Resultate einer kollektiven Angst.
Originaltitel: 4 luni, 3 săptămâni și 2 zile
Alternativtitel: 4 Monate, 3 Wochen und zwei Tage
Produktionsland: Rumänien
Veröffentlichungsjahr: 2007
Regie: Cristian Mungiu
Drehbuch: Cristian Mungiu, Oleg Mutu
Produktion: Cristian Mungiu
Kamera: Oleg Mutu
Montage: Dana Bunescu
Darsteller: Anamaria Marinca, Laura Vasiliu, Vlad Ivanov, Alexandru Potocean, Luminita Gheorgiu, Adi Carauleanu
Laufzeit: 113 Minuten
Die beiden Freundinnen Otilia (Anamaria Marinca) und Gabita (Laura Vasiliu) teilen sich 1987 im von Diktator Ceausescu regierten kommunistischen Rumänien ein Zimmer im Studentenwohnheim. Ansich haben sie sich mit ihrem Leben arrangiert, sie wissen wen sie ansprechen müssen um zum Beispiel an Zigaretten zu kommen. Wäre nicht Otilia ungewollt schwanger. Sie möchte das Kind nicht und beschließt abzutreiben. Doch Abtreibung ist verboten. Glücklicherweise unterstützt die pragmatische Gabita sie. Nachdem sie sich das Geld von verschiedenen Quellen geliehen und einen Arzt gefunden haben, gilt es sich um das Organisatorische zu kümmern. Eine Freundin vermittelt sie an den Arzt Mr. Bebe (Vlad Ivanov).
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 19.05.2013)
Es gibt Filme, denen eilt ein Spezialistenruf voraus: z.B. gilt Alejandro Amenábars „Das Meer In Mir“ als DAS Sterbehilfe-Drama oder „Requiem For A Dream“ und „Trainspotting“ teilen sich den Ruf des ABSOLUTEN Heroinfilms. Ein bisschen ist das auch beim Cannes-Gewinner „4 Monate, 3 Wochen Und Zwei Tage“ so. Nur bietet dieser als DER Abtreibungsfilm schlechthin gar keine ethische Position zu dem Thema, sondern nutzt es lediglich, um einen spannenden Einblick in ein sozialistisches Rumänien der 80er-Jahre zu wagen.
Nicolae Ceaușescus Terror des Bevölkerungswachstums
Bevor man sich diesen Film anschaut, sollte man sich zumindest peripher mit der Lage Rumäniens auseinandersetzen, in die Mungiu seine Geschichte platziert. 1987 hatte Rumänien schon mehr als 20 Jahre unter dem Regime Nicolae Ceaușescus zu kämpfen, der zwar Rumänien als Teil des sozialistischen Warschauer Paktes führte, aber mit extrem nationalistischer und autoritärer Politik führte, zu deren Werkzeugen eine strenge Überwachungspräsenz zählte. Zudem verbot er sowohl Präservative als auch Abtreibungen aufs Dringlichste, um eine höhere Geburtenrate zu erreichen. Dieser Politik fielen die schier unglaubliche Anzahl von schätzungsweise 10.000 Frauen zum Opfer, die unter kümmerlichen Hygienebedinungen bei illegalen Abtreibungen ums Leben kamen. In diese prekäre Lage setzt nun die Handlung des Films ein. Otilia wird schwanger und entscheidet sich für einen solchen Eingriff.
Meisterhafte Inszenierung
Meisterhaft führt Mungiu seine Protagonistinnen durch ein unwohliges Rumänien, in dem hinter jeder Ecke ein staatlicher Spitzel oder das fehlende Quäntchen Zivilcourage lauern könnte, das den heiklen Plan vereitelt. Durch geschickte Andeutungen und feine Details (z.B. der Pass an der Rezeption) wird eine beachtliche Spannung entwickelt, die sich ganz aus der realismusverhafteten Bildsprache des modernen Autorenfilms nährt. Interessanterweise stand Mungiu bei der Fertigstellung unter einem ähnlichen Zeitdruck wie die Figuren im Film, was ihn dennoch nicht davon abhielt mit perfektionistischen Plansequenzen zu arbeiten, die seinem großartigen Cast vor ähnlich physisch- wie psychisch kräftezehrende Herausforderungen gestellt haben dürfte wie die dargestellten Figuren.
Entsolidarisierte Gesellschaft
Mungius Film zeigt eine Gesellschaft, in der eine Entsolidarisierung Einzug erhalten hat. Der autoritäre Führungsstil Ceaușescus offenbart sich nie direkt, aber im Kleinen durch paranoides Verhalten der Bürger und der Beobachtungscharakter auch nur geringster Machtpositionen wie der eines Hoteliers. Interessant auch, dass das Alter der Studentinnen im Film ziemlich exakt der Amtszeit Ceaușescus entspricht, was man als Andeutung interpretieren kann, dass ihre bloße Existenz nur Resultat Ceaușescus Bevölkerungswachstumspolitik sind. Man kann sie also als Resulate einer kollektiven Angst verstehen. Sie sind nicht gewollt und Ergebnis einer Unfähigkeit gegen die Politik des Regimes anzukämpfen. Die Abtreibung des Kindes sollte man also weniger als Pro-Abtreibungsbotschaft, sondern als Auflehnen gegen das Regime lesen. Als Gabita bei der Schwiegermutter zu Gast ist, schafft es der Film tatsächlich, dass man gedanklich im Hotelzimmer ist und man mit der Gedankenwelt der Protagonisten gleichgeschaltet wird. „4 Monate, 3 Wochen Und Zwei Tage“ hat eine simple Aufforderung zu Zivilcourage und nutzt die Ansiedlung der Geschichte in der Vergangenheit, um nicht zu selbstmörderischen Manövern aufzufordern, sondern sie als Symbol gegen repressive Politik im Kleinen, anzuwenden. „4 Monate, 3 Wochen Und Zwei Tage“ ist spannend inszeniert, historisch-interessant und gilt zu Recht als Sperrspitze der rumänischen New-Wave. Die quälenden Erlebnisse im Hotelzimmer bleiben lange in verschiedenen Magenwinkeln stecken. Manches Gezeigtes und Ungezeigtes wird wohl immer bleischwer und unabtreibbar im Rezipienten verweilen.
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