Wie eine wunderschöne Frau — mit einem Haken.
Originaltitel: Chung hing sam lam
Produktionsland: Hongkong
Veröffentlichungsjahr: 1996
Regie: Wong Kar-Wai
Drehbuch: Wong Kar-Wai
Produktion: Yi-kan Chan
Kamera: Christopher Doyle, Wai Keung Lau
Montage: William Chang, Kit-Wai Kai, Chi-Leung Kwong
Musik: Frankie Chan, Michael Galasso, Roel A. García
Darsteller: Brigitte Lin, Tony Leung Chiu Wai, Faye Wong, Takeshi Kaneshiro, Valerie Chow
Laufzeit: 98 Minuten
In einem Schnellimbiss in Hongkong trifft der Polizist Nr. 223, der gerade von seiner Freundin verlassen wurde auf den Polizisten Nr. 663, den kürzlich das gleiche Schicksal ereilt hat. 223 verliebt sich ausgerechnet in eine Drogendealerin, die auf der Flucht vor ihren Auftraggebern ist. 663 ist Objekt der Begierde einer jungen Frau, die im Imbiss arbeitet. Doch er ahnt nicht einmal, dass sie die mysteriöse Fremde ist, die in seiner Abwesenheit seine Wohnung erkundet.
Quelle: Moviepilot.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 11.11.2013)
Mein erster Wong-Kar-Wai-Film. Er hat die Vorgeschichte, dass mein Filmprof, der ein großer Fan von Wong Kar-Wai ist, bei der ersten Filmanalyse-Sitzung in die Runde fragte, wer denn alles schonmal einen Kar-Wai-Film gesehen hat. Kaum einer meldete sich. Ich konnte mich nicht melden. Das war mir peinlich, denn natürlich kennt man den Hongkonger Filmemacher. Mit glitzernden, erwartungsvollen Augen ließ ich mich also in Kar-Wais Heimatstadt Hongkong entführen. Wollte mich treiben lassen durch eine ganz und gar fremde Welt, auf deren Anreiseweg ich mich erst zwingen musste, weil er so abseits meiner sonstigen Suchtouren durch die Filmkunst lag. Vielleicht ist dieser Text auch eine Antwort darauf, warum dem so war.
Wie eine wunderschöne Frau . . .
„Chungking Express“ ist wie eine wunderschöne Frau. Was Kar-Wai hier auf die Leinwand zaubert, rechtfertigt zumindest im Unterhaltungsfilm-Sektor jegliche Berufsausübung im Hollywood-Sektor. Das ist Werbung für asiatische Kinematografie, man glaubt fast, so effektiv mit bunten Lichtern kann man nur in einer asiatischen Metropole spielen (nicht umsonst spielen „Only God Forgives“ und „Enter the Void“ ebenso in Asien). Die großartigste Leistung des Films ist, dass jedes Einzelbild eine überlegt-abgestimmte Farbkomposition aufweist. Farben werden separiert, wieder miteinander vermengt und greifen sich stimmig in verschiedenen Teilen des Leinwandbildes wieder auf. Es ist optisch der große Abenteuerspielplatz, der das Eintrittsgeld wert ist. Nicht nur in seiner Kolorierung, auch in kreativen Closeups und technischen Spielereien toben sich Kar-Wai und Kameramann Christopher Doyle aus. Und apropos schöne Frau: Faye erinnert nicht nur optisch an Patricia aus „Außer Atem“, ist Kar-Wai doch großer Godard-Verehrer.
. . . Mit einem Haken
Aber Aussehen ist eben nicht alles, „Chungking Express“ ist vor allem eine wunderschöne Frau mit einem sehr eigenen Charakter. Man will es ihr ja gar nicht als böse Absicht auslegen. Sie ist nunmal so. Die einen finden sie faszinierend-liebevoll, die anderen nervig und anstrengend. Die einen erfreuen sich, dass sie genau den richtigen Maß an Romantik mitbringt, die anderen — und dazu gehöre leider ich — merken, dass das Weib auf Dauer ganz schön kitschig und irgendwie irrational ist. Für eine schnelle Nummer sicher okay, aber „Chungking Express“ nötigt den Zuschauer leider, eine echte Beziehung einzugehen. Wer sich an den Bildern berauschen will, der muss den sinnlosen Fragmentarismus erdulden, den Kar-Wai im Gegensatz zu Godard eben mit keiner inhaltlichen Spielart rechtfertigen kann, der muss Figuren ertragen, die so sehr mit Skurrilitäten zugestellt sind, dass man die Bindung zu ihnen zu verlieren droht. Die Bilder scheinen eher Empfindungen als wirklich eine Geschichte ausdrücken zu wollen, nicht selten wirkt die Verweigerung, realistisch und nachvollziehbar erzählen zu wollen, fast traumartig. Wie erwähnt und in eine Frauenmetapher gepackt: Ich verstehe, wenn man das mag, meinem persönlichen Geschmack liegt es aber sehr fern.
California Nightmarin‘
Aber alle höflichen Geschmacksfragen beiseite lassend: Kar-Wai baut hier vor allem eine Riesen-Textur an schimmernden Oberflächen auf, was sich aber darunter befindet? Die meisten Kar-Wai-Ultras werden mir wohl eher mit sabberndem Mund von den Bildern und Skurrilitäten vorschwärmen. Ich werde leider nie auf das ihrige Ufer schwimmen können und verstehen können, was der Film in ihn auslöste. An dieser Stelle grüße ich von der anderen Seite des Ufers. Hier ist es auch schön.
Und auch beim Lieblingskritikpunkt an „Chungking Express“ möchte ich mich enthusiastisch beteiligen: „California Dreamin'“ ist ein guter Song, ja. Zumindest dachte ich das bis heute. Jetzt wird er wohl mit selbstverliebten Oberflächenreizen und der Erkenntnis, dass Tarantino und ich einen fundamental verschiedenen Filmgeschmack haben (na gut, wundern tut es mich nicht), verbunden sein. Seit heute habe ich das Gefühl, der Song besteht nur aus einer einzigen sich ständig wiederholenden Hookline. So genial „Chungking Express“ aussehen mag, in Sachen Musikeinsatz ist er ein Kandidat für einen der misslungensten Filme aller Zeiten.
Ein Film, der nur höchst subjektiv zu bewerten ist. Mit offensichtlichen Stärken und klug verborgenen Unzulänglichkeiten, aber vielen Eigentümlichkeiten, die sich im Bereich eines Geschmackstreites befinden. Um mal wieder auf dieses Frauen-Gleichnis zurück zu kommen: Ich freue mich ja, wenn mein Kumpel eine hübsche bessere Hälfte gefunden hat. Er hat sicherlich Spaß mit ihr. Aber wenn wir was zusammen machen wollen, soll er sie und ihre scheiß California-Dreamin‘-CD doch bitte zuhause lassen. Ob ich eine ihrer Freundinnen daten möchte, ist eine Frage, die ich an dieser Stelle lieber aufschieben und mich erholen möchte.
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