Renoirs Meisterwerk des Antikriegsfilms: Ein kosmopolitisches Reifezeugnis.
Originaltitel: La Grande Illusion
Alternativtitel: Die große Illusion
Produktionsland: Frankreich
Veröffentlichungsjahr: 1937
Regie: Jean Renoir
Drehbuch: Jean Renoir, Charles Spaak
Produktion: Alber Pinkovitch, Frank Rollmer
Kamera: Christian Matras
Montage: Marthe Huguet, Marguerite Renoir
Musik: Joseph Kosma
Darsteller: Jean Gabin, Pierre Fresnay, Erich Von Stroheim, Marcel Dalio, Dita Parlo, Gaston Modot, Julien Carette u.A.
Laufzeit: 114 Minuten
Zwei französische Soldaten, der adelige Captain De Boeldieu und Lieutenant Marechal, geraten im Ersten Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft. Zusammen mit einem anderen Gefangenen namens Rosenthal planen sie zu fliehen, doch sie werden noch vor ihrem Fluchtversuch getrennt und an verschiedenen Orten untergebracht. Wenige Monate später seben sie sich wieder, und zwar in einer Festung, die von dem ebenfalls adeligen van Rauffenstein kommandiert wird. Obwohl die Gefangenen hier sehr gut behandelt werden, sind die Fluchtpläne immer noch aktuell.
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 03.11.2012)
(Anti)Kriegsfilme — wenn man es sich erlaubt bei „Die Große Illusion“ von einem solchen zu sprechen — sind immer im historischen Kontext ihrer Entstehung zu betrachten: „Apocalypse Now“ etwa wäre wohl eine glatte Dimension weniger beeindruckend, hätte er seine kritische Vietnamkriegsabrechnung und Analyse des Monstrum Mensch am Beispiel dieses Krieges nicht gerade mal vier Jahre nach Ausklang ebenjenes gedreht. Jean Renoir dreht bereits 1937, im Vorabend des zweiten Weltkrieges „Die Große Illusion“, der sich mit dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzt und das menschliche Absurdum Krieg mit einem ganz anderen Ansatz kritisiert. Es ist nicht der Schrecken des Krieges den Renoir zeigt (Bei welchem Krieg böte es sich mehr an als beim 1. Weltkrieg?) um dem Zuschauer das Scheusal Krieg vor Auge zu führen, es ist das Aufzeigen der Alternative Pazifismus. „Die Große Illusion“ ist kein Film über die Schlachtfelder Verduns, sondern über eine aus Rassen und Klassen bestehende Welt, die die Bewertung dieser aber zunehmend auflöst. Renoirs Film ist ein kosmopolitisches Reifezeugnis, das zum zu späten Zeitpunkt am ricntigen Ort war: Zwei Jahre später sollten sich Deutschland und Frankreich wieder bekriegen, in beiden Ländern wurde Renoirs Film bezeichnenderweise zuvor verboten.
Betrachtung gesellschaftlicher Klassen
Der Film bespricht ausführlich eine Gruppe französischer Offiziere mit unterschiedlichen sozialen Herkünften. De Boeldieu ist ein Adliger, Rosenthal ein jüdischer Vertreter des Bürgertums, Marechal eher dem unterem Bürgertum zugehörig. Der deutsche Major Rauffenstein (Erich von Stroheim), ebenfalls des Adels angehörig, findet zunächst nur Verachtung für nichtadlige Offiziere der französischen Armee, zu De Boeldieu initiiert er jedoch von Anfang an ein freundschaftliches Verhätlnis aufzubauen. Es ist weniger die nationalen Grenzen, die beide trennt, eher die gemeinsame Klasse, die sie eint. Und doch stellt sich De Boerdieu schützend vor seine nicht dem Adel zugehörigen Kameraden. Später opfert De Boeldieu sogar sein Leben um Rosenthal und Marechal die Flucht zu ermöglichen, Rauffenstein muss nach einer Provokation aus militärischer Pflicht seinen Adelsfreund De Boeldieu anschießen und verletzt ihn tödlich. Der Adel ist gescheitert, trägt sich selbst zu Grabe. Trotzdem verkommt die Darstellung des Adels nie zum plakativen Abgesang. Die porträtierte Klasse schießt zwar aus Ehrgefühl aufeinander, stirbt aber in Ritterlichkeit von Angesicht zu Angesicht, sieht das Ende der Machtposition seiner Klasse zwar kommen, aber bringt auch würdevollen Umgang mit Bürgertum und Proletariat vor.
Mehr Flüchtlingslager als Gefängnis
„Die Große Illusion“ zeigt Franzosen, Deutsche, Russen, Schwarze oder Juden, als das was sie sind: Als Menschen. Ihre Bedürfnisse sind Essen, Alkohol, Spiel und Spaß. Der Krieg scheint so weit entfernt, er ist aus dem Köpfen der Männer und verliert seinen Sinn, welchen er von Renoir nie erhalten hat. Der Film beginnt inmitten des Krieges ohne exakte historische Einordnung oder Bewertung. Renoirs Film zeigt den Krieg, als etwas dem man eher entfliehen möchte, als ihn zu verfechten. So erinnert die Stimmung im Kriegsgefangenenlager eher einem Flüchtlingslager als einem Gefängnis. Trotzdem bleibt die Flucht aus dem Lager, das Ziel, das den Offizieren nie aus dem Kopf weicht. Es ist jedoch keine Flucht um wieder in den Krieg eintreten zu können, sondern ein Nachhauselaufen. Der Krieg ist nur störender Status Quo, der den Figuren am persönlichen Glück hindert.
Eine kriegsmüde Welt
Renoirs Film besticht nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf erzählerischer Ebene. Die dargebotene Geschichte bleibt bis zum Ende spannend und interessant, was vor allem der detaillierten Exposition zu verdanken ist, der jeder Figur gehörig Leben einhaucht. Im Subtext des Films tut sich ein gähnendes Meer an Anspielungen auf die damalige Gesellschaft auf, die Dialoge sitzen sogar mit einer bemerkenswerten Sicherheit, die Renoirs zweitem als Meisterwerk geltendem Film „Die Spielregel“ mindestens gleichkommt. Die Schauspieler tun ihr Übriges um den Figuren Profil zu verleihen, Weltklasse ist Erich von Stroheim in der Rolle des Majors von Rauffenstein, der mit seiner elegant-kühlen Präsenz eine unvergessliche Figur im europäischen Film installiert. Renoirs „Die Große Illusion“ ist dabei einer der wenigen Antikriegsfilme, die nicht auch gleichzeitig den Krieg in seiner Brutalität zeigen. Sein Film weicht existenziell-bellizistischen Fragen nach der Notwendigkeit von Krieg aus und präsentiert dem Zuschauer frech eine kriegsmüde Welt, die bereit für einen klassen- und nationenumspannenden Frieden ist. Doch hier ist der Titel des Films wohl auch angesichts der angespannten weltpolitischen Lage im Produktionszeitraum von 1935 bis 1937 in dem Sinne zu verstehen, dass die vom Film präsentierte Gesellschaft und ihrer Entwicklung wohl noch zunächst eine Utopie bleiben wird. Eine immer wieder gerne anzusehende Utopie, die dem Monstrum Erster Weltkrieg ein optimistisches Lächeln entgegensetzt.
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