Das filmgewordene Vaterschaftsgefühl.
Originaltitel: そして父になる (Soshite Chichi ni Naru)
Produktionsland: Japan
Veröffentlichungsjahr: 2013
Regie: Hirokazu Koreeda
Drehbuch: Hirokazu Koreeda
Produktion: Kaoru Matsuzaki, Hijiri Taguchi
Kamera: Mikiya Takimoto
Montage: Hirokazu Koreeda
Musik: Shin Yasui
Darsteller: Masaharu Fukuyama, Yōko Maki, Jun Kunimura, Machiko Ono, Kirin Kiki, Isao Natsuyagi, Lily Franky, Jun Fubuki
Laufzeit: 120 Minuten
Als der erfolgreiche Geschäftsmann Ryota Nonomiya (Singer/Songwriter Masaharu Fukuyama in seinem Schauspieldebüt) erfährt, dass sein Sohn bei der Geburt versehentlich mit einem anderen Kind vertauscht wurde, steckt er plötzlich in einem moralischen Dilemma. Er und seine Frau müssen sich entscheiden, ob sie ihren leiblichen Sohn wiederhaben möchten oder weiterhin Vater und Mutter für den Jungen sein wollen, den sie aufgezogen haben und der ihnen über die Jahre ans Herz gewachsen ist.
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(Ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 31.08.2014)
Hirokazu Koreeda hat sich in „Like Father, Like Son“ wieder auf sein Lieblingsthema eingeschossen: Die Familie. Dieses Mal geht es, wie der Titel ungeniert vorwegnimmt, um Väter und Söhne. (Fast) jeder weiß, wie es ist, einen Vater zu haben, aber nicht jeder wie es ist ein Vater zu sein. Koreeda schafft es, dieses Gefühl für alle Nicht-Väter nachvollziehbar zu machen und für alle echten Väter wird „Like Father, Like Son“ eine echte Zerreißprobe sein, denn Koreeda wirft alle Fragen und Schwierigkeiten des Vaterseins in einen Film, was einem emotional ganz schön nahe gehen kann. Vermutlich ist ihm hiermit das beste Vater-Sohn-Drama der Geschichte gelungen. Kein Wunder, dass Hollywood ein Remake schon in Planung hat.
Eine komödische Verwechslung
Schon Goethe wusste: „Es ist ein frommer Wunsch aller Väter, das was ihnen selbst abgegangen an den Söhnen realisiert zu sehen, so ungefähr als wenn man zum zweitenmal lebte und die Erfahrungen des ersten Lebenslaufes nun erst recht nutzen wollte.“ So verhält es sich auch mit Ryota Nonomiya, ein erfolgreicher Business-Man, der seinen sechsjährigen Sohn Keita mit Zuckerbrot und Peitsche auf das spätere Berufsleben drillt. Schließlich soll der Sohnemann ja mal in die Fußstapfen von Papa treten. Alles läuft nach Plan. Bei den Nonomiyas herrscht rege Familienidylle.
Doch es kommt wie es kommen muss: Keita ist gar nicht Ryotos Sohn, sondern wurde bei der Geburt mit dem Sohn einer anderen Familie vertauscht. Diese Nachricht trägt man mit Fassung und organisiert ein Treffen mit der anderen Familie, die — wie kann es anders sein — eine stark gegensätzliche Familie ist. Eine gutherzige Großfamilie aus der unteren Mittelschicht. Dem Streberhaften Ryotas steht mit Familienvater Sakai ein freundlicher Mann mit kindlicher Ader entgegen, dem gar etwas Althippiehaftes anheftet. Es ist die Konstellation zweier unterschiedlicher Welten, die aufeinanderprallen und zusammen kooperieren müssen. Zu diesem Zeitpunkt erinnert die Prämisse von Koreedas Film noch an eine Komödie. Aber dieser Eindruck bleibt nur kurz.
Fragen über Fragen
Die Familien beginnen ihre Kinder zunächst probeweise übers Wochenende bei ihren eigentlichen Vätern übernachten zu lassen, sie aber zunächst im Unklaren zu lassen. Von nun an beginnen die Fragen, die sich auch im Zuschauerskopf abspielen: Wie habe ich mich meinem eigenen Sohn gegenüber zu verhalten, den ich doch selbst erst jetzt kennenlerne? Der mir fremd ist, der mir aber doch näher sein sollte als das Kind, das ich sechs Jahre lang aufzog. Wie gehe ich damit um, dass mein eigenes Fleisch und Blut nicht nur den Vornamen einer anderen Familie trägt, sondern auch mit seinen Werten und Normen aufgewachsen ist? Ganz generell: Was macht ein Kind zu meinem Sohn? Das gleiche Blut wie das meine oder die Handschrift meiner Erziehung? Und noch genereller: Liebe ich dieses fremde Kind? Kann ich es lieben? Ich muss es schließlich lieben, weil es mein Sohn ist.
Detailliertes Figurenspiel
Koreeda nimmt sich wie immer viel Zeit, um die Annäherungsversuche zwischen Eltern und Kind zu zeigen — und zwar in beiden Elternhäusern. Wobei der Fokus etwas mehr auf der Figur Ryotas liegt, die von dem japanischen Sänger-Star Masaharu Fukuyama dargestellt wird. Diese Figur ist ein Ass im Ärmel Koreedas. Sie ist ein karriereorientierter, kühler Vater, der seinen Sohn nicht gerade überpriorisiert und doch gelingt es Masaharu Fukuyama die Figur nicht zu einem eindimensionalen Arschloch-Charakter zu machen. Wenn sich Ryota als Arschloch aufführt (etwa, wenn er hochtrabend erklärt, er könne ja beide Söhne aufziehen) dann eher aus Verunsicherung heraus, es gibt aber immer wieder Momente, wo das Eis bricht und Ryota für einen Moment lang selbst einer so gegensätzlichen Figur wie Sakai, dessen Lebensstil er eher verachtet, ein Lächeln schenkt.
„Like Father, Like Son“ ist ganz klar ein Figurendrama und zwar eines, in dem ausnahmslos jede Figur glänzen kann. Auch weil Koreeda ihnen genug Spielzeit einräumt, um ihnen Profil zu verleihen. So stellt sich etwa ganz subtil eine glaubwürdige Freundschaft zwischen den beiden Müttern ein. Beide können sich nahekommen, da sie weniger an den Stolz ihrer „richtigen Erziehung“ gekoppelt sind. Außerdem nimmt sich Koreeda noch die wichtige Zeit, auch Ryotas Familie auszuleuchten. So bekommt der Vater Ryota die wichtige Vater-Sohn-Doppelfunktion aus der sich sein Verhalten erschließen lässt.
Selbsterkenntnis im Sohn (SPOILER)
Ryota durchläuft im Film eine moralische Wandlung, vom Mann, der sein Kind um jeden Preis eintauschen will, weil er sich vom eigenen Fleisch und Blut mehr Ähnlichkeit zu sich selbst und im ökonomischsten Sinn auch „Leistung“ erhofft, dann aber erkennen muss, dass der eigene Sohn genau so ist wie er und zwar im negativen Sinne, dass er sich mit einer neuen Welt nicht akklimatisieren will und sie nicht akzeptieren kann, bis er dann dadurch erst erfährt, was einen guten Vater ausmacht und fortan verspricht, sowohl für seinen leiblichen als auch seinen Ziehsohn ein besserer Vater zu sein. Das ist eine tränenaufreibend schöne Moral. Koreeda, der gerne dokumentarisch und mit Improvisationen dreht, hat hier einen deutlich drehbuchlastigeren Film geschaffen und das ist auch gut so, denn das Drehbuch ist detailreich, schlüssig und trotzdem noch mit dem Auge für große Momente ausgestattet. Einzig, dass die Baby-Verwechslung nicht auf einem Zufall, sondern auf vorsätzlichem Handeln der Krankenschwester basiert, ist ein Feld, das sich Koreeda vielleicht zu viel aufmacht, denn diese Komponente hat kaum Bezug zur Geschichte und hängt ein bisschen unnötig in der Luft. Darüberhinwegsehend beweist der japanische Autorenfilmer aber sein Talent für ausgezeichnete Drehbücher. Koreeda hat wieder einmal einen Film gemacht, der sowohl im Kopf als auch im Herz funktioniert. Ein traurig-schöner Film, den ich mir spätestens, wenn ich (vielleicht) irgendwann mal Vater sein werde, nochmal ansehen werde.
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