Ein großer, dekadenter Klotz, der nicht in seine Zeit zu passen scheint.
Originaltitel: Ludwig
Alternativtitel: Ludwig II.
Produktionsland: Italien, Frankreich, Deutschland
Veröffentlichungsjahr: 1972
Regie: Luchino Visconti
Drehbuch: Suso Cecchi D’Amico, Enrico Medioli, Luchino Visconti
Produktion: Ugo Santalucia, Mega Film Romana, Cinetel Paris, Dieter Geißler, Divina Film München
Kamera: Armando Nannuzzi
Montage: Ruggero Mastroianni
Musik: Jacques Offenbach, Robert Schumann, Richard Wagner
Darsteller: Helmut Berger, Romy Schneider, Trevor Howard, Silvana Mangano, Gert Fröbe, Helmut Griem, Izabella Teleżyńska, Umberto Orsini, John Moulder-Brown, Sonia Petrovna
Laufzeit: 247 Minuten
Mit nur 19 Jahren besteigt Bayerns Märchenkönig Ludwig II. den Thron. Sein Interesse gilt aber weniger der Diplomatie als den schönen Künsten. Er wird zum großzügigen Förderer von Künstlern und Musikern, allen voran Richard Wagners. Doch der erhoffte Dank bleibt aus. Verbittert zieht er sich zurück und kümmert sich kaum noch um Regierungsgeschäfte. Nur bei seiner Cousine Elisabeth von Österreich findet er eine Seelenverwandte, die zu ihm hält, seine Liebe jedoch nicht erwidert. Daraufhin heiratet Ludwig Sissis Schwester Sophie. Er beauftragt riesige Bauten, aber seine gewaltigen Traumschlösser verschlingen Unsummen. Schließlich wird er aufgrund seiner “Verschwendungssucht” für geisteskrank erklärt und entmachtet. Er stirbt vereinsamt am Starnberger See.
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 28.10.2011)
Ludwig der II. von Bayern gilt als einer der spannendsten Persönlichkeiten deutscher Geschichte. Der bayerische König gilt als „Märchenkönig“, weil er als Mäzen von Hochkultur und Erbauer des ein oder anderen Märchenschlosses ein Denkmal setzte, aber auch als „verrückter Ludwig“, weil er als verschwendungssüchtig, irrational und geisteskrank galt. Einer Figur also, der man sich rein penibel-historisch oder wie Visconti es tut, auf einer interpretatorischen Ebene nähern kann, die sich mit der Person Ludwigs und seiner komplexen Seele auseinandersetzt. „Ludwig II.“ ist der Abschluss und gleichsam der Beginn der „Deutschen Trilogie“ des Luchino Visconti, ein pompöses Persönlichkeitsbild, ein bildhauerisches Porträt, das unverkennbar Viscontis Handschrift trägt. Ein Film, wie er heute außerhalb von Serien und Mini-Serien, sicherlich nicht mehr in so einer epischen Breite gedreht wird.
Ein absoluter Dekadent
Anders als andere filmische Auswertungen des verrückten Königs, nähert sich Visconti mit zu vernachlässigender historischer Genauigkeit. Vielmehr bindet er den Ludwig in seinen Sammelband an Verfallsstudien ein, nutzt den Ludwig als absoluten Dekadent. Historische Details werden nicht verfälscht, sondern lediglich ausgespart. Es werden (anders als in „Senso“ oder „Der Leopard“) keine Schlachtenszenen gezeigt, es wird nicht die Krönung gezeigt und das einfache Volk Bayerns sieht man lediglich in einer einzigen Szene. Der Film versucht die Seele des Ludwigs und ihr Verfall darzustellen und fühlbar zu machen, daher konzentriert er sich auf die Details, die Aufschluss über Ludwigs Entwicklung bieten, etwa als Bayern aufgefordert wird Teil des neuen deutschen Reiches zu werden und Ludwigs phantastische Vorstellung eines großen bayerischen Reiches Risse bekommt.
Das Schloss Neuschwanstein als perfekte Metapher
Chronologisch betrachtet der Anfang, ist „Ludwig“ das große, furiose Finale der deutschen Trilogie Viscontis. (Spätestens) Mitte des 19. Jahrhunderts hat die Welt keinen Platz mehr für das verschwenderische Leben der Adligen und ihr christlich-untermauertes Selbstverständnis. Ludwig ist vielleicht der letzte große Adelige, ein Relikt vergangener Jahrhunderte. Sein übertriebener Lebensstil ist die perfekte Verbildlichung dessen, was auch lange in kleinerem Stil in den Stuben der Adeligen gang und gäbe war. Seine selbstsüchtige Suche nach der „Umöglichkeit“ kann in den Augen des Sozialisten Visconti natürlich nicht positiv beleuchtet werden, somit wird die historische Figur Ludwig letztlich zynisch seinem Verfall preisgegeben. Er ist Kind einer veralteten Ständegesellschaft, lebt aber in einer Zeit, in der bürgerliche Ärzte ihn für geisteskrank erklären und absetzen können. Das Ende des Monarchismus wird hier schon von den Dächern gepfiffen. Das von ihm erbaute Schloss Neuschwanstein ist vielleicht die perfekte Metapher für sein Dasein auf Erden. Schön, aber völlig ungerechtfertigt, bar jedem logischen Sinne. Ein großer, dekadenter Klotz, der nicht in seine Zeit zu passen scheint.
Kranksein und „frei sein“
Ludwig hat eine ungeheure Macht auf Erden. Er nutzt sich nicht, um seinem Volk zu Wohlstand zu verhelfen oder sich zumindest mit ihm zu identifizieren, er wagt den Versuch das Göttliche zu erfahren. In der Kunst (Wagner, Kainz) wie auch in der irdischen Körperlust, die sich in der Unmöglichkeit seiner Liebe zu Sissi, sowie seiner homosexuellen Neigung artikuliert, die Visconti ungewöhnlich stark betont. Ludwig will „frei“ sein und er versucht es durch massiven Missbrauch seiner königlichen Macht zu erreichen, auch wissend, dass die Zeit der Könige und des Adels ein Ablaufdatum haben. Ein krankhafter Egoismus, den Visconti nicht einmal mehr fiktionalisieren musste, sondern sich ganz auf die Auswüchse der Geschichte verlassen konnte, um das perfekte Beispiel der Kritik an einer Klassengesellschaft zu finden. Ob seine spätere Geisteskrankheit tatsächlich eine erbliche Ursache hatte (Visconti ließ es sich nicht nehmen, den Inzest der Königshäuser anzusprechen, um deren Verkommenheit zu kritisieren) oder ob sich diese ganz aus seiner Versuchung der Macht ergibt, lässt der Film offen.
Interesse nur am Mysterium
Visconti verbindet hier alle Stärken seiner Kunst zu einem zeitlosen Klassiker und dem großen Ausrufezeichen hinter seinem Spätwerk. So unhistorisch-opernhaft wie „Die Verdammten“, so ausführlich und opulent ausgestattet wie seine Historiendramen wie „Der Leopard“ und so moralisch wie alle seine Filme. Zudem gelingt ihm das Kunststück, dass „Ludwig II.“ deutlich unterhaltsamer als andere Filme seiner Feder ausgefallen ist. 247 Minuten sind sicher kein Film für Zwischendurch, doch ist der episodenhafte Erzählstil weniger zäh als der seiner anderen großen Geschichtsepen. Ein Extralob gebührt noch dem Weltklasse-Cast, allen voran Helmut Berger in der Rolle seines Lebens. Perfekt wie er die Bubenhaftigkeit des neunzehnjährigen König perfekt in einen gealterten, verkommenen, fast schon vampirhaften Irren meistert. König Ludwig II. ist eine historische Persönlichkeit über deren Psychologisierung man Bücherreihen schreiben könnte, Visconti ist aber letztlich mehr am Mysterium Ludwig interessiert, das ihm schon Kritik an ihm genug ist. Die letzten Worte des Ludwigs sind:
„Armer Doktor Gudden. Ihre einzige Aufgabe ist, mich zu ergründen. Von morgens bis abends. Aber ich bin ein Rätsel für Sie und ich möchte ein Rätsel bleiben. Für immer. Für die anderen und auch für mich selbst.„
Visconti ist mit seinem drittletzten Film ein Highlight seiner Filmografie und eines der besten Geschichtsdramen der Filmgeschichte gelungen. Die fünf Akte über den bayerischen Skandalkönig sind die symbiotische Übereinkunft aller typischen Visconti-Themen und ergeben ein nachweltüberdauerndes Opus.
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