Ein rebellisches Anarchowerk.
Originaltitel: Muxmäuschenstill
Produktionsland: Deutschland
Veröffentlichungsjahr: 2004
Regie: Marcus Mittermeier
Drehbuch: Jan Henrik Stahlberg
Produktion: Martin Lehwald
Kamera: David Hofmann
Montage: Daniela Boch, Andrea Guggenberger, Sarah Clara Weber
Darsteller: Jan Henrik Stahlberg, Fritz Roth, Wanda Perdelwitz, Joachim Kretzer, Kathrin Spielvogel, Lucia Chiarla
Laufzeit: 89 Minuten
Mux (Jan Henrik Stahlberg) hat eine Mission: Der selbsternannte Weltverbesserer will seinen Mitmenschen wieder Idelae und Verantwortungsbewustsein beibringen – und bläst zum Kampf gegen Fehltritte aller Art. Mit makellos gebügeltem Hemd verfolgt der Saubermann Schwarzfahrer und Schwimmbadpinkler, Falschparker und Graffiti-Sprayer. Mux räumt auf in den Straßen Berlins, begleitet von seinem treuen Gehilfen, dem Ex-Langzeitarbeitslosen Gerd (Fritz Roth), der die Heldentaten mit der Videokamera dokumentiert. Doch auf seinem Kreuzzug gegen Unrecht und Gleichgültigkeit wird der Westentaschen-Sheriff bald selbst zum Gesetzesbrecher.
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 15.09.2013)
Cover und Titel dieses Films erinnern ja eher an eine Matthias-Schweighöfer-Komödie, aber die Tatsache, dass das im Untergrund-HipHop legendäre Album „Soziopath“ von einem Interpreten namens Hollywoodsfinest Ted Bundy einen Monolog aus dem Film verwendete, deutet schon an, dass sich bei „Muxmäuschenstill“ um einen etwas anderen deutschen Film mit einem deutlich schwärzeren Humorverständnis handeln muss. Einer der spannendsten deutschen Filme und besten Debütfilme überhaupt. Ein Film, der außer vielleicht seinen dänischen Dogma-95-Vorbildern, so ziemlich jedem den verdammten Mittelfinger entgegen hebt. Von vorne bis hinten durchdacht und radikal in die Tat umgesetzt.
Kategorischer Michael Kohlhaas
Mux ist ein Soziopath, der sich selbst als Ritter der Gerechtigkeit versteht und seiner Umwelt als eine Art kategorischer Michael Kohlhaas entgegentritt. Jeder kleine Gesetzesbruch wird mit harter Selbstjustiz bestraft, die bis ins Erniedrigende und in die Folter geht, um einen „pädagogischen“ Effekt zu erzielen, denn dass die Wiederholungstäter weniger werden, das ist das große Lebensziel des Mux‘. Er will eine vollkommen saubere Welt, befreit von jeglichen moralischen Verfehlungen und ist von sich selbst so überzeugt, dass er ein eigenes Manifest schreibt und seine Überzeugung in ganz Deutschland verbreiten will. Seine Feindbilder sind nicht nur Kriminelle und Leute, die es mit dem Gesetz nicht so genau nehmen, sondern auch die Medienwelt mit ihrem moralisch verkommenem Programm. Stefan Raab, MTV, Viva … all das ist der Feind. Das Interessante an „Muxmäuschenstill“ ist nun, dass sich der Film natürlich nicht auf der Seite seines sozial unfähigen Protagonisten schlagen kann, trotzdem schwingt in der drastischen Vortragsweise des Films Sympathie für einen medienkritischen Feldzug mit. Die Gewalt und Obszönität, die Mux seinem Umfeld zumutet, ist als Teil des Films auch ein Tabubruch, der genau zu diesem medienkritischen Umdenken durchaus anregen soll.
Überspitzer Konservativismus mit braunen Flecken
Die Figur des Mux ist komplex und alles andere als stereotypisch. Auch wenn die Figur keine Psychologisierung erfährt und nicht immer nachvollziehbar erscheint, ist sie auch nicht unrealistisch und der Verdienst, dass man als Zuschauer die Figur des Mux abkauft, ist vor allem dem genialen Schauspiel von Jan Henrik Stahlberg zu verdanken, der auch das Drehbuch mitschrieb und mit seiner rätselhaften Figur förmlich verschmilzt. Mux hat eine zwischenmenschliche Verkrüppelung die stellenweise an „Stromberg“ erinnert, eine gewissenlose Brutalität wie der „Shoppingcenter King“ und einen Gerechtigkeitssinn als oberste Maxime wie Frank aus „Super“. So könnte man die Figur einigermaßen beschreiben, man sollte sie aber selbst erleben. Der Grund warum Mux als Kant-Fundamentalist durch die Straßen marodiert, bleibt zunächst im Dunkeln, ist er doch eigentlich ein selbstbewusster, gut aussehender und gebildeter junger Mann. Dieses unbelastete Profil (der Film macht sich auch noch selbst darüber lustig: „Ich bin das, was man einen Einzelgänger nennen würde. Ich war das schon immer. Am 24.07.1972 werde ich aus dem Bauch meiner toten Mutter geschnitten, die hochschwanger bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt — Das stimmt übrigens nicht.„) sorgt dafür, dass man die Figur des Mux als verschiedene Allegorien lesen kann.
Zum Beispiel als Überspitzung des Konservativismus oder des Moralaposteltums. Wenn man sich Mux als Vertreter einer politischen Bewegung deuten würde (und darauf spielt der Film ja mehrmals mehr als deutlich an), wäre er seine politische Richtung wohl noch schwärzer als der Humor des Films mit teilweise ins Faschistische übergehenden Punkten. Ein Eindruck, der durch das altmodisch-sexistische Frauenverständnis des Protagonisten untermauert wird. Mux ist ein Jemand, der Menschen nur akzeptieren kann, wenn sie sich nach bestehenden gesellschaftlichen Normen verhalten und diese nicht hinterfragen. Dass er sich selbst viel asozialer und gemeingefährlicher verhält, ist dann das nur konsequente Augenzwinkern Richtung Polizei- bzw. Staatsgewalt und wenn Mux dann auch noch davon redet, er wolle nicht nur Deutschland, sondern auch Italien seinen moralischen Vorstellungen mit Gewalt anpassen, ist der Faschismus-Verweis unübersehbar.
Juveniler Provokationsdrang als Trumpf
Wie politisch und gesellschaftskritisch „Muxmäuschenstill“ am Ende auch tatsächlich aufgeladen sein mag, ist sein juveniler Provokationsdrang unübersehbar und die große Stärke. Es ist ein Skript, das mit seiner ausufernden Storyline, schnell zu groß, zu ambitioniert und zu über die Stränge schlagend hätte werden können. Es gibt dann auch tatsächlich eine Menge Punkte im Film, an denen man durchaus mit Recht sagen kann, dass hier der Film dem Regisseur und seinem kongenialen Schauspieler aus den Händen gerutscht sei. Aber egal wie übertrieben das Gezeigte ist und wie überdimensioniert der Erfolg von Mux und seinem Partner Gerd im Film auch wird, der Film schafft es, nie seinen semidokumentarischen Stil zu verraten, nie kitschig oder vorhersehbar zu werden, stets bleibt das Werk so unkonventionell-jugendlich wie viele Filmhochschulstudenten sich wohl mal vornahmen zu inszenieren und am Ende doch nur einen Film von der Stange drehten. „Muxmäuschenstill“ ist wie ein faszinierender Schul-Rowdy, der Weltliteratur liest, wenn er nicht gerade Mitschüler auf dem Pausenhof verdrischt. Alles andere als sozial und so undurchschaubar, dass man so ganz schlau nicht aus ihm werden kann, aber immer noch tausendmal spannender als der langweilige Mitschüler, der mal als BWL-Student enden wird und sich konformistisch in all das hineingibt, was Mittermeier und Stahlberg hier mit erhobenem Mittelfinger vermöbeln.
Perfekt-unperfekt
In Sachen Humor, Handwerklichkeit und angehender Ideologie-Analyse hat „Muxmäuschenstill“ so seine Überschneidungen mit Lars von Triers „Idioten“, trotzdem ist den Machern dieses Films ein wahres Kleinod gelungen, das absolut eigen ist, dabei anstößt, polarisiert und zumindest niemanden kalt lässt. Genau so wie der deutsche Film mal wieder sein darf. Ein Film, den jeder verkopfte Jugendliche immer mal machen wollte. Perfekt-unperfekt und ein eingelöstes Versprechen für alle, denen die immer wieder aufgekochten Standardfilme zum Halse heraushängen. Auslaufmodelle der Republik halt. Und jetzt — still.
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