Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt.
Originaltitel: Trois Couleurs – Bleu
Alternativtitel: Drei Farben – Blau
Produktionsland: Frankreich / Polen
Veröffentlichungsjahr: 1993
Regie: Krzysztof Kieślowski
Drehbuch: Agnieszka Holland, Sławomir Idziak, Krzysztof Kieślowski, Krzysztof Piesiewicz, Edward Żebrowski
Produktion: Marin Karmitz
Kamera: Sławomir Idziak
Montage: Jacques Witta
Musik: Zbigniew Preisner
Darsteller: Juliette Binoche, Benoît Régent, Florence Pernel, Charlotte Véry, Hélène Vincent, Philippe Volter, Emmanuelle Riva
Laufzeit: 100 Minuten
Julie (Juliette Binoche) verliert bei einem Autounfall ihren Mann – einen berühmten Komponisten – und ihre kleine Tochter Anna. Gebrochen und voller Trauer entschließt sie sich, das Haus und alles, was sie so sehr liebte, zu verkaufen und alle Brücken ihres bisherigen Lebens abzubrechen. Nach langer, totaler Isolation in dem anonymen Paris – und angeregt durch eine neugierige Journalistin – vollendet sie die letzte Komposition ihres Mannes. Langsam und zögernd nimmt sie wieder Kontakt zu den Menschen auf und findet über die Musik und die erwachende Liebe zu Olivier zurück ins Leben.
Quelle: Amazon.de
Replik:
(ursprünglich erschienen als Post
im mittlerweile inaktiven Filmtiefen.de-Forum, 02.06.2013)
Manche Menschen sind zu früh von uns gegangen. Fast schon ein bisschen unheimlich, dass der erste Teil von Kieślowskis Spätwerk-Trilogie „Drei Farben“ den Tod eines großen europäischen Künstlers thematisiert. Schon 1996, nach Abschluss der Trilogie, verstarb der polnische Regisseur auf dem Höhepunkt seiner Karriere im zarten Alter von 54 Jahren. „Blau“ hat aber andere Absichten als uns als Kulturgesellschaft den Wegbruch einer tragenden Säule zu erzählen, sondern er verlagert diesen Konflikt auf die persönliche Ebene, indem das Schicksal der Komponistengattin Julie dargestellt wird. Ein selbsternannter Film über die Freiheit; Kieślowski nutzt die Gründungsprinzipien des republikanischen Frankreichs (Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit) und bettet sie interpretierend in eine alltägliche Geschichte ein.
„Ich denke auch, dass Menschen wie er in gewisser Weise jedem von uns gehören. Ob einem diese Vorstellung gefällt oder nicht.„
„Blau“ beleuchtet die Freiheit des Menschen fast ausschließlich als Fluch, weil sie uns als Segen schon so sehr bekannt ist. Julie verliert ihren Mann inklusive Kind und mit ihnen ihre Unfreiheit. Sie hat keine moralischen Grenzen mehr gegenüber ihrem Mann, sie ist finanziell ausreichend versorgt, sie hat keine Pflichten mehr als Mutter. Sie ist frei. Und doch ist „Blau“ eine einzige Depression von einem Film. Es ist ein sehr anstrengende, nahezu psychosomatische Schwere, die Kieślowski auslöst. Man leidet mit einer Figur mit, an der man eigentlich keine emotionale Teilhabe gewinnen kann. Julie bleibt einem fremd, distanziert und unnahbar, trotzdem erreicht der Film durch seine Bildkomposition, Musik und das schöne Gesicht Julies, das immerzu streng und von Zufriedenheit beraubt bleibt, diese depressive Stimmung.
Freiheit als Verlust der Unfreiheit
Metapher für die Unfreiheit ist die Familie Julies. Vor allem ihr berühmter Mann. Diese Unfreiheit erlaubt ihr erst das Glücklichsein. Die Unfreiheit ist in diesem Fall mit der „Sicherheit“ als Gegensatz zur Freiheit gleichzusetzen. Kieślowski dreht also das Prinzip „Gesundheit ist wie Freiheit, erst wenn man sie verloren hat, erkennt man ihren Wert.“ um; erst durch den Verlust der Freiheit, erkennt Julie, was sie an ihrer Unfreiheit hatte. Zuvor kann man davon ausgehen, dass sie darunter litt, nur die Person im Schatten ihres berühmten Mannes zu sein (Zudem deutet der Film an, Julie sei die einzige Autorin der Kompositionen). Als sie aber ihren Mann verliert, scheint sie zunächst ihre Freiheit auskosten zu wollen und sie als Eigenschutzreaktion gegenüber den Freiheitsverlust zu nutzen. Doch macht sie eine neue Wohnung, die Macht über die Kompositionen verfügen zu können und der Sex mit einem anderen Mann noch nicht glücklich. Nach Sartre: „Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt.„
Die Depression siegt
Der Mensch, der nach Sartres Existenzialismus das ist, als das er sich wählt, scheitert in diesem Film. Die Relativierung dieser Selbstwahl war für Julie ihre Familie, die sich mit Pflichten und Verantwortung in eine sichere Schiene leitete, aus der sich kaum auszubrechen vermochte. Mit dem Wegbruch dieser Familie ist Julie eher in der Lage sich selbst aus sich selbst heraus zu verwirklichen. Sie scheitert aber, weil es ihr kein Glück bereitet. Auch die Freiheit keine Existenzangst mehr zu haben, unangreifbar gegen weitere Schicksalsschläge zu sein, keine Angst mehr vor dem Tod zu haben, bietet für Julie keine sichtbare Befriedigung. Eine neue Liebschaft, die Vollendung der Musik. Aber die Unfreiheit der Freiheit siegt. Die Depression siegt. Julie weint.
„Drei Farben – Blau“ ist ein in unnachahmlicher Kieślowski-Manier gedrehtes Meisterwerk mit einer eigenen Stellungnahme zu den etlichen philosophischen Positionen bezüglich der Freiheit des Menschen. Die Freiheit ist schwerlich zu verkraften.
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