Realität gegen Traum, Hier und Jetzt gegen Vergangenheit, Genuss gegen Verzicht.
Originaltitel: Le Notti bianche
Alternativtitel: Weiße Nächte
Produktionsland: Italien
Veröffentlichungsjahr: 1957
Regie: Luchino Visconti
Drehbuch: Luchino Visconti, Suso Cecchi D’Amico (nach einer Kurzgeschichte von Fjodor Dostojewski)
Produktion: Franco Cristaldi
Kamera: Giuseppe Rotunno
Montage: Mario Serandrei
Musik: Nino Rota
Darsteller: Maria Schell, Marcello Mastroianni, Jean Marais, Clara Calamai
Laufzeit: 97 Minuten
Als Mario (Marcello Mastroianni) eines Nachts Natalia (Maria Schnell) trifft, ist er sehr angetan von der jungen Frau. Nach und nach verliebt er sich in sie, muss aber bald feststellen, dass sie bereits mit einem anderen Mann liiert ist. Der ist aber bereits seit fast einem Jahr ohne Erklärung verschwunden.
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 27.09.2013)
Visconti ging Anno 1957 mit „Weiße Nächte“ nach einer Dostojewski-Erzählung ganz neue Wege, die seine Kritiker ihm nicht zutrauten und ihn dafür mit Häme bedachten. Bevor er mit „Rocco und seine Brüder“ nochmal ins Neorealistenlager zurückkehren und seine Frühphase zu einem würdigen Ende bringen sollte, war „Weiße Nächte“ hingegen ein krasser Bruch mit der Bewegung, die er einst selbst (mit)gründete. Visconti schien der Dostojewski-Kunst so anheimgefallen zu sein, dass er kurzerhand alles an politischen Untertönen über Bord warf, um sich aufs Wesentliche seiner literarischen Vorlage konzentrieren zu können. Das Ergebnis ist ein in jeglicher Hinsicht umgekehrter „Senso„. Die Farbfilmexperimente wichen einer eleganten Schwarzweiß-Optik, historische Pedanterie sucht man vergebens (Auf Venedig anspielend, könnte „Weiße Nächte“ im Grunde überall in Italien und auch zu jeder Zeit spielen) und tatsächlich ist die emotionelle Liebesgeschichte das Augenmerk und nicht nur Folie, um die eigenen Figuren und ihre Klasse zu kritisieren wie noch in „Senso“.
Schönheit des Kapitalistischen
Viscontis fünfter Film ist vor allem ein Genuss für die Augen. Auch unter Einbezug titelgebender Farbkontrast-Symboliken ist „Weiße Nächte“ sicher einer der schönsten Schwarz-Weiß-Filme der Geschichte. Die Kulissen sind auch wenn der Eindruck erweckt wird, in Venedig gedreht worden zu sein, Studiokulissen. Es sind nicht nur die klassischen venezianischen Brücken, schmalen Gassen und architektonische Einmaligkeiten, sondern auch wie damit gespielt wird, wie die Kamera durch die Straßen balanciert und den Zuschauer mit der Stadt verschmelzen lässt.
Auch hätte man es wohl niemals für möglich gehalten, dass der überzeugte Kommunist Visconti mal die Chiffren des Kapitalismus wie Neonschilder oder das immer wieder auftauchende Esso-Tankstellen-Schild als kritikloses und neutrales Element einzig zur Erfüllung eines zeitlosen Bilderreigens nutzt. Und da die Kulissen bedacht im Studio gedreht worden sind, lässt sich auch keine Entschuldigung ableiten, dass der vorgefundene Platz eben so aussah wie er im Film aussieht. Jedes Werbeschild in diesem Film wurde also mit voller Absicht dort platziert
Die Übertragung der Dostojewski-Erzählung die in St. Petersburg spielt nach Italien, erweist sich auch deshalb als Coup, da die venezianische Brücke, die im Film immer wieder auftaucht eine gelungene Metapher für die zwei Welten stellt, die mit den Protagonisten Natalia und Mario aufeinander treffen.
Schöne Dualismen und Kitsch
Realität gegen Traum, Hier und Jetzt gegen Vergangenheit, Genuss gegen Verzicht. Dabei sind sich beide Parteien doch einig darüber, dass sie sich ihrer Einsamkeit entledigen wollen. Tatsächlich ist „Weiße Nächte“ ein Film, der einen emotional treffen kann, gerade weil er den Spieß umdreht und den Profiteur der ewigen, romantischen Liebe zum Antagonisten macht. Aber so tragisch die Geschichte sein mag und so schön die Bilder, die Visconti hier für findet, wieder ein mal sind, die Schwäche des Films liegt darin, dass er gerade zum Ende hin nicht selten in Kitsch abrutscht und den Protagonisten damit zu einer Figur macht, mit der man nicht so richtig mitfühlen will. Traurig stimmen einen im Nachhinein die Bildlichkeit des einsamen Mannes in der venezianischen Gasse oder das Zurückdenken an Maria Schells liebenswertes Lachen, aber das gesprochene Wort kommt so richtig überzeugend in „Weiße Nächte“ nicht zur Geltung.
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