaft und das Sterben für die Leidenschaft, für die Auto-Marke, scheint hier noch ein gesellschaftlich affirmiertes Opfer, ja, ein Kreuzestod zu sein. Aber das Ende dessen zeichnet sich ab und Mann filmt auch diese Zwischentöne des sich anbahnenden Paradigmenwechsel in Zärtlichkeit und Wehmut gleichermaßen.
„Joyland“ (Saim Sadiq, 2022): Am Anfang ist „Joyland“ noch sehr brav um das homosexuelle Geheimnis der Hauptfigur organisiert und das Figurenensemble als diskursives Koordinatensystem angelegt. Die Handlung die bis dahin sehr vorhersehbar ist und ein paar talking points abklappert, bekommt am Ende ein paar überraschende Turns in Form von Bitterkeit, die der Film dringend braucht. Saim Sadiq beweist recht spät, aber dafür entschlossen, dass er der aus den Traditionen ausbrechenden Hauptfigur auch Egoismus und blinde Flecken zutraut und vereitelt damit, dass sich „Joyland“ in eine Reihe von westlich-koproduziertem Empowermentkitsch einreiht. Trotzdem leidet der Film daran, dass die Figuren nicht sehr lebendig sind und der Mikrokosmos Familie nicht besonders tiefgehend ausgearbeitet ist, weil die Charaktere doch über das Gros der Handlung hinweg rein schematisch angelegte Bedeutungsträger sind. Die viel gelobte Kameraarbeit ist mit ihren komponierten Tableaus und Unschärfen zwar hübsch, aber ästhetisch auch weitestgehend belanglos.
„The Swamp“ (Lucrecia Martel, 2001): Alles schwirrt, surrt, brummt, ist ein bisschen zu viel. Martel spricht bereits in ihrem ersten Spielfilm ihre eigene Filmsprache. Eine Sprache des Überbordernden, Überfordernden. Auf der Tonebene findet immer irgendetwas statt, das Schweiß treibt, stresst, ein stetiges Unbehagen vorbereitet. Die Bilder sind meistens ein bisschen überfüllt, Körper sind abgeschnitten, überall wuselt es an Körpern, die Martel durchaus mit einem erotischen Gestus zeigt, ohne sie aber auszustellen. Erst nach einer Weile gelingt es dem (martel-naiven) Zuschauer in dem Handlungsteppich Fragmente auszumachen, denen man wirklich folgen kann und ehe man sich versieht, hat man doch irgendwie einiges rückwirkend verstanden, so als würde man langsam in dieser Welt großwerden.
„Rickerl“ (Adrian Goiginger, 2023): Man wird das über „Rickerl“ selten lesen, aber er ist ein, ja, wichtiger Film. Mehr dazu in der Kurzreplik.
„All Of Us Are Strangers“ (Andrew Haigh, 2023): Andrew Haighs neuer Film verbindet bereits etablierte Elemente seiner bisherigen Filme (das Queersein, das dialogische Aufeinandertreffen zweier Menschen) mit einer Bild-und-Ton-Ebene, die sich einem rein denotativen Realismus entsagt. Der homosexueller Drehbuchautor Adam, verarbeitet das Verhältnis zu seinen Eltern, das er eigentlich nie gehabt hat, da diese bei einem Autounfall ums Leben kamen, als er zwölf Jahre alt war. Damit erzeugt „All Of Us Are Strangers“ ein konjunktives Realitätsystem in einem permanenten Zwischenstadium aus Gegenwart, Vergangenheit, Erinnerung, Schöpfung, Angst und Begehren. Interessanterweise macht das Haighs Film gleichzeitig zu einer Art Mystery-Film als auch zu einem Essay-Film über Homosexualität, da es ihm gelingt, auch den Diskurs über Homosexualität in der Gesellschaft zwischen Vergangenheit und Gegenwart in Dialog miteinanderzusetzen und dessen Paradigmenwechsel vom gesellschaftlichen Tabu zum relativ gesicherten Großstadtphänomen präzise herauszuarbeiten. Dabei ist Andrew Haighs Film auch ein bedingungslos essenzialistischer Film, denn es geht hier fundamental um das Alleinsein des Menschen, auch in einem metapyhsischen Sinne. Der Protagonist, der bereits den Menschensnamen schlechthin „Adam“ trägt, muss sich durch den Verlust von Mitmenschen motiviert, als Mensch immerzu selbst definieren, was in letzter Instanz auch die (Un)Möglichkeit der Liebe (also der Anerkennung eines anderen Menschen) miteinschließt. Konsequent endet „All Of Us Are Strangers“ in einem Sternenmeer. Der Mensch ist angesichts des bedeutungslosen Weltseins, die Bedeutung selbst, gleichzeitig alles und nichts.
„Colonos“ (Felipe Gálvez Haberle, 2023): Südamerikanischer Western und einer der jetzt schon besten Filmarbeiten des Jahres. Mehr dazu in der Kurzreplik.
„Animal“ (Sofia Exarchou, 2023): „Animal“ gelingt es, den Schmerz und Einsamkeit hinter den Kulissen des griechischen Tourismus erfahrbar zu machen. Der Film feiert das Dreckige, Ordinäre und Mittelmäßige. Dafür, dass der extrem dokumentarisch anmutende Spielfilm aber tatsächlich ein solcher geschriebener Spielfilm ist (eine Polin ist hier sogar von einer Griechin gespielt, was erklärt, warum die Polin in dem Film so gut griechisch spricht), lässt sich die Authentizität des Gezeigten, die der Film unbestreitbar hat, nicht nur rein positiv auslegen. Denn „Animal“ erreicht tatsächlich bei seinen Figuren nur an der Oberfläche zu kratzen, so als wäre die Regisseurin bei ihrer Recherche selbst nur zu einem gewissen Punkt vorgestoßen. Die Handlung überschießt zu keinem Zeitpunkt das was bei einem gewöhnlichen Dokumentarfilm im selben Rahmen erwartbar zu finden gewesen wäre. Als Sammlung von Projektionsflächen funktioniert „Animal“ zwar, aber etwas Wesentliches erfahren wir eigentlich kaum. Durchweg ist Sofia Exarchou zudem etwas zu sehr verliebt in die vermeintliche Kraft ihrer Bilder und improvisierten Schauspielsituationen. Szenen sind zu lang, der Rhythmus enerviert und in den letzten fünf Minuten müssen wir drei verschiedenen Menschen auf einer Bühne beim Singen zuhören, ohne dass sich diese Geste irgendwie großartig neuerfinden würde.
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